Rede von Christian Kühn Wohnungslosigkeit

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16.01.2020

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der erste Antrag der grünen Bundestagsfraktion zur Einführung einer Wohnungslosenstatistik ist aus dem Jahre 1995. Es hat jetzt über 20 Jahre gebraucht, bis wir hier im Deutschen Bundestag einen Beschluss zur Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik bekommen werden. Es ist ein erster Schritt, der zeigt, dass wir als Gesellschaft Wohnungslosigkeit in Deutschland in Gänze überwinden wollen. Ich finde, es ist ein guter Tag für die Menschen da draußen, wenn der Deutsche Bundestag sagt: Wir schauen in Zukunft hin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Das ist ein Riesenerfolg all derjenigen, die in den letzten Jahrzehnten innerhalb und außerhalb dieses Parlaments dafür gearbeitet haben, dass es endlich eine bundesweite Wohnungslosenstatistik gibt. Mein Respekt gilt heute vor allem auch denjenigen innerhalb der CDU/CSU-Fraktion, die die Widerstände überwunden haben, die jahrelang dazu geführt haben, dass solche Initiativen blockiert wurden. Danke dafür und auch für den Mut, sich hier durchzusetzen. Wir Grünen sind heute glücklich darüber, dass wir diesen Schritt gemeinsam gehen und hier wirklich einen Fortschritt erreichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir als Parlament machen die Augen auf und sagen: Wir schauen in Zukunft hin. Wir wollen genau hinschauen; denn eines ist klar: Wer keine Zahlen kennt, kann nicht handeln. Aber wir müssen dringend handeln angesichts der dramatischen Situation auf den Wohnungsmärkten, angesichts der dramatischen Zahlen, die wir von der BAG W kennen, angesichts der Situation vieler Menschen in unserem Land.

Es gibt Statistiken für alles in diesem Land: Autos, Straßenkilometer, Brücken. Wir wissen alles. Aber dass wir nicht wissen, wie viele Menschen obdachlos auf der Straße leben, dass wir nicht wissen, wie viele Menschen auf einer Couch übernachten müssen, dass wir nicht wissen, wie viele Menschen eigentlich keine Wohnung haben, ist ein Missstand, den wir nun endlich beenden. Das ist gut so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU])

Aber diese Statistik alleine wird nicht reichen. Wir brauchen eine begleitende Berichterstattung, die sich eben nicht nur mit absoluter Wohnungsarmut beschäftigt, sondern auch mit relativer, die darüber informiert, wie man Menschen zahlenmäßig erfassen kann, die arbeiten, aber keine Wohnung haben. Auch das muss abgebildet werden. Die Zwangsräumungen müssen abgebildet werden, weil sie am Ende ein wichtiger Indikator für die Prävention sind. Es muss auch abgebildet werden, wie viele Kinder in Deutschland unter Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit leiden. Ich glaube, das sind wir diesen kleinen Menschen schuldig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen Prävention. Diese muss rechtzeitig ansetzen. Aber wir brauchen auch endlich einen bundesweiten Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit. Ich hoffe, dass dies der nächste Schritt ist, den wir mit einer ähnlich großen Einigkeit in diesem Parlament beschließen werden; denn wir müssen eben nicht nur hinschauen, sondern in Zukunft auch handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen Maßnahmen beim Mietrecht. Kollege Hagen Reinhold, wir werden da um den Kündigungsschutz nicht herumkommen. Natürlich ist es ein Problem, dass der Kündigungsschutz so ist, wie er heute ist, weil er Menschen eben nicht schützt und eben keine Heilungsmöglichkeiten hat. Diesen Kündigungsschutz braucht es dringend; das wurde bei der Anhörung deutlich. Das höre ich auch in jedem Gespräch, wenn ich bei einer Obdachloseninitiative bin. Das ist immer ein Thema. Deswegen hoffe ich, dass die FDP sich in Zukunft da anders positionieren wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss will ich sagen: Das Phänomen der Obdach- und Wohnungslosigkeit ist kein Randphänomen dieser Gesellschaft mehr.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Es ist ein Phänomen der Mitte der Gesellschaft. Es hat längst die Mittelschicht erreicht. Es ist ein Phänomen, das in der Stadt wie auf dem Land zu beobachten ist. Deswegen ist es gut, dass wir heute gemeinsam die Augen aufmachen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lassen Sie uns nun auch gemeinsam handeln.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die nächste Rednerin aufrufe, vielleicht ein kleiner Hinweis, weil wir als Präsidium Dienstleister gegenüber den Abgeordneten sind: Das Pult hat mehrere Gestaltungsmöglichkeiten. Sie sehen dort die Uhrzeit, die für Sie läuft. Dann blinkt es gelegentlich; da steht „Präsident“ drauf. Das bin ich dann mit der Bitte, doch zum Ende zu kommen, bevor ich das verbalisieren muss. Und links davon sind zwei Knöpfe, einer für oben, einer für unten. Damit können Sie das Pult selbstständig rauf- und runterfahren. Die Redezeit beginnt erst zu laufen mit Ihrem ersten Wort. Also, Sie können da vorne auch trinken und alles Mögliche machen – Blätter sortieren, das Pult rauf- und runterfahren –,

(Karsten Möring [CDU/CSU]: Essen!)

die Redezeit wird davon nicht berührt.

(Heiterkeit – Beifall des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU])

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulli Nissen das Wort für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD – Karsten Möring [CDU/CSU]: Ulli, probier’ es mal aus! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Zum Wohl! – Die Rednerin hält ein Glas Wasser hoch und trinkt zwei Schluck – Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)