Rede von Beate Müller-Gemmeke zu Protokoll: Arbeitszeit

19.05.2022

Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Drei Jahre ist es inzwischen her, da hat der Europäische Gerichtshof ein wegweisendes Urteil gesprochen. Und das Urteil hat dann auch große Resonanz und heftige Debatten ausgelöst. Für die Wirtschaft war es sofort ein neues Bürokratiemonster. Es wurde gemunkelt, die Zeit der guten alten Stechuhr sei wieder angebrochen. Gutachten und Gegengutachten wurden beauftragt und erstellt. Irgendwann legte sich dann die Aufregung, und das Urteil verschwand irgendwo in den unergründlichen Tiefen zwischen BMAS und dem Ministerium von Peter Altmaier. Deshalb bedanke ich mich für die Debatte heute. Und deshalb ist es gut und richtig, dass wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben, dass wir das Thema wieder zurück auf die Tagesordnung holen.

Eigentlich ist die Botschaft des EuGH sehr eindeutig und einfach: Die gesamte Arbeitszeit muss erfasst und dokumentiert werden. Wir fordern das schon lange. Und unsere Begründung ist eigentlich ganz einfach: Im Arbeitszeitgesetz steht zwar, dass heute nur die Überstunden dokumentiert werden müssen. Aber wie sollen diese Überstunden eigentlich nachgewiesen werden? Sollen sie Pi mal Daumen geschätzt werden? Die Antwort darauf ist eigentlich ganz logisch. Nur wenn die Beschäftigten wissen, wie viel sie insgesamt gearbeitet haben, wissen sie auch, ob sie zu viel gearbeitet haben. Deshalb muss doch eigentlich schon heute die gesamte Arbeitszeit dokumentiert werden – ganz einfach in einer Excel-Tabelle, per App, Stechuhr oder handschriftlich. Wo ist eigentlich das Problem?

Und die Spielregeln bei der Arbeitszeit machen auch Sinn. Wenn richtig dokumentiert wird, dann werden die Arbeitsstunden sichtbar. Das ist die Voraussetzung, damit alle Stunden auch wirklich bezahlt werden.

Es geht vor allem auch um Arbeitsschutz und damit auch um Gesundheitsschutz. Wer zu lange arbeitet, wird unvorsichtiger, die Unfallgefahr steigt und die Produktivität lässt nach. Das ist alles erwiesen. Aus Sicht der Arbeitsmedizin sind die gesetzlichen Arbeitszeitregeln daher Voraussetzung für eine gesunde und sichere Arbeitswelt. Und dazu braucht es – laut EuGH – eben auch die Aufzeichnung der Arbeitszeit. Es geht um die Menschen, um ihre Gesundheit; es geht um Lebensqualität. Das müssen wir einfach ernst nehmen.

Und dann gibt es ja auch noch die Rechtsgutachten. Professor Bayreuther, der ein Gutachten für das Arbeitsministerium erstellt hat, kommt zu dem Ergebnis, dass die Arbeitszeit tatsächlich dokumentiert werden muss. Zum gleichen Ergebnis kommt aber auch das Gutachten der beiden Juristen Rieble und Vielmeier, die wiederum von Peter Altmeiers Wirtschaftsministerium beauftragt wurden. Ich zitiere: „Das aktuell geltende deutsche Arbeitszeitrecht entspricht den Vorgaben des EuGH nur teilweise, weil es nicht auf alle Arbeitsverhältnisse Anwendung findet. Das nationale Recht muss angepasst werden.“

Das sind bisher die Fakten: Der EuGH fordert die Dokumentation der Arbeitszeit. Die Rechtsgutachten fordern das auch. Es geht dabei um Arbeits- und Gesundheitsschutz. Und deshalb bin ich mir sicher, dass wir vor diesem Hintergrund auch tatsächlich eine gute Lösung auf den Weg bringen.