Rede von Prof. Dr. Armin Grau Zu Protokoll: Suizidprävention

06.07.2023

Dr. Armin Grau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zunächst freue ich mich sehr, dass es jetzt einen geeinten Antrag zur Suizidprävention gibt, denn viele Selbsttötungen sind vermeidbar. Viele Suizidwünsche sind im Grunde verzweifelte Hilferufe und bedürfen unterstützender und beratender Angebote.

Als Neurologe war ich persönlich mehrfach damit konfrontiert, dass Patientinnen und Patienten den Wunsch geäußert haben, ihrem Leben mithilfe anderer ein Ende zu setzen. Meist waren das schwer kranke Menschen. Und ich habe es sehr bedauert, dass es in Deutschland lange keine geeigneten Angebote gab. Die Patientinnen und Patienten bei uns sagten damals: „Ich gehe in die Schweiz“, wo assistierter Suizid möglich war. Ich erinnere mich aber auch an Fälle mit prognostisch gar nicht ungünstigen neurologischen Erkrankungen, bei denen zusätzliche oder begleitende psychische Erkrankungen, vor allem Depressionen, hinter dem Todeswunsch steckten. Hier habe ich auf eine psychiatrische Untersuchung gedrängt, obwohl ich als Neurologe über gewisse eigene psychiatrische Erfahrungen verfüge.

Nicht jede Ärztin/jeder Arzt ist in der Lage, psychische und hirnorganische Erkrankungen, die den freien Willen der Person beeinträchtigen, mit ausreichender Sicherheit auszuschließen. Deswegen ist es dringend erforderlich, dass immer zumindest einmal im Beratungsprozess eine psychiatrische Untersuchung stattfindet.

Der Vorschlag von Castellucci und anderen entspricht dieser Forderung, der geeinte Alternativvorschlag (Renate Künast et al. und Katrin Helling-Plahr et al.) aber nicht. Der letztgenannte zusammengeführte Vorschlag hat meines Erachtens auch weitere Schwächen:

Erstens. Er sieht nur eine, nicht zwei Beratungen bzw. Untersuchungen bis zur Verschreibung des todbringenden Medikaments vor. Angesichts der Veränderlichkeit des Sterbewunschs und der gravierenden Konsequenzen der Entscheidung sind zwei Untersuchungen bzw. Beratungen dringend erforderlich.

Zweitens. Die Missbrauchsgefahren durch geschäftsmäßige Suizidhilfe werden zu wenig beachtet.

Drittens. Außerdem ist nicht ausreichend klar, ob die Beratungsstellen ausreichenden qualitativen Anforderungen genügen werden und wie die Finanzierung geregelt wird.

Andererseits habe ich mir die Frage gestellt, ob die primäre Regelung im Strafrecht, wie sie der Antrag von Castellucci et al. vornimmt, wirklich die beste Lösung darstellt. Eine Regelung in einem eigenen Gesetz wäre mir lieber gewesen. Ich hatte deshalb immer gehofft, dass am Ende eine Zusammenführung aller Anträge gelingen könnte, habe aber den Antrag von Castellucci et al. unterstützt und werde angesichts der aktuellen Alternativen mit gutem Gefühl für diesen Vorschlag stimmen.

Eine gute Regelung müsste meines Erachtens zwei Untersuchungen und Beratungen in geeignetem zeitlichem Abstand umfassen, von denen immer mindestens eine durch eine Psychiaterin/einen Psychiater/eine Psychotherapeutin/einen Psychotherapeuten durchgeführt werden muss, bei psychischer Erkrankung bzw. nicht sicher auszuräumendem Verdacht auch die zweite; in anderen Fällen könnte die zweite Untersuchung/Beratung auch durch eine Nicht-Psychiaterin/einen Nicht-Psychiater durchgeführt werden. Die Anforderungen an die Beratungsstellen müssen ausreichend hoch sein; sie müssen multidisziplinär besetzt sein, ärztliche Kompetenz muss unbedingt dabei sein. Schließlich bleibt zu betonen, dass einem Missbrauch in Form gewerblich orientierter Suizidhilfe klar entgegengewirkt wird.