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Klausur des Fraktionsvorstandes der Grünen Bundestagsfraktion

Anlässlich der Klausur des Fraktionsvorstandes der Grünen Bundestagsfraktion erklären die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann:

Katharina Dröge:

Herzlich willkommen zur Klausur des Fraktionsvorstands der Grünen-Bundestagsfraktion. Wir sind heute zusammengekommen, um darüber zu beraten, was aus unserer Sicht jetzt in den nächsten Wochen und Monaten notwendig ist. 

Der Bundeskanzler hat ja angekündigt: Wir schauen auf einen Herbst der Reformen. Wenn wir uns die Zusammenarbeit der Bundesregierung anschauen, dann befürchten wir, dass diese Koalition eher in einen Herbst des Streits hineinsteuert. Schließlich hat der Bundeskanzler der SPD schon die Ansage gemacht: Wir können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten, wir leben über unsere Verhältnisse, und die SPD muss da halt durch. Wir finden, das ist die falsche Art und Weise, als Bundeskanzler zu sprechen. Es ist auch die falsche Art und Weise, eine Koalition zu leiten. Aber vor allen Dingen ist es in der Sache nicht das Richtige für das Land und das, was jetzt notwendig ist. 

Wir fragen uns, ob es in dieser Zeit eigentlich noch möglich ist, eine zukunftsorientierte Politik zu machen. Die wirklich relevanten Reformen und die großen Fragen, die jetzt anstehen, politisch zu lösen, statt in Bullshit-Debatten abzurutschen und sich gegenseitig das Leben schwerzumachen. Das wäre unsere Erwartung an diese Bundesregierung, dass sie das hinkriegt. 

Ich nenne Ihnen dazu drei Themen. Das erste Thema ist Klimaschutz. Es ist die große Frage für die künftigen Generationen. Es ist aber auch jetzt eine relevante Frage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Zukunft unserer Industrie. Die aktuelle Geisterfahrt von Frau Reiche, die ankündigt, die Förderung für Solar für private Haushalte zu kürzen, fossiles Gas zu subventionieren aus dem Klimafonds, und jetzt das Signal, vor Borkum soll weiter fossiles Gas abgebaut werden, ist inakzeptabel. Eine Politik, die auf gigantische Mengen an fossilen Gaskraftwerken setzt, ohne den Weg in Richtung Wasserstoff zu gehen, verbrennt unsere Zukunft und schadet der Wirtschaft in Deutschland. Wenn Frau Reiche und Herr Merz so weitermachen, dann kündigen wir im Deutschen Bundestag einen Herbst des Klimawiderstandes an. Wir werden das dieser Regierung nicht durchgehen lassen. Was es im Gegenteil jetzt bräuchte, ist mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Es braucht ein Recht auf Solar, das jedem Bürger zusichert: Du bekommst weiterhin einen Anschluss und eine angemessene Förderung. Gerade dort, wo die Bürger mitmachen und Geld verdienen, den Rotstift anzusetzen, ist aus meiner Sicht die unsinnigste Politik, die man machen kann – auch für die Akzeptanz der Energiewende.

Das zweite Thema ist die Wirtschaftspolitik. Die Wirtschaftsdaten sind schlecht und deshalb bräuchte das Land eine Regierung, die handelt. Wir bringen ganz konkrete Vorschläge mit, wie kurzfristig gehandelt werden könnte, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Die Energiepreise müssen runter, das heißt, die Stromsteuer muss vollständig abgesenkt werden – auch für die privaten Haushalte, auch für das Handwerk, auch für kleine und mittelständische Unternehmen. Wir haben jetzt die Chance, wirklich zu investieren in ein Land, das funktioniert, in eine zukunftsfähige Wirtschaft. Aber indem die Regierung im aktuellen Bundeshaushalt 16 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen wegtrickst und nicht zusätzlich investiert, schadet sie der Wirtschaft. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf: Vollständig investieren für unseren Wirtschaftsstandort!

Dazu gehört auch: Europäische Zusammenarbeit statt geschlossener Grenzen. Alexander Dobrindt persönlich ist eine Bremse für die Wirtschaft. Deswegen braucht es hier eine Kehrtwende. Es braucht jetzt wieder gemeinsame offene Grenzen statt Staus an den Grenzen. Außerdem braucht es weniger Verunsicherung in der Klimawirtschaft und weniger Abhängigkeit von fossiler Energie. Der Zolldeal zwischen der EU und den USA, für den Friedrich Merz mitverantwortlich ist, der führt jetzt schon zu einer erheblichen Verunsicherung und Belastung der Wirtschaft. Die Mittelstandsvertreter sprechen bereits von einer Insolvenzzunahme, die sie aufgrund dieses Zollabkommens befürchten. Deshalb braucht es aus unserer Sicht eine Politik, die auf echte Zusammenarbeit mit anderen Regionen der Welt setzt, und eine Politik, die nicht fossiles Gas aus den USA importiert, sondern heimische regionale Wirtschaftsleistung stärkt.

 Als nächstes Thema möchte ich auf die Grünen selbst eingehen. Sie werden sich fragen: Robert Habeck hat sich entschieden, nicht mehr dem Deutschen Bundestag anzugehören – wohin gehen die Grünen? Wir sagen: Es ist ganz klar, wohin die Grünen gehen. Es ist auch ganz klar, wofür es die Grünen braucht: Für den Kampf um Klimaschutz, für mehr Gerechtigkeit, für ein bezahlbares Leben, für eine vernünftige, zukunftsfähige Wirtschaftspolitik. Vor allem aber brauchen wir einen politischen Stil, der sich nicht am Wettbewerb der Populisten beteiligt, der sich nicht in die Spirale all derjenigen hineinziehen lässt, die den Ton immer lauter, immer schriller und immer überzeichneter setzen. Wir glauben, dass es in diesem Land weiterhin eine politische Kraft braucht, die sagt: Schaltet mal den Kopf ein! Lasst uns überlegen, was uns verbindet und wie wir eine ordentliche gemeinsame Politik hinkriegen. Und nicht nur zu überzeichnen. Das ist unser Weg. 


Britta Haßelmann: 

Bereits nach 120 Tagen ist diese Regierung so weit, einen Neustart in Würzburg ausrufen zu müssen. Ein Friedensgipfel statt der angekündigten Reformen, das ist die Bilanz der Regierung bisher. Deutlich zeigt sich: Es braucht eine starke Opposition im Deutschen Bundestag. Als die sehen wir, Bündnis 90/Die Grünen, uns – mit klarem Kompass, klarer Haltung und inhaltlichen Konzepten. Es geht nicht um Populismus, sondern um inhaltliche Arbeit. 

Ja, es braucht Reformen des Sozialstaats, aber keinen Sozialabbau. Verantwortlich für die finanziellen Probleme im Bundeshaushalt ist nicht der Sozialstaat, sondern es ist die aktuelle Wirtschaftskrise. Mit dieser Grundhaltung gestalten wir unsere Oppositionsarbeit: konstruktiv, klar in der Sache, mit inhaltlichen Vorstellungen. 

Beim Bürgergeld etwa brauchen wir selbstverständlich Bürokratieabbau. Warum müssen Familien zu drei verschiedenen Anlaufstellen gehen, zur Familienkasse, zum Jobcenter und zur Wohngeldstelle? Es gibt zu viele Beispiele dafür, wo im Interesse der Betroffenen Bürokratie abgebaut werden kann und muss. 

Auch die Weiterbildung ist essentiell. Wir haben drei Millionen Arbeitslose aktuell. Diese Menschen können wir doch nicht einfach als faul und arbeitsunwillig abstempeln. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Weiterbildung, dass Qualifizierung, dass Vermittlung in Arbeit sinnvoll und nachhaltig ist. Gleiches gilt für Aufstockerinnen und Aufstocker. 40 Prozent derjenigen, die aufstocken, sind Alleinerziehende. Der größte Anteil davon Frauen. Was sollen diese Beschimpfungen von Friedrich Merz gegenüber diesen Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, Familie und Beruf versuchen in Einklang zu bringen und eben zum Teil - gerade die Frauen - in der Teilzeitfalle stecken. Sie haben keinen Zugang zu Vollbeschäftigung, weil die Situation von Kindertagesbetreuung oder verbindlichem Ganztag immer noch nicht ausreichend ist. All diesen Menschen sollten wir mit Respekt begegnen und ihre Situation verbessern, anstatt sie zu beschimpfen. 

Auch bei der Krankenversicherung brauchen wir tatsächliche Lösungen. Versicherungsfremde Leistungen könnten sehr kurzfristig über einen Steuerzuschuss finanziert werden. Damit würden wir erhebliche Entlastungen erzielen. Eine Notfallversorgungsreform, auch die würde Milliarden einsparen. Effizienz in der ganzen Versorgung ist ein weiteres Stichwort, was wirklich notwendig ist. Langfristig muss natürlich außerdem die Einnahmesituation der Kranken- und Pflegeversicherung verbreitert werden. 

Das sind ganz konkrete Vorschläge von uns. Die Regierung könnte hier die Lebenssituation der Menschen verbessern, anstatt ständig Erwartungen zu wecken, die dann nicht erfüllt werden. 

Wenn wir über den Alltag und die Entlastung von Menschen vor Ort reden, dann müssen wir auch die Kommunen in den Blick nehmen, die Städte und Gemeinden. Denn hier wird Demokratie gelebt und erlebt. Das lebendige Gemeinwesen, das sind auch Schulen, in die Kinder gerne gehen, die nicht unter einem großen Investitionsstau leiden, marode und sanierungsbedürftig sind. Hier gilt es jetzt, die Finanzmittel, die wir mit der Grundgesetzänderung zur Verfügung gestellt haben, auch wirklich einzusetzen. Diese Investitionen müssen bei den Menschen und in den Städten und Gemeinden ankommen. Ob beim Klimaschutz, der Klimaanpassung, der besseren Vorbereitung der Städte und Gemeinden auf diese veränderte Klimasituation oder aber bei der maroden Infrastruktur und der Unterstützung der Investitionen. 

Mit diesen Themen beschäftigen wir uns auch heute bei der Klausur. Auch hier ist die Haltung und die Auffassung klar für Bündnis 90/Die Grünen: Es braucht Veränderung. Der Bund trägt Verantwortung, die Kommunen zu unterstützen. Das ist notwendig in dieser Zeit. 

Ein drittes Thema, mit dem wir uns beschäftigen werden, ist das Thema Sicherheit. Wir haben bei der Grundgesetzänderung dafür gekämpft, dass Sicherheit nicht reduziert wird auf die Frage der Ertüchtigung der Bundeswehr. Die ist notwendig und wichtig, denn Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit sind in Europa, sind für uns in Deutschland seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Putin notwendiger denn je. 

Aber die Sicherheit im Inneren, das waren Katharina Dröge und ich, die bei der Grundgesetzänderung CDU/CSU und SPD aufgefordert haben, hierfür Sorge zu tragen und Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Die kritische Infrastruktur muss besser geschützt sein, die Cybersicherheit verbessert werden. Die Stärkung der ganzen nationalen Sicherheitsdienste ist absolut notwendig. Dazu gehört auch der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz, das sind notwendige Investitionen. Wir brauchen jetzt eine Priorität für die Sicherheit im Inneren, das zeigen Sabotage, Desinformation und Angriffe auf unsere innere Verfasstheit und Demokratie. Deshalb gilt es hier, Finanzmittel, Geld und auch endlich Energie einzusetzen, anstatt nur leere Worte zu verschwenden. 

Zu all diesen Punkten werden wir in den drei Sitzungswochen im September Initiativen und Vorschläge einbringen. Wir werden hart in der Sache sein, wenn es um die Kritik an der Regierung und die Kontrolle dieser Regierung geht – das zeigen die Masken-Deals und die Verantwortung von Jens Spahn –, aber konstruktiv in der inhaltlichen Arbeit für die Zukunft für die Menschen im Land.