Einfach schöner Fußball
Am 15. November 2012 weihte Schweden ihr neues Nationalstadion, die Friends Arena, mit einem Freundschaftsspiel gegen England ein. Ibrakadabra erzielte das erste Tor in der neuen Arena, dann drehte England das Spiel, und dann drehte Ibrakadabra das Spiel wieder. Aber dieser in jeder Hinsicht perfekte Spielverlauf war vollkommen bedeutungslos angesichts dessen, was in der 90. Minute geschah. Langer Ball auf Ibrakadabra, Keeper Hart läuft aus seinem Strafraum heraus, klärt den Ball per Kopf Richtung Außenlinie, läuft zu seinem Tor zurück, Ibrakadabra läuft wenige Meter zurück und macht einen Fallrückzieher aus 30 Metern Entfernung – und zwar den schwierigst möglichen, bei dem er mit dem rechten Fuß abspringt, das linke Bein hoch zieht, waagerecht in der Luft liegt, und dann wiederum mit dem rechten Fuß (mit dem er abgesprungen ist) den Ball schießt. Hart kann nicht mehr eingreifen, Verteidiger Shawcross grätscht noch, aber der Ball fliegt aus 30 Metern! Per Fallrückzieher!! Ins Tor!!! 4:2. Steven Gerrard, Kapitän der englischen Nationalmannschaft in dem Spiel sagte, es sei eines der schönsten Tore gewesen, das er je gesehen habe. Es gibt Menschen, die sagen, dass Fußball nach diesem Tor nie wieder hätte gespielt werden dürfen. Das Spiel war sozusagen ausgespielt, das perfekte Tor erzielt, es gab einfach nichts Schöneres mehr, was der Fußball noch hervorbringen könnte.
Und dennoch gibt es jeden Tag auf der ganzen Welt Menschen, die Fußball spielen, die dies nur deshalb tun, weil es ihnen Freude bereitet und weil sie etwas Schönes vollbringen wollen. Und manchmal versuchen sie dann sogar einen Fallrückzieher.
Als an diesem Montagabend, dem 7. Juli 2025, die Grüne Tulpe gegen die Freizeitkicker von Türkiyemspor antraten, sollte es eindeutig um nichts gehen als darum, schönen Fußball zu spielen. Und beide Mannschaften taten eben das.
Gepflegtes Passspiel, Ballkontrolle im Mittelfeld, geordneter Spielaufbau, präzise Pässe und gewollte Torabschlüsse – und das beschrieb erst, wie die Tulpe spielte. Türkiyem konnte tatsächlich so spielen. Und so gab es wirklich zwei Mannschaften, die schönen Fußball spielten, was eher selten der Fall ist, wenn eine der beiden Mannschaften die Tulpe ist.
Und so kam es in der 15. Minute zu einem Spielzug, der links im voll besetzten Türkiyem-Strafraum Monti fand. Von hier aus gibt es diverse mögliche Verläufe, wie die Szene zu Ende geht. Manche davon sind komisch, viele ein wenig frustrierend, fast beschämend und einige einfach zum Vergessen. Aber Monti wählte den einen einfachen, der einfach schön ist. Er legt den Ball zurück auf Philipp, und der schießt platziert präzise an den rechten Pfosten, von der Keeper dem Ball nur noch hinterherschauen kann, wie er ins linke lange Eck springt. 1:0
Und das Spiel geht weiter auf bestem Fußball-Niveau. Saubere Grätschen, wenig Fouls (die ohne Schiedsrichter zwischen beiden Teams ohne weiteres geklärt werden konnten, auch wenn Moritz damit auf Seiten von Türkiyem über das ganze Spiel hinweg seine Schwierigkeiten haben sollte), sichere Abwehrreihen und trotz gepflegtem Aufbauspiel auf beiden Seiten wenig Torgelegenheiten.
So war es ein Fehlpass im Aufbau von Türkiyem in die Füße von Sebastian, der den Ball sofort nach links rüber ziehen will, da aber keine Tulpe findet und daher wieder nach rechts zieht und den Ball perfekt in den Lauf von Tobi serviert, der von rechts im Strafraum ins lange Ecke vollendet. 2:0
Noch vor der Halbzeit drängte nun Türkiyem auf den Anschlusstreffer und erhöhten den Druck noch nach der Pause. Doch auch wenn nun wenig Entlastung durch die Tulpen-Offensive kam, verteidigte die Defensive doch souverän alle Angriffe weg. Das führte schließlich im linken defensiven Mittelfeld nach Ballgewinn durch die Tulpe zu einer Situation, in der die Anspielstation in der vordersten Reihe fehlte. Doch statt eines Befreiungsschlags aus der eigenen Hälfte spielt David den nächststehenden Mitspieler an, noch immer keine Anspielstation, und wieder spielt Kadir nur einen kurzen Pass im Mittelfeld. Und dann macht sich Jacob an der linken Außenbahn auf, wird lang eingesetzt, spielt seine ganze Schnelligkeit aus, geht in den Strafraum bis zur Grundlinie und legt den Ball zurück, wo Monti und Kadir nachrücken und Kadir den Ball überlegt rechts ins Tor einschiebt. 3:0
So einfach kann Fußball sein und so schön kann die Tulpe an guten Tagen Tore herausspielen.
Türkiyem wollte den Druck nun erhöhen, aber es wurde keine Abwehrschlacht mehr. Jochen im Tor der Tulpe konnte sich gelegentlich auszeichnen, klärte einen Pfostenschuss zur Ecke. Aber meist hielt seine Abwehrreihe dicht.
Und solche Spiele sind für Torhüter enervierend. Da versuchte der Türkiyem-Keeper dann doch wirklich ein Dribbling im eigenen Sechzehner. Monti hetzt ihn quer durch den Strafraum in die Füße von Kadir, an dem er hängen bleibt und der den Ball dann ungehindert ins leere Tor zum 4:0 einschiebt.
Aber Türkiyem blieb ihrem Spiel treu. Ein schon abgewehrter Ball wird vom Spielmacher von rechts noch mal in die Mitte gegeben. Sein Mittelfeld-Kollege zieht mit Ball einige Meter Richtung Strafraum und kommt zum Schuss. Jochen ist in der Ecke, aber kann auf dem seifigen Geläuf nur nach vorne abwehren. Tobi im Laufduell mit zwei Türkiyem-Stürmern, der eine bringt den Ball Richtung Tor, Finn versucht noch vor der Linie zu klären, doch der Ball landet nicht unverdient zum 1:4 im Netz.
Und so kommt zwar nicht wirklich noch Spannung auf, aber es folgen durchaus noch einige gepflegte Angriffe. Und dann kommt es zu diesem einen Moment, wenn die Magie der Schönheit des Fußballs für einen Bruchteil eines Moments möglich erscheint, wenn einer der Spieler vor seinem geistigen Auge sieht, was als nächstes passieren kann, wie er den Ball wie einst Ibrakadabra in der Luft liegend perfekt trifft und die Flugbahn des Balles erst vom Tornetz im Winkel gestoppt wird. Und so läuft ein Tulpenangriff weit am Tor vorbei Richtung Eckfahne. Jacob holt den Ball aber noch, passt ihn zurück auf Sebastian, dessen klägliche Hereingabe geblockt wird, woraufhin er aber seinerseits den ebenso kläglichen Befreiungsschlag von Türkiyems Abwehrrecke blockt und die Bogenlampe vor Toffi niedergeht, der mit dem Rücken zum Tor steht – wie damals Ibrakadabra. Und nun sieht er das Schöne, das der Fußball sein kann. Und Toffi setzt an zum Fallrückzieher. Doch, ach, er ist raus aus dem Alter, als er für einen Fallrückzieher noch absprang. Er setzt den Begriff eher wörtlich um: arthritisch fällt er auf den Rücken und zieht sein Bein rheumatisch hoch. Aber immerhin trifft er den Ball, und der macht auch eine Kurve, keine Flugbahn, eher so ein Strumpfschuss, der sich in die Arme des Torhüters dreht.
Aber dennoch, dafür spielen Menschen Fußball: Nicht um Maradona, Messi oder Ibrahimovic zu wiederholen, sondern um ihnen ein Denkmal zu setzen und die Möglichkeit des Schönen als Kontingenz all dessen, was der Fußball als Allegorie auf die Gesellschaft erschaffen kann, immer aufs Neue zu manifestieren.