Rede von Marlene Schönberger Aktuelle Stunde „Antisemitismus“

Marlene Schönberger MdB
20.03.2024

Marlene Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ätzender Antisemitismus in studentischen Chatgruppen, das Niederbrüllen oder Vertreiben von jüdischen oder israelischen Podiumsgästen, schauspielerische Performances, die Terror glorifizieren, rechtsextreme Flugblätter voller Vernichtungsfantasien – gerade noch schlau genug, das Wort „Juden“ nicht zu nennen –: alles nicht strafbar, aber für Betroffene von Antisemitismus macht es den Alltag zum Horror.

Die RIAS-Auswertung zeigt: Antisemitische Vorfälle finden meistens unterhalb der Strafbarkeitsgrenze statt. Mit Law-and-Order-Politik kommen wir hier nicht weiter. Wir müssen das antisemitische Denken an der Wurzel packen! Wir müssen alle, die jetzt noch schweigen, für den Kampf gegen den Antisemitismus gewinnen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Es waren unser Wegsehen und die fehlenden Reaktionen in der Gesellschaft, die die Eskalation der letzten Wochen erst möglich gemacht haben. Die Sorge von Jüdinnen und Juden wurde heruntergespielt: Es seien Einzelfälle, Jugendsünden. Es sei alles nicht so gemeint. – Man spricht darüber, ob der Vorwurf nun gerechtfertigt war, anstatt über den Antisemitismus an sich. Das muss aufhören!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich danke Ihnen für die Möglichkeit, heute über Antisemitismus zu sprechen. Und auch wenn es heute glücklicherweise nicht im Vordergrund stand: Bitte hören Sie auf, den Kampf gegen Antisemitismus für Anti-Woke-Debatten oder für migrationsfeindliche Ziele zu missbrauchen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Die Rede war wohl schon vorher fertig!)

Bitte hören Sie auf, immer nur über den Antisemitismus der anderen zu sprechen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!)

Unser Ziel muss doch sein, den Antisemitismus wirklich in den Köpfen der Menschen, in der ganzen Gesellschaft, zu bekämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Nehmen Sie mal Ihre Vorwürfe zurück! Reden Sie mal über Frau Roth! – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das erreichen wir nur mit Bildung, mit Bildungsarbeit, die die Perspektiven von Menschen ernst nimmt und sie erreicht.

(Maximilian Mörseburg [CDU/CSU]: Bildung für die Staatsministerin, oder wie?)

Pädagoginnen und Pädagogen, die antisemitismus- und rassismuskritische Bildungsarbeit machen, berichten von einer massiven Verunsicherung bei jungen Menschen mit Migrationsgeschichte – mit und ohne deutschen Pass.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ich würde es von Abgeordneten erwarten, dass sie flexibler auf die Debatte reagieren können!)

Der Grund: Konservative und Rechte, die meinen, das deutsche Antisemitismusproblem, das wir seit Jahrhunderten haben, durch Abschiebungen lösen zu können.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Unmöglich! Also, wirklich!)

Bildungsarbeit leidet massiv, wenn sich junge Menschen nicht mehr trauen, ihre Gedanken oder Gefühle zur Situation in Israel oder in Gaza zu teilen, weil sie denken, dass man abgeschoben werden kann, wenn man die falschen Worte wählt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Aber im Austausch kann man lernen, wenn man offen reden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Instrumentalisierungsversuche bremsen den Kampf gegen den Antisemitismus. Das können wir uns nicht leisten. Packen Sie stattdessen zusammen mit uns an!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das heißt: Zusammen

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Da klatscht schon fast niemand mehr! Wahnsinn! Setzen Sie sich wieder hin, Frau Schönberger!)

– gerne mal zuhören –

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein, das lohnt sich nicht! Die Rede ist schon drei Tage alt!)

mit den Ländern ran an die Lehrkräfteausbildung, an die Lehrpläne, an die Schulbücher. Der Bund ist vorangegangen. Trotz knapper Haushaltslage geht 2024 so viel Geld wie nie zuvor in die Bildungsarbeit gegen Antisemitismus. Das ist nur ein Anfang, aber ein Riesenschritt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn! Mal sehen, ob sie wieder einen Listenplatz bekommt nach dieser Rede!)

Es muss weitergehen, unter anderem mit dem Demokratiefördergesetz. Der Zentralrat der Juden hat gestern klargestellt, dass jedes weitere Zögern zulasten der Betroffenen geht. Lassen Sie uns dieses Gesetz endlich beschließen und einen weiteren Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus leisten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Ria Schröder [FDP])

Der Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz, in dem die Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ der IHRA angenommen wurde, sowie der durch die KMK verabschiedete Aktionsplan müssen umgesetzt werden. Studierende und Angestellte der Universitäten, die Antisemitismus befeuern, müssen mit klaren Konsequenzen rechnen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

Antidiskriminierungsstellen der Universitäten müssen zu Antisemitismus geschult werden, um Jüdinnen und Juden unterstützen zu können. Inhalte zu Antisemitismus und jüdischem Leben müssen prüfungsrelevanter Teil akademischer Ausbildung sein; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wirksamer Kampf gegen Antisemitismus braucht Pädagoginnen und Pädagogen, Dozierende, Juristinnen und Juristen, Kuratorinnen und Kuratoren und Politiker/-innen, die begreifen, was Antisemitismus ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maximilian Mörseburg [CDU/CSU]: Wie wäre es denn mit Zivilcourage?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen klaren Willen, Bildung und Solidarität mit Jüdinnen und Juden. Wir brauchen keinen Aktionismus, sondern nachhaltige Lösungen im Kampf gegen den Antisemitismus.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn! Das war ja gar nichts!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Die nächste Rednerin ist Nicole Gohlke für die Gruppe Die Linke.

(Beifall bei der Linken)