Rede von Sven-Christian Kindler Allgemeine Finanzdebatte

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05.09.2023

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Meine Damen und Herren! Nach diesen Verschwörungsideologien will ich jetzt wieder zurück zur Sache und zum Haushalt kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Lachen bei Abgeordneten der AfD – Peter Boehringer [AfD]: Rechnen Sie einfach mal, Herr Kollege!)

Wir erleben ja eine Haushaltsdebatte in sehr ernsten, schwierigen Zeiten, wo sich verschiedene Krisen überlappen. Wir erleben einen brutalen Krieg mitten in Europa, ausgelöst durch den russischen Imperialismus, der massive Auswirkungen hat auf unsere Energieversorgung, auf die Inflation, auf die Wirtschaft.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Wir erleben eine Weltwirtschaft in Turbulenzen, insbesondere in China, was sich auch auf unsere Volkswirtschaft, die extrem exportabhängig ist, dramatisch auswirken kann. Und wir haben eine Klimakatastrophe, die sich schon jetzt zeigt, die sich an Extremwettern zeigt, an Hitze und Dürre.

(Enrico Komning [AfD]: Was wir in Deutschland aber nicht ändern können! – Weiterer Zuruf von der AfD: Alles gleichzeitig! Ja!)

Das haben wir diesen Sommer in vielen Regionen der Welt erlebt.

Gleichzeitig erleben wir leider hier im Parlament und auch anderswo Rechtsextremisten, die die Demokratie angreifen wollen. Wir erleben, dass Rassismus und Antisemitismus

(Enrico Komning [AfD]: Hass und Hetze!)

– und „Hass und Hetze“, genau – von Ihnen hier im Parlament offen ausgetragen werden, wogegen wir uns als Demokratinnen und Demokraten immer wieder einsetzen werden und was wir zurückweisen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Enrico Komning [AfD]: Kommen Sie mal zum Haushalt!)

In dieser Zeit brauchen wir einen Haushalt, der den sozialen, den gesellschaftlichen, den demokratischen Zusammenhalt stärkt.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Darauf gibt der Haushaltsentwurf an vielen Stellen schon wichtige Antworten; aber an manchen Stellen werden wir im Parlament noch um die gemeinsamen Antworten ringen und sie uns auch gemeinsam erarbeiten müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Bis Ende November haben wir ja Zeit. Wir werden diesen Haushaltsentwurf im Haushaltsausschuss des Bundestages intensiv beraten. Wir sagen sehr klar: Wir im Parlament wollen den Bundeshaushalt 2024 gemeinsam beraten, gemeinsam erarbeiten. Wir wollen den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken, in den Kommunen, in Deutschland, in Europa und auch den Zusammenhalt in der ganzen Welt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zentral für den Zusammenhalt ist die Frage: Wie geht es weiter? Wie schaffen wir es angesichts einer eskalierenden Klimakrise, den Klimaschutz zu verbinden mit wirtschaftlichen Antworten für Industrie, Mittelstand und Handwerk, mit guten Arbeitsplätzen, die wir erhalten, und guten neuen Arbeitsplätzen, die wir schaffen? Eine zentrale Antwort, die die Haushalts- und die die Finanzpolitik geben kann, sind öffentliche Investitionen. Öffentliche Investitionen haben einen großen Hebel für private Investitionen. Der Hebel ist 1 : 3 im Durchschnitt, in manchen Fällen 1 : 10.

Dieser Haushaltsentwurf gibt zentrale Antworten. Wir investieren nämlich in öffentliche Güter; Dennis Rohde und der Finanzminister haben darauf hingewiesen. Wir haben im Kernhaushalt 54 Milliarden Euro Investitionen, und wir haben im Klima- und Transformationsfonds 36 Milliarden Euro Investitionen. Das sind 90 Milliarden Euro, die wir hier in Deutschland im nächsten Jahr tätigen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir investieren in Wasserstoff. Wir investieren in den Umbau der Industrie und in Energieeffizienz. Wir investieren so, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Heizungen austauschen können, dass sie ihre Wohnungen sanieren können. Wir investieren auch endlich mehr Geld in die Schiene als in die Straße. Wir werden mit diesem Bundeshaushalt 2024 die Investitionen gegenüber denen der alten CDU-geführten Regierung fast verdoppeln. Das ist der nachhaltige Weg für eine gute wirtschaftliche Entwicklung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Gleichzeitig ist klar: Die Wirtschaft ist in einer Rezession, vor allen Dingen durch die weltwirtschaftlichen Entwicklungen. Die Regierung hat sich entschieden, für 2024 keine notfallbedingten Kredite aufzunehmen. Wir haben trotzdem einen riesigen Investitionsstau in Deutschland. Wir haben riesigen Investitionsbedarf beim klimaneutralen Umbau, bei der Digitalisierung, bei der Verkehrswende, bei der Bahn, bei Schulen, im Bildungsbereich, eigentlich in sehr vielen anderen Bereichen.

Herr Middelberg, Sie haben das Thema Investitionen angesprochen. Aber natürlich ist klar, dass die Ampelkoalition nicht in zwei Jahren all den Investitionsstau aufräumen kann, den wir nach 16 Jahren CDU-geführter Regierung haben. Das ist doch das wahre Problem. Sie haben uns einen riesigen Scherbenhaufen hinterlassen, ein schweres Erbe, das wir jetzt aufräumen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir sind im globalen Wettbewerb, insbesondere mit Ländern wie den USA, die jetzt mit dem neuen Ansatz der Bidenomics und dem Inflation Reduction Act eine kleine Revolution starten bei der Frage, wie man Klimaschutz und erneuerbare Energien verbinden kann mit guten, neuen Arbeitsplätzen und mit Industriestrukturen. Deswegen ist es richtig, dass wir auch im parlamentarischen Raum weiterhin politisch darüber diskutieren werden: Wie können wir angesichts des riesigen Investitionsbedarfs, angesichts der globalen Herausforderungen in diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten – auch mit den USA und dem Inflation Reduction Act – einen makroökonomischen und fiskalischen Impuls setzen, und wie können wir weiter dauerhaft unsere öffentlichen Investitionen erhöhen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir als Grüne sind davon überzeugt, dass wir weiter darüber reden müssen: Wie können wir auch in Zeiten der Klimakrise klimaschädigende Subventionen abbauen und damit mehr Spielräume schaffen? Wie können wir eine Steuerpolitik machen, die gerechter ist, die auch die Reichen stärker in die Verantwortung nimmt?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist richtig, dass das Bundeskabinett jetzt das Wachstumschancengesetz beschlossen hat. Wir unterstützen als Grüne ganz klar die Investitionsanreize, die dort gesetzt werden, insbesondere die Klimaschutz-Investitionsprämie und andere Bereiche, die dazu führen werden, dass wir mehr private Investitionen anreizen.

Gleichzeitig sage ich aber als Haushälter: Wir müssen auch gucken – wie in allen anderen Einzelplänen, auch bei der Frage Mindereinnahmen –: Was ist sinnvoll, was hat eine gute Kosten-Nutzen-Effizienz, und was sind am Ende nur teure Mitnahmeeffekte, was erhöht nicht Investitionen, sondern Unternehmensgewinne? Auch das werden wir uns im parlamentarischen Verfahren sehr genau anschauen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Christoph Meyer [FDP])

Es ist ökonomisch klug, jetzt auch die Binnennachfrage zu stärken, gerade weil wir die Exportabhängigkeit damit auch verringern. Genau das machen wir mit der Kindergrundsicherung, und das machen wir mit dem erhöhten Bürgergeld, das wir jetzt im Haushaltsverfahren umsetzen werden. Das geht eins zu eins in die Nachfrage. Das stabilisiert Unternehmen, das stabilisiert Arbeitsplätze. Das ist eine kluge Wirtschaftspolitik auf Höhe der Zeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir spielen, Herr Middelberg, wirtschaftliche Entwicklung nicht gegen soziale Gerechtigkeit aus, wie es die Union macht, sondern wir denken beides zusammen. Wir wollen Menschen in Not helfen. Wir wollen ihnen Chancen geben, damit sie nicht am Rande der Gesellschaft sein müssen, sondern mitten in der Gesellschaft teilhaben können. Damit stärken wir den ökonomischen und den sozialen Zusammenhalt. Das ist kein „Klimbim“, das ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Middelberg, Sie haben gesagt, man müsse auch mal sparen. Ehrlich gesagt, habe ich keine konkreten Vorschläge gehört, wo Sie im Haushalt konkret sparen wollen. Da war nichts zur Gegenfinanzierung.

Ich kann Ihnen sagen, was wir uns in der Vergangenheit hätten sparen sollen: Wir hätten uns das Mautdesaster sparen sollen, das jetzt 243 Millionen Euro kostet, wo uns viel Geld konkret fehlt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das hätten wir uns sparen sollen, Herr Middelberg.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Rede hätten Sie sich auch sparen können!)

Ich weiß, es kommt zu verschiedenen Punkten dieses Bundeshaushalts Kritik, gerade wegen erheblicher Einsparungen, zum Teil bei sozialen Programmen, bei der Frage der Demokratieförderung, Integration, Umweltprogrammen oder internationaler Gerechtigkeit. Das wissen wir. Wir haben die Kritik sehr wohl vernommen. Wir haben den Haushaltsentwurf sehr genau gelesen. Wir sind auch als Fraktion nicht mit allem einverstanden. Wir werden darüber ringen. Es wurde gesagt, was wir jetzt im parlamentarischen Verfahren machen. Aber in jedem Haushaltsverfahren – nicht nur im Haushaltsverfahren dieser Koalition, sondern auch in den Haushaltsverfahren vergangener Zeiten – war es übrigens so, dass die Haushälterinnen und Haushälter, das Parlament der Haushaltsgesetzgeber ist; wir entscheiden am Ende darüber, wie der Bundeshaushalt 2024 aussieht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich kann Ihnen sagen: Wir wollen einen Haushalt, der den Zusammenhalt stärkt. Wir werden zentral an Veränderungen und Verbesserungen arbeiten. Ich freue mich auf die Beratungen, wie wir diesen Bundeshaushalt noch besser und gerechter machen können.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Dr. Gesine Lötzsch.

(Beifall bei der LINKEN)