Lamya Kaddor
12.04.2024

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich glaube, die AfD ist die letzte Partei, die hier glaubwürdig den Kampf gegen Antisemitismus für sich proklamieren kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Hass und Hetze sind Jüdinnen und Juden in diesem Land inzwischen lange gewohnt. Selbst körperliche Gewalt müssen sie über sich ergehen lassen. Verschwörungen über jüdisches Leben und Wirken müssen sie qualvoll ertragen. Für alles Übel in der Welt verantwortlich gemacht zu werden, ist ein altes antisemitisches Narrativ, das seit Jahrhunderten existiert, und die Auseinandersetzung damit ist Teil jeder jüdischen Identität weltweit. Jüdischsein bedeutet, immer wieder in Ungewissheit über die eigene Sicherheit zu leben, andauernd die eigene Identität und das Selbstverständnis erklären oder rechtfertigen zu müssen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Nicht in Ungarn!)

Zu all dem Leid kommt, dass von Jüdinnen und Juden weltweit vielfach erwartet wird, nicht so oft über diese Diskriminierung zu sprechen, ihre Erfahrungen herunterzuschlucken und einfach nicht weiter aufzufallen.

Aber geht es nicht endlich auch darum, dass wir uns selbst stärker die Frage stellen, was Bürgerinnen und Bürger mit jüdischem Glauben eigentlich von uns als Nichtjuden erwarten? Was erwarten Jüdinnen und Juden von uns in der Politik, wenn sie tagtäglich latenten und manifesten Antisemitismus erfahren, wenn sie Angst um ihre Kinder in Kindergärten, Schulen und Universitäten haben, wenn sie in ihre Synagogen und Gemeinden gehen und eine Kippa, einen Davidstern tragen wollen?

Was sie jedenfalls nicht erwarten, sind Floskeln, leere Worte und vor allem parteipolitische Manöver, bei denen sie selbst allenfalls ein Mittel zum Zweck sind, ein austauschbares Mittel zum Zweck. Die jüdische Community erwartet zu Recht, dass wir als demokratische Fraktionen dieses höchsten Hauses des Landes unsere parteipolitischen Interessen zur Seite stellen

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Deshalb stimmen Sie zu?)

und uns, verdammt noch mal, zu einer gemeinsamen, unmissverständlichen und wahrhaftigen Reaktion zusammenraufen – bei allen Differenzen und Streitereien zwischen und innerhalb Regierung und Opposition, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Die Bekämpfung des Judenhasses ist und bleibt eine zu tragende Rolle und Säule unseres demokratischen Staates, und zwar nicht nur wegen der singulären Vernichtungsmaschinerie, die unsere Vorfahren mit dem Zivilisationsbruch der Shoah über dieses Land gebracht haben, sondern auch wegen des Hier und Jetzt im 21. Jahrhundert. Es kann nicht sein, es darf nicht sein, dass die Union den interfraktionellen Weg verlässt und ihre eigenen Anträge in das Plenum einbringt.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir? Sie haben ihn verlassen! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nach einem halben Jahr! Menschenskinder! Sie kriegen es nicht hin! Sie sind gerade die Richtige! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

– Ja, ich hätte mir auch eine schnellere Einigung gewünscht, Herr Frei.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Hier jetzt aber mit dem Finger auf uns zu zeigen und zu sagen, wir seien schuld, das ist bei einem für unser Land mit seiner Geschichte und Zukunft so fundamentalen Thema wirklich absolut nicht angebracht. So etwas darf es nicht geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nee, vielleicht sollte in Ihrer Koalition dieses Thema jemand anderes bearbeiten und nicht Sie! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ich bin fassungslos!)

Liebe Union, kommen wir mal zu Ihren Anträgen, die wir heute hier debattieren. Sie weisen leider den immergleichen parteipolitischen Reflex auf:

(Zuruf von der CDU/CSU: Was?)

Wenn es um Antisemitismus geht, wollen Sie stets mit dem Finger auf Minderheiten zeigen, Ihre politischen Gegner.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Auf die Minderheit der Straftäter!)

Dass aber Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft, auch wenn hier negiert, existiert

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Die Minderheit der Straftäter, das ist unsere Zivilgesellschaft, oder was?)

und wir uns alle selbst immer wieder reflektieren müssen, kommt bei Ihnen kaum vor, und das, obwohl laut Mitte-Studie über 20 Prozent der Deutschen offen antisemitische Einstellungen haben,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Gibt’s sogar bei den Grünen!)

antisemitische Narrative bis weit in die gesellschaftliche Mitte anschlussfähig sind

(Beatrix von Storch [AfD]: Die Gewalt geht von den Muslimen mehrheitlich aus!)

und selbst die CSU in Bayern es nicht schaffen konnte, einen Wirtschaftsminister und Vizepräsidenten mit antisemitischer Vorgeschichte aus dem Kabinett zu entlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Schauen Sie, jetzt sehen Sie das Problem, das wir mit Ihnen haben! – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wie sollen wir denn da jetzt zu einem Konsens kommen? – Alexander Throm [CDU/CSU]: Peinlich! Peinlich ist das!)

Angesichts dessen empfinden wir den von Ihnen gewählten Weg – sechs Monate nach dem 7. Oktober – als befremdlich, unangemessen und als Zeichen, dass Ihnen jegliche Empathie für ebenjene fehlt,

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU], an den Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Konstantin, ihr müsst die einfangen!)

die tagtäglich beim Betreten jüdischer Einrichtungen erst einmal Personenkontrollen über sich ergehen lassen müssen wie am Flughafen, für Eltern, die zunächst eine Einweisung in sicherheitsrelevante Verhaltensweisen bekommen müssen, bevor sie ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen dürfen.

Ihre Irrungen und Wirrungen, verehrte Vertreterinnen und Vertreter von CDU und CSU, zeigen sich auch daran, dass ausgerechnet einige Ihrer Mitglieder eine linke, antideutsche Band zum Kronzeugen machen und ein Lied der Antilopen Gang in den sozialen Netzwerken teilen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Anti-woke! Ganz schlimm!)

Allerdings machen die Zeilen des Liedes „Oktober in Europa“, das am letzten Wochenende veröffentlicht wurde, tatsächlich auf künstlerische Weise gut deutlich, wie sich Jüdinnen und Juden nach dem 7. Oktober 2023 in Deutschland fühlen. Es heißt darin – ich zitiere –:

„Mein Taxifahrer redet wie ein Nazi Führe lieber keine Diskussionen auf der Party Freunde und Freundinnen mit starken Überzeugungen Hamas-Propaganda an Kreuzberger Häuserwänden Osama wird auf TikTok zum Superstar Linke Tasche Pepperspray, rechte Tasche Kubotan Sie zieht die Kapuze tiefer ins Gesicht Omas Kette mit dem Stern trägt sie lieber wieder nicht“

Die kontroversen Reaktionen auf den Song zeigen die Ambivalenz unserer deutschen Debatte: zum einen lautstarke Kritik von links, die eigentlich eben auch aus dem linken Lager stammenden Künstlern vorwirft, zur falschen Zeit die falschen Schwerpunkte zu setzen und so das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza zu relativieren, zum anderen Zustimmung von Menschen, die zumindest nicht linker Politik verdächtig sind. Irgendetwas scheint hier in Schieflage geraten zu sein.

Liebe Union, das Gute und Wichtige jenseits angesprochener inhaltlicher Differenzen ist jedoch:

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine absurde Rede!)

Sie können direkt wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. Wir haben einen geeinten Ampelantrag. Es stimmt also nicht, zu behaupten, wir hätten keinen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn? – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wo ist er denn?)

– Der liegt seit Montagabend vor.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Montagabend!)

Ich habe mehrfach vorgeschlagen, Ihnen den zuzuschicken. Den wollten Sie bisher nicht.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was? So ein Blödsinn! Das ist ja ehrabschneidend, was Sie hier erzählen! – Alexander Throm [CDU/CSU]: Peinlich, peinlich! – Zurufe der Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU] und Beatrix von Storch [AfD])

– Ja, das ist die Wahrheit. Ich habe ihn dabei. Sie können ihn direkt schriftlich haben. Ausgedruckt liegt er da vorne.

Josef Schuster sagte diese Woche – ich zitiere, und ich komme zum Ende –:

„Der Schutz jüdischen Lebens lässt keinen Raum für politisches Taktieren … Die Fraktionen sind in der Pflicht, den Geist der ursprünglichen Anträge zu erhalten und eine fraktionsübergreifende Antwort auf den anhaltenden Judenhass im Land zu geben.“

Wir bitten und hoffen, gemeinsam diesem Auftrag gerecht zu werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächste hat das Wort für die FDP-Fraktion Linda Teuteberg.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)