Rede von Britta Haßelmann Bürgergeld

Foto von Britta Haßelmann MdB
Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski
10.11.2022

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über eine der größten Sozialreformen der letzten Jahrzehnte, nämlich das Bürgergeld, ist eine sehr wichtige, und sie wird sehr kontrovers geführt.

Lieber Hermann Gröhe, ich habe Sie hier schon sehr oft reden gehört, und ich schätze Sie sehr.

(Beifall des Abg. Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU])

Aber Ihre Rede hat gezeigt, wie schwer es Ihnen fällt, die Position von Friedrich Merz und Söder zu vertreten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Überhaupt nicht! – Marc Biadacz [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Meine Damen und Herren, wer keine Argumente in der Sache hat, verliert sich im Verfahren,

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Die Ampel verliert sich in Beschimpfungen! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wieder mal nicht zugehört! Diese Rede fängt ja schon mit der Themaverfehlung an! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn!)

und das wird dem Anliegen, das mit dem Bürgergeld verbunden ist, den vielen Menschen, die davon profitieren werden und die betroffen sind, in keiner Weise gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und eins steht auch fest: Friedrich Merz spitzt zwar die Lippen öffentlich, ergeht sich in Vorurteilen gegenüber Menschen, die betroffen sind, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, die arm sind, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind, schürt Sozialneid ohne Ende – eine solche soziale Kälte in Krisenzeiten: kaum zu ertragen und verantwortungslos –,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

aber hier im Parlament kneift er heute.

(Tino Chrupalla [AfD]: Das ist die CDU! So kennt man die CDU!)

Es ist auch einfacher, Interviews zu geben, bei denen keiner widersprechen kann, meine Damen und Herren.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Was?)

Denn heute wären wir mit Ihren Argumenten, die Sie öffentlich anführen, und mit Ihnen hier scharf ins Gericht gegangen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Macht es halt einfach! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ja, Sie stehen doch am Rednerpult! Sagen Sie doch mal was zur Sache! Erklären Sie doch mal Ihre Argumente! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Job verfehlt! – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Wie gehen Sie mit Kritik um?)

Aber es geht halt um die Lebenswirklichkeiten; die sind in diesem Land verschieden. Wie soll sich jemand, der in einer ganz anderen Lebenswirklichkeit lebt und sich vielleicht überlegen muss, ob er zur Party mit dem Privatjet oder mit dem Auto oder dem Zug kommt,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sozialneid, oh Sozialneid! Wo ist denn der Sozialneid? Das ist ja peinlich, wirklich peinlich! Selbst der FDP ist das auch peinlich! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Kein Jet, Frau Kollegin! Das ist ein Unterschied! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Um Gottes willen! Sie haben keine Argumente, keine Argumente! – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Mein Gott!)

in die Lebenswirklichkeit einer alleinerziehenden Frau versetzen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

die überlegen muss, ob sie ein paar neue Turnschuhe für das Kind kaufen kann oder ob sie vielleicht heute einen Ausflug in eine Eisdiele machen kann und mehr als drei Kugeln Eis für ihre drei Kinder drin sind?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Also, Entschuldigung, wovon reden Sie eigentlich? – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist ja peinlich!)

Da kann man auch nicht erwarten, dass man sich da hineinversetzen kann. Aber was ich von Ihnen erwarte, ist Respekt,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Respekt vor der Lebenslage eines jeden Menschen, und den haben Sie nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Reden Sie nicht von Respekt!)

Meine Damen und Herren, das Bürgergeld ist viel mehr als eine Regelsatzerhöhung, und deshalb beschließen wir es heute auch insgesamt.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Die Rede wäre mir peinlich!)

Es ist Reform des Arbeitsmarktes. Es wird Veränderungen bringen;

(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Bringen Sie doch mal Sachargumente! Das ist nicht zu fassen!)

denn das Bürgergeld schafft Qualifizierung und Weiterbildung. Es schafft Perspektiven für Menschen. Selbstverständlich geht es um Vermittlung. Aber es geht nicht mehr einfach nur um bloße Vermittlung, sondern um Qualifizierung und Beschäftigung. Es geht um Fortbildung, es geht um Kooperationsperspektiven.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn man vom Thema keine Ahnung hat, dann kann man das vielleicht nicht sehen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das zeigen Sie ja gerade auch!)

Aber es ist der Ansatz, die Brücke für Menschen in den Arbeitsmarkt zu verbessern, indem man ihnen Qualifizierung und Weiterbildung gibt

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Dafür streichen Sie 600 Millionen!)

und nicht einfach nur auf prekäre Arbeits- oder Hilfsarbeitsangebote setzt. Das ist mit der Bürgergeldreform verbunden, und dagegen kann niemand sein.

(Lachen des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU] – Zuruf von der CDU/CSU: Was für eine Ignoranz!)

Wenn man die Rede von Karl-Josef Laumann im Bundesrat gehört hat, ist klar: Er hat Hubertus Heil doch gerade bei diesem Punkt unterstützt: Wir brauchen mehr Qualifizierung, Weiterbildung, wir brauchen Fortbildung und, und, und.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht unser Thema!)

Das alles sind wichtige Maßnahmen; von denen ist auf dieser Seite nichts mehr zu hören; denn Sachargumente spielen keine Rolle, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Da sind Sie der beste Beweis dafür!)

Es ist auch eine enorme Chance zur Entbürokratisierung. Es ist eine enorme Chance auch für Wirtschaft, Handwerk und Industrie; denn die warten alle auf Facharbeitskräfte. Wir haben eine Fachkräftekrise in dieser Gesellschaft. Deshalb ist es wichtig, diese beiden Fragen zu verknüpfen. All das ist mit dem Bürgergeld verbunden, und Sie wissen es im Kern auch, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Deswegen streichen Sie 600 Millionen bei der Wiedereingliederungshilfe!)

Die Anpassung der Regelsätze in dieser Krisenzeit ist natürlich mehr als notwendig; denn viele der Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, wissen doch am 20. des Monats nicht mehr, wie sie angesichts der Verteuerung der Lebenssituation bis zum 31. kommen.

(Zuruf von der AfD: Dank Ihrer Energiepolitik!)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es insgesamt ein gutes Paket, eine soziale Reform, die eben auf Vermittlung, auf Qualifizierung und Beschäftigung, auf Ermutigung und Hilfe setzt. Deshalb lassen Sie uns darüber weiter diskutieren. Wir hoffen auf die Zustimmung und Unterstützung vieler.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das war gar nichts!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Norbert Kleinwächter.

(Beifall bei der AfD)