Lamya Kaddor
24.04.2024

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich glaube, das größte Sicherheitsrisiko unserer Demokratie sind derzeit definitiv die AfD und ihre Spione,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der AfD

die sie offensichtlich einstellt.

(Zuruf von der AfD)

Es ist gut, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Genau!)

Denn machen wir uns ehrlich: Die Anschlagsgefahr – das haben Sie ja gesagt, Frau Lindholz – gerade durch die islamistischen Terroristen ist so hoch wie lange nicht mehr. Insbesondere der „Islamische Staat Provinz Khorasan“, also kurz ISPK, bedroht die Sicherheit in diesem Land.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich gebe Ihnen insoweit recht, als dass wir auch über die Befugnisse und die Ausstattung der Sicherheitsbehörden sprechen müssen. In diesem Kontext ist es aber auch wirklich wertvoll, dass die Ampel sich nun auf die Einführung des sogenannten Quick-Freeze-Verfahrens geeinigt hat und wir dem Verfassungsschutz mehr Befugnisse geben wollen, Finanzströme nachzuweisen.

Im Zentrum der Terrorabwehr stehen selbstverständlich Großereignisse wie die Fußball-EM in Deutschland. Dass wir im Umfeld der Sporthöhepunkte dieses Sommers flächendeckende Grenzkontrollen einführen, ist richtig. Ebenso richtig ist, dass sich die Sicherheitsbehörden in Bund, Ländern und befreundeten Staaten gut vernetzen und auch zusammenarbeiten. Dies werden wir noch weiter ausbauen und verbessern, wenn wir als Ampel das GTAZ bald auf eine verlässliche Rechtsgrundlage stellen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte keine Panik verbreiten, und das sollten wir als Politiker auch nicht tun. Es gilt, besonnen und ruhig an die Wurzeln der Radikalisierung zu gehen. Das bedeutet auch Prävention.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Aspekt bleibt bei der Union leider häufig unberücksichtigt.

Islamistische Hetzer nutzen gezielt die Ängste und Emotionen von Jugendlichen, vor allem übrigens aus muslimischen Familien, um sie für ihre Ziele zu gewinnen. Dass das funktioniert, das beweisen die wiederholten Festnahmen von jugendlichen Terrorverdächtigen. Erst heute wurden wieder sieben festgenommen; der Generalbundesanwalt hat diese Verfahren nun an sich gezogen. Alle haben sich wohl digital radikalisiert, kennengelernt und verabredet.

Diese Entwicklung und die Vorgehensweise dieser Jugendlichen sind erschreckend. Das muss Grund für uns alle sein, uns verstärkt mit der islamistischen Radikalisierung im digitalen Raum zu beschäftigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Beatrix von Storch [AfD]: Hört! Hört!)

– Ja, dann hören Sie mal.

Ich betone das schon seit Langem: Gruppierungen wie „Muslim Interaktiv“, „Generation Islam“, „Realität Islam“ tun sich auf Plattformen wie Tiktok, Instagram, Youtube mehr und mehr hervor.

(Beatrix von Storch [AfD]: Hamburg!)

Sie schaffen es, sich als Autoritäten zu etablieren, auf die Jugendliche anspringen und die sie dann als Imam, Hodscha, Sheikh oder was auch immer anerkennen. Ganz ähnliche Mechanismen konnten wir schon ab Mitte der Nullerjahre im Internet beobachten, also schon vor bald 20 Jahren.

Tiktok mit seinem besonders starken Algorithmus hebt das Problem aber noch mal auf eine ganz andere Ebene. Ein, zwei Islamisten-Videos etwas zu lange laufen gelassen, und schon bekommt man immer wieder ähnliche Videos angezeigt. Dies kann natürlich leicht zu Indoktrination führen. Die Verfassungsschutzämter etwa in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sprechen inzwischen von einer „Tiktokisierung des Islamismus“.

Dies fällt in eine Zeit, in der junge Menschen nach der Coronapandemie und angesichts von Kriegen, Konflikten, Inflation und der Klimakrise sowieso nach mehr Orientierung und wohl auch nach Autoritäten suchen. Wie die aktuelle Studie „Jugend in Deutschland 2024“ zeigt, driftet die Jugend insgesamt weiter nach rechts; die darin enthaltene Gruppe von muslimischen Jugendlichen driftet in die Hände vermeintlich sinnstiftender Islamisten. Diese unheilvollen Influencer präsentieren sich intelligent und eloquent und nicht mehr im orientalischen Gewand,

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

sondern leger in Hemd oder Rollkragenpulli, ähnlich wie man das von der Identitären Bewegung und anderen Rechtsradikalen kennt.

Ein Beispiel dafür ist der in verschiedenen Verfassungsschutzberichten erwähnte deutsche Konvertit Marcel Krass. Er lobbyiert mit vermeintlich sanfter Stimme und ruhigem Gemüt als Vorstand der Föderalen Islamischen Union für eine Vereinigung deutscher Muslime und organisiert als Speaker in der sogenannten DEEN-Akademie, wortwörtlich also der Akademie des Glaubens, sogenannte „Inspiration Nights“. In denen sollen junge Menschen im Coaching-Sprech inspiriert und motiviert werden, natürlich gegen Entgelt für sogenannte Supporter-Pakete in Silber, Gold und Platin.

Marcel Krass hatte schon vor über 20 Jahren Kontakte zum 9/11-Attentäter Ziad Jarrah. Später verbreitete er mit Salafisten wie Pierre Vogel oder Sven Lau islamistische Inhalte oder arbeitet eben mit den schon erwähnten Gruppen wie „Generation Islam“. Diese wiederum stehen der in Deutschland verbotenen Terrororganisation „Hizb ut-Tahrir“ nahe.

Aber auch andere Personen wie zum Beispiel Ahmad Abul Baraa oder Raheem Boateng – das ist auch so ein Name – verfolgen den vom Islamwissenschaftler Carsten Polanz beschriebenen „ğihād al-ʿasr“, also dem „Dschihad dieser Zeit“. Durch „Online da’wa“, also Online-Missionierung, mit mehreren zehntausend Followern sprechen sie junge Menschen über Triggerpunkte an. Über Triggerpunkte wie antimuslimischen Rassismus oder den Nahostkonflikt mit dem brutalen Massaker der Hamas an Israelis am 7. Oktober und den dadurch ausgelösten Krieg in Gaza lassen sich geschlossene Weltbilder besonders gut verkaufen.

Wir müssen dies stärker in den Blick nehmen und reagieren, meine Damen und Herren.

(Beatrix von Storch [AfD]: Hört! Hört!)

– Ja, dann hören Sie doch mal.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Natürlich müssen wir hier auch mit der Härte des Gesetzes ran, sofern das möglich ist; denn viele Islamisten kennen die Grauzonen und bewegen sich geschickt in deren Grenzen. Daher mein Appell: Wir müssen – ich komme zum Ende – auf Bundes-, Landes- und auf kommunaler Ebene auch mit der angemessenen Finanzierung von Bildungs- und Beratungsangeboten antworten. Wir brauchen ein Demokratiefördergesetz, auch dafür, meine Damen und Herren.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das brauchen wir doch kein bisschen!)

Nötig sind zudem eine Stärkung und der Ausbau der deutschen Imamausbildung und die Anerkennung von Organisationsstrukturen hier beheimateter Islamverbände, eine konsequente Umsetzung des Digital Services Act und, ja, auch die ernsthafte Prüfung von Vereins- und Betätigungsverboten.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Manuel Höferlin hat für die FDP-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der FDP)