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1983 - 1987: Aufbruch, Frauenpower, Spendenaffäre

Petra Kelly, Otto Schily und Marieluise Beck (v.l.n.r.) sind bis April 1984 die Sprecher*innen der ersten grünen Bundestagsfraktion. Im Bild: Am 29. März 1983 auf dem Weg zum Bundestag. Karin Hill/dpa
29.03.2023

Parlament in Aufruhr

Mit vertrockneten Tannen, bunten Klamotten, wilden Frisuren und dichten Bärten ziehen 10 Frauen und 18 Männer in den Bundestag ein. Streitlustig und - wo es sein muss - respektlos bringen die Abgeordneten Farbe und Bewegung in das bis dato einheitlich graue Parlament.

  • Am 6. März 1983 gibt es - nach dem Sturz von Helmut Schmidt (SPD) durch das Misstrauenvotum am 1. November 1982 - Neuwahlen.
  • ++ Grüne: 5,6 Prozent ++ SPD: 38,2 Prozent ++ CDU/CSU: 48,8 Prozent ++ FDP: 7,0 Prozent ++
  • Es regiert die schwarz-gelbe Koaliton aus CDU/CSU und FDP. Helmut Kohl ist Kanzler und Hans-Dietrich Genscher Außenminister.

Es ist passiert

Die Grünen ziehen im März 1983 mit 5,6 Prozent und 28 Abgeordneten in den Bundestag ein. Sie sind Oppositions-Fraktion und stehen für einen pazifistischen und umweltpoltitischen Aufbrauch. Schon 1984 bringen sie den ersten Gesetzentwurf zur Stilllegung der Atomanlagen in der BRD (Atomsperrgesetz) ein. Nach der Katastrophe von Tschernobyl im April 1986 wird ein Umweltministerium gegründet, der Bundestag setzt einen Umweltausschuss ein.

Abschaffung des Paragraphen 218 und Sexismus

Bundestagsrede Waltraud Schoppe, 5. Mai 1983

Waltraud Schoppe begann ihre erste Rede am 5. Mai 1983 im Bundestag - mit der Forderung nach "ersatzloser Streichung" des Paragrafen 218 - noch verhalten. Frauen, die in Not geraten, würden durch die geltenden Regelungen gedemütigt und der Willkür männlicher Experten ausgesetzt. Hier hielt sich der Unmut im Parlament noch in Grenzen. Dies änderte sich aber, als sie danach die Männer einer zur Normalität gewordenen "fahrlässigen Penetration" beim Sex bezichtigte. Das hohe Haus stand Kopf. Ihr Satz von der „fahrlässigen Penetration“ macht Furore. Doch Waltraud Schoppe ging weiter und forderte vom Deutschen Bundestag bis dahin etwas Unvorstellbares: die "Bestrafung bei Vergewaltigung in der Ehe". Als sie dann noch eins draufsetze und die Männer aufrief,  "den alltäglichen Sexismus hier im Parlament einzustellen" und Formen des lustvollen schwangerschaftverhütenden Liebesspiel empfiehlt, gleicht der Bundestag einem Tollhaus. Die taz schreibt von "johlendem, grölendem Männermob" im Parlament.

Die grünen Abgeordneten brechen gesellschaftliche Tabus. Im November 1983 fordern sie  die  Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen.


Im Oktober 1986 bringen die Grünen das erste Antidiskriminierungsgesetz in den Bundestag ein.

Otto Schily 1983 im Untersuchungsausschuss zur Flick-Spendenaffäre

Flick-Spendenaffäre

Die grünen Bundestagsfraktion fragt: Wie käuflich ist die Politik? Und beantragt im April 1983 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Die Flickaffäre weitet sich 1983 zum größten Parteispendenskandal in der Geschichte der Bundesrepublik aus. Das macht ein Antrag der grünen Bundestagsfraktion aus dem Jahr 1984 sichtbar

Feminat (1984-1987)

1984 wählt die Fraktion mit Christa Nickels, Antje Vollmer, Heidemarie Dann, Waltraud Schoppe, Annemarie Borgmann und Erika Hickel einen rein weiblichen Vorstand (v.l.n.r.). Annemarie Borgmann, Waltraud Schoppe und Dr. Antje Vollmer lösen die ersten Sprecher*innen Petra Kelly, Marieluise Beck und Otto Schily ab. Bis zum Ende der Legislatur wechseln die Sprecher*innen noch zwei Mal. Egon Steiner, dpa

Fast alle rotieren - aber nur zwei Jahre

Die Grünen verstehen sich als Gegenentwurf und Alternative zu den etablierten Parteien. Unter dem Motto, "keine Macht für niemand" rotieren deshalb in der Mitte der Wahlperiode alle grünen Abgeordneten - mit Ausnahme von Petra Kelly und Gert Bastian. Vorrücker*innen und Nachrücker*innen bilden eine Bürogemeinschaft. Die zweijährige Rotation wird auf Bundesebene im Mai 1986 aufgegeben.

Protest gegen nukleare Zusammenarbeit mit Südafrika

Deutschland wird bereits seit Jahren wegen seiner nuklear-militärischen Zusammenarbeit mit Südafrika im In- und Ausland kritisiert.

So bestehen unter anderem Beziehungen zwischen Südafrika und der Hanauer Firma Nukem, die mit waffenfähigem Uran handelt. Bisher wurde es versäumt, alle bekanntgewordenen Einzelheiten dieser Zusammenarbeit im Parlament zu hinterfragen.

Die grüne Bundestagsfraktion sieht, in der seit über zehn Jahren andauernden Kooperation zwischen bundesdeutschen und südafrikanischen Forschungsinstituten und Firmen auf atomarem Gebiet, einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrages, zu dessen Einhaltung die Bundesrepublik Deutschland sich verpflichtet hat. Da nach allen vorliegenden Unterlagen Südafrika über das in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte und patentrechtlich geschützte Trenndüsenverfahren verfügt und nach eigenen Angaben Uran hochanreichert, bedeutet dies auch einen Bruch des Rüstungsembargos der Vereinten Nationen, so die Argumentation der grünen Bundestagsfraktion in ihrer Großen Anfrage. Damit startet sie Anfang Januar 1985 einen öffentliche Debatte im Parlament.

Hier auch die Antwort der Bundesregierung vom Juli 1985  auf die Große Anfrage der grünen Bundestagsfraktion.