Linker Fußball gegen rote Socken

Mannschaftsfoto vor dem Spiel gegen die Roten Socken im Jahnsportpark, Berlin 2007
28.10.2007

Wenn Rote Socken gegen Grüne Tulpen spielen, ist einer – zumindest im Geiste – nicht weit: Luis Cesar Menotti, der legendäre Entdecker von Diego Maradona und Trainer der 1978-Weltmeistermannschaft aus Argentinien, der nach dem gewonnenen Finale General Videla den Handschlag verweigerte. Menotti erfand den Begriff des "linken Fußballs", mit dem er das Spielen um der Schönheit des Spiels willen meinte und dem er den "rechten Fußball", der allein ergebnisorientiert das Spiel bestreitet, gegenüberstellte. Linker Fußball – das sollte auch an diesem Abend das gemeinsame Projekt von Alt-SozialistInnen und Alt-68erInnen sein. Doch schon beim Betreten der Kabinen im altbekannten Jahn-Sportpark, wo man noch die Lausitzer Braunkohle und den kalten Schweiß sozialistischer Norm in der Nase hat, konnte man schon erahnen, dass heute wohl eher linker Klassenkampf herrschen als das linke Spiel kultiviert werden sollte.

Während die ehemalige Partei des demokratischen Sozialismus – die SPD ist hier nicht gemeint! – ihre Frauenpolitik so verstanden, dass sie auf den Führungspositionen wieder nur Männer spielen ließen, wurden die Grünen Tulpen nicht nur von der Fraktionsvorsitzenden Renate Künast in verantwortlicher Position auf das Feld geführt, die dann auch alle strategischen Entscheidungen der Seitenwahl und der Spieleröffnung traf. Nein, Tulpen-Trainer Wienges stellte die Jamie auf die entscheidende Beckenbauer-Position. Und sie rechtfertigte natürlich das in sie gesetzte Vertrauen. Sie zeigte den Männern, wo es lang geht und zog die Fäden in der Abwehr. Mit ihrer Technik und den hervorragendem Stellungsspiel und Spielaufbau wurde sie abschließend auch zum "Player of the Match" gekürt. Doch fangen wir mal von ganz vorne an.

Anpfiff von Künast

Die selbsternannten kürzlich gegründeten Roten Socken versuchten von Beginn an in bester "Peter Hinze-Manier" einen Schlagabtausch mit dem "Klassenfeind" zu organisieren. So sahen die Zuschauerinnen und Zuschauer zunächst unrühmlichen Wadenbeißer-Fussball. Der offiziell Unparteiische wurde gleich zum Spielball im politischen Spiel und bekam die Rolle der einköpfigen Vermittlungskommission aufgedrängt. Ein Netzer hätte hier bereits das Stadion verlassen, doch das wäre im Nachhinein ein grober Fehler gewesen, denn das Spiel wurde plötzlich ansehnlicher.

Die Tulpen bemühten sich ihrerseits, ein technisch und strategisch anspruchsvolles Spiel zu gestalten, neigten aber immer wieder dazu, lange Bälle planlos in die Spitze zu schicken, von denen viele, zu viele verloren gingen. Zentral für das grüne Spiel waren an diesem Abend auch eher die Einzelleistungen der überragend aufgelegten André Bornstein, Asgar Ergin und Marius Knaak. Auch wenn zuletzt die grüne Truppe immer wieder als Mannschaft überzeugt hatte, waren in dieser Partie die individuellen Fähigkeiten der grünen Stars gefragt. Um bei Netzer und Menotti zu bleiben: Manchmal braucht jede Mannschaft dann doch einen Einzelkönner, der das Spiel entscheidet.

Von Stars und Kraken

Auch die Roten Socken hatten mit ihren rechten Außenverteidiger ihren roten Star und gleich die erste gefährliche Szene. Der fing einen Ball im Mittelfeld ab und brach mit einem Doppelpass in den grünen Strafraum ein, wo er aus vollem Lauf wunderschön auf das kurze obere Eck abzog und Tulpen-Torwart Jochen Hake zu seiner ersten Glanztat zwang. "Krake Hake" fischte mit einem seiner vielen Fangarme das Leder unnachahmlich noch aus dem Winkel.

Vorerst bliebt dies der erste Höhepunkt, denn viele Zweikämpfe im Mittelfeld beherrschten das Geschehen und die Statistiker konnten in den ersten 15 Minuten kaum eine echte Torszene vermerken. So fiel das 1:0 dann auch eher glücklich und aus heiterem Himmel. Eine Flanke von Marek Dutschke von rechts rutscht durch die gesamte rote Abwehr zum völlig frei stehenden André Bornstein. Der hat keine Mühe und schiebt den Ball locker am herausstürzenden Torwart vorbei. Nur wenig später folgt eine von Asgar Ergin lang gezogene Ecke auf den zweiten Pfosten, wo wiederum André Bornstein den Ball per Bogenlampe über den Torwart zum 2:0 einköpft. Zu allem Überfluss verletzte sich der düpierte Red Sox-Torwart auch noch bei diesem Strike.

Anschließend wechselt Coach Wienges André Bornstein wegen zu guter Leistung aus und wollte wieder etwas mehr Waffengleichheit herzustellen. Doch die SED-Nachfolge-KickerInnen geraten trotzdem weiter ins Hintertreffen. Nicht, dass sie sich jetzt hinten einmauerten, nein, ganz im Gegenteil: sie versuchen die Flucht nach vorn und greifen weiter mutig an. Plötzlich ein langer Pass der Linksfraktion bis in den grünen Strafraum, doch da steht der Fels in der Brandung – Hartwig Mayer. Der gewinnt spielend das Laufduell mit dem sozialistischen Spielmacher Ruben. Dieser wirft mit letzter Kraft seinen Körper in seinen Gegenspieler, der auch dieser "Feindberührung" locker standhält. Ruben fällt, und der Schiri darauf reinund entscheidet zur Überraschung aller auf Freistoß für Rot. Doch der Freistoß bleibt ein Strohfeuer und an der systematischen Überlegenheit der grünen Mannschaft ändert das nichts.

Die lautstark erschienenen Anhängerschaft der Roten Socken ficht das nicht an. Die sehen offensichtlich ein anderes Spiel, allerdings ein wesentlich amüsanteres, wie es scheint. Sie hatten so oder so ihren Spaß und unterstützten ihre Mannschaft vorbildlich mit traditionellem Liedgut. Unter den Fangesängen glaubten auch einige Schmähungen des Gegners gehört zu haben. Aber das ist eben auch Fussball. Was auch immer die roten Fans da sangen, die Grünen ließen sich auch dadurch nicht beirren und nutzen weiter ihre Überlegenheit auf fremdem Platz. Ein grüner Stratege nimmt jetzt das Heft in die Hand: Asgar Ergin.

Tor um Tor

Bei einem schönen Tulpen-Angriff über links, antizipiert Ergin den Moment und schließt wundervoll zum verdienten 3:0 ab. Dann schaltet sich Teamchef und Linksverteidiger Sebastian Wienges in einen Angriff mit ein, bekommt den Ball von wem wohl – natürlich Ergin – aufgelegt, zieht in die Mitte vor den Strafraum, wo er nur noch durch ein rüdes Foul zu stoppen ist. Diesmal also Freistoß für die grüne Mannschaft in aussichtsreicher Position. Da die Entschuldigung ausbleibt, folgt die Strafe auf dem Fuß. Der grüne Balkanmaradona Ratimir Britvec, ehemals Roter Stern Belgrad, schaltet am schnellsten und legt den Ball an der sich noch formierenden Abwehr vorbei auf – ja, genau, auf Ergin. Der steht mutterseelenallein allein vor dem roten Kasten und tunnelt den verdutzten Torwart zum 4:0. Mit diesem Ergebnis geht es zum verdienten Pausentee.

Nach dem Seitenwechsel unverändertes Bild. Doch die Tulpen lehnen sich zurück und können mit zunehmender Spieldauer immer weniger ihre spielerische Überlegenheit ausspielen. Auch die andere Linke gibt ihrerseits nie auf und kämpfen ehrenvoll bis zum Ende um dieses Spiel. Doch es ist noch nicht zu Ende. Nach einigem Chaos im roten Strafraum klingelt es erneut für die Grünen. 5:0 durch André Bornstein, der einen hohen Ball vom linken Rand des Fünfmeterraumes ebenso humorlos wie volley ins lange Eck schießt.

Danach auch noch eine gelungene grüne Kombination über rechts. Hartwig Mayer leitet einen Angriff mit einem kurzen Pass auf André Bornstein ein, der schnell weiter erneut in den gegnerischen Strafraum durchsteckt zu Marius Knaak, der schließlich das halbe Dutzend vollmacht. 6:0.

Das Tulpenmittelfeld arbeitet danach nicht mehr konzentriert mit zurück und baut auch nicht mehr zielgerichtet ihre Angriffe auf. Und da die Roten Socken nie aufsteckten und unbedingt noch ihr Ehrentor schießen wollen, wird es noch mal "brenzlig". Nicht für die Tulpe, aber für ihren Libero Jamie. Aus kürzester Distanz trifft ein roter Schütze die Amerikanerin Jamie mit dem Leder brutal im Gesicht. Die geht zwar zu Boden wie nach einem Schwinger von Ivan Drago doch steht sie ungerührt wieder auf wie Rocky in der 12. Runde und beißt sich erst recht durch. Ganz nach dem Motto, was dich nicht umbringt, macht dich noch härter, begnügt Jamie sich von da an nicht mehr damit, lange Pässe abzulaufen, sondern nimmt ihren GegenspielerInnen im Zweikampf den Ball ab und düpiert gleich mehrere SystemkritikerInnen in fulminanten Dribblings. Jetzt ist sie nur noch durch Fouls zu stoppen.

Ehrentreffer der Red Sox

Und doch: Einmal ist der rote Spielführer Ruben durch, schon allein mit Ball vor dem Torwart, als von hinten noch das ganz lange Bein von Markus Meyer den Ball ins Aus spitzelt. Nur wer sich so bei der größten Chance des Spiels noch den Ball vom Fuß nehmen lässt, kann ernsthaft glauben, eine Mopsfledermaus zum Kanzler machen zu können. Bleiben wir beim Fussball, denn es fiel kurz vor Schluss doch noch ein Tor.

Denn der Fußballgott liebt alle seine Kinder und linker Fußball fordert das Spielen bis zum Ende – unabhängig vom Ergebnis; Tore, auch wenn sie nicht über Sieg oder Niederlage entscheiden, sind das Ziel und immer, bei jedem Spielstand aller Ehren wert. Und ihr Tor verdienen sich die Roten Socken nun. Einen schon abgefangenen Ball können die Tulpen nicht nach vorne tragen, ein verzweifelter weiter Schlag von Sebastian Wienges wird geblockt und fällt einem der fleißigen Angreifer vor die Füße. Der geht noch einige Meter und schießt dann von der Strafraumgrenze. Keeper Jochen Hake streckt sich, um den nicht allzu harten Ball noch erreichen zu können. Doch das runde Etwas ist eine Winzigkeit zu schnell und schlägt im grünen Netz zum an der Seitenlinie viel umjubelten 1:6 ein.

Ein Schrei geht durch die Menge. Soll das Spiel nun doch noch kippen? Ist die historische Dekadenz des Systems nun doch wie von Marx schon immer vorhergesagt an den Punkt gekommen, wo es sich selbst korrumpiert und unweigerlich zum eigenen Zusammenbruch führt? Um es kurz zu machen: Nein. Die Geschichte muss nicht neu geschrieben werden. Der Fussball hat nun mal seine eigenen Gesetze.

Fazit

Die Grüne Tulpe hat ihre Premiere gegen die Linksfraktion souverän mit 6:1 für sich entschieden. Die grünen KickerInnen spielten einfach den besseren linken Fussball im Jahnsportpark. Die neu formierte Mannschaft der Linksfraktion fehlt es eindeutig noch an der nötigen Spielpraxis. Die Roten Socken sind einfach noch nicht eingespielt und zu harmlos, zeigten aber große Kampfmoral. Hin und wieder blitzte mal rote Gefährlichkeit auf, doch der grüne Sieg war zu keinem Zeitpunkt gefährdet.