Literarisches Quintett eingeschenkt

27.11.2006

Die größte Herausforderung beim Spiel gegen die Nationalmannschaft der Dichter ist nicht das Spiel. Sondern der Spielbericht. Arglos werden auch von uns Plattitüden vom Pass in die Spitze, dem Spiel in die Breite, giftigen Verteidigern und spritzigen Stürmern aneinander gereiht. Doch heute herrscht die so oft zitierte Alarmbereitschaft nicht in der eigenen Abwehr, sondern auf dem Papier. Es gilt mehr als Tore und Eckbälle zu protokollieren und gönnerhaft dem Mann in Schwarz seine Irrtümer zu vergeben.

Für solch ein Unterfangen gibt es keinen besseren Ort als den Sportplatz zwischen Linien- und Auguststraße im Herzen der Spandauer Vorstadt. Fußballerschreie wehen ein bisschen echtes Leben in die gelddurchfluteten Eigentumswohnungen, deren üppige Sonnenbalkone die Außenlinien des Sportfeldes bedrängen. Kinder dreschen mit Wonne Bälle gegen den Zaun, hinter dem ein Jugendprojekt an seiner neuen Freizeitbude um die Lärmhoheit hämmert. Das Kassenhäuschen, das sich fordernd den Besuchern in den Weg stellt, ist bereits geöffnet. In zwei Stunden spielt die erste Mannschaft. Auch Hildegard Wenke ist bereits vor Ort. Die ehemalige Platzwärtin des Bezirksamts kümmert sich auch fünf Jahre nach ihrer Pensionierung darum, dass alles seine Ordnung hat und niemand die Netze klaut. Was sie – so der Inbegriff des münteferingschen Rentenmodells - aber noch immer zu verhindern gewusst hätte. In dieses beschauliche Großstadtidyll schrillt der Pfiff zum Spielbeginn.

Das Spiel beginnt ohne dramaturgischen Höhepunkt. Kein unberechtigter Elfmeter oder unfassbarer Torwartpatzer bieten sich als Ausgangspunkt eines fußballerischen Dramas an, dass das Publikum mit Held oder Versager schwärmen oder schimpfen lässt. Der Ball läuft manierlich durch aller beider Reihen. Doch früh zeigt sich, dass die grüne Tulpe die besseren Spieler und die größeren Lungen zu haben scheint. Vielfach wird der Ball flott über die linke Seite gespielt, wo sich Asgar Ergin durch feine Ballbehandlung und kluges Zusammenspiel erste Anerkennung des eintreffenden Fachpublikums erwirbt. Aber zu oft sucht die Tulpe den schnellen Erfolg und mit Fernschüssen ihr Glück. Und das klappt weder in der Literatur noch im Fußball allzu häufig. Doch die Tulpe schießt sich ein. In der 15. Minute fliegt ein strammer Schuss von Kristoffer Born vom Strafraumeck aufs von Albert Ostermaier gehütete Tor, der wehrt wie im Schulbuch zur Seite ab. Doch genau dort steht der grüne Balkan-Maradona

Ratimir Britvec, der den Ball mit der Ruhe eines Spielers, der schon alles gesehen hat, zum 1:0 einschiebt. Das ist auch der Halbzeitstand, denn sowohl vielen weiteren Angriffen der Tulpe als auch den sporadischen und stets durch lange Bälle vorbereiteten Angriffen der Dichter fehlt die Präzision.

Die zweite Halbzeit beginnt wie die erste. Die Tulpe dominiert ihren Gegner in der von Tresfore Dambe wie immer souverän organisierten Abwehr, im Mittelfeld und auch auf den Außenpositionen, doch wirklich zwingende Chancen ergeben sich nicht. Dann ein indirekter Freistoß im Strafraum der Dichter. "Durch diese hohle Gasse muss er kommen" schreit Sebastian Wienges und wirklich, präzise wie Wilhelm Tell schießt er das 2:0. Das Spiel ist am Scheidepunkt – raffen sich die Dichter zu neuen Taten auf oder erzielen die Tulpen noch  ihr 100. Saisontor (noch fehlen vier)?. Ersteres! Nur kurz nach dem 2:0 wird vom linken Halbfeld in Richtung Tulpen-Strafraum geflankt, Abwehr und Stürmer zögern gleichermaßen, und plötzlich liegt der Ball frei zwischen dem bisher so unterbeschäftigten grünen Torwart Christian Meuschke und dem in die Sturmspitze gewechselten Albert Ostermeier. Ostermeiers Bein ist länger und der Ball zum Anschlusstreffer ins Tor gespitzelt.

Jetzt wachen die Dichter auf, werden in den Zweikämpfen stärker und unterbinden das Passspiel der Tulpe schon im Mittelfeld. Wieder ein Angriff über Links, Ostermaier behauptet den Ball im Strafraum, flankt auf seinen Stürmerkollegen am gegenüberliegenden Fünfmeterraum, der legt ab und aus kurzer Distanz markiert der starke Moritz Rinke mit artistischer Halbflugeinlage den Ausgleich. Noch 20 Minuten. Zeit für den Präsidenten. Markus Kurdziel, frisch wieder gewählter Präsident der Grünen Tulpe, wechselt sich selbst ein. Kaum fünf Minuten im Spiel, wird er von Kristoffer Born Richtung Strafraum geschickt, von wo er Daniel Holstein den Ball millimetergenau querpasst, der ohne Probleme - da gänzlich ohne Gegenspieler  - die Führung zurückholt. Die Tulpe ist jetzt aus dem zwischenzeitlichen Winterschlaf erwacht. Schnell und sicher wird der Ball durchs Mittelfeld kombiniert, die ermüdeten Dichter immer einen Schritt zu weit entfernt. So auch beim 4:2. Daniel Holstein dringt von rechts in den nun allzu löchrigen Dichterstrafraum und flankt uneigennützig auf den am hinteren Fünfmetereck lauernden Uwe Birkel, der sich mit einer nicht gewaltigen, aber präzisen Direktabnahme ins lange Eck bedankt.

Das Spiel ist entschieden, beide Mannschaften wollen nur noch eins: noch ein Tor schießen. Als erstes gelingt dies den Dichtern – meinen zumindest sie. Denn Ostermaier und seine Prosa- und Lyrikkameraden wähnen ihn keineswegs im Abseits, nachdem er nach ein paar verwirrenden Querschlägern den Ball auf Elfmeterhöhe vors Schussbein bekommt und Christian Meuschke keine Chance lässt. Der Schiedsrichter schon. "Den Pfiff, ich hör ihn wohl, allein mir fehlt der Glaube", mag so mancher Dichter gedacht haben. Zumal wenige Minuten später, das ewige Torschützenduo Born und Kurdziel erneut zuschlagen. Pass nach rechts in den  Strafraum, Kurdziel läuft zielstrebig geradeaus und drischt den Ball aus knapp 10 Meter ins kurze oder lange Eck, das hat nicht einmal der Torwart gesehen.

Kurz darauf bedanken sich Schiedsrichter und Spieler für das faire Spiel. Ob es allerdings eine Revanche im Literaturcafe gibt, ist noch nicht ausgemacht.