Saison 2023_ Grüne Tulpe - FC Nepal Berlin
Höhentraining auf Tenne Eins
„Willst du einen Berg bezwingen, musst du langsam beginnen...“
...das hat mir mal ein österreichischer Bergführer beigebracht. Für einen Österreicher mag das ein ausreichender Reim sein, aber was noch wichtiger ist: Recht hat er.
Als die Grüne Tulpe 83 (das ist das Gründungsjahr, nicht das Durchschnittsalter) an diesem Montagabend bei bestem sommerlichem Fußballwetter auf die Tenne 1 hinaufstieg, schien die Luft merklich dünner zu werden. Sozusagen Höhentraining stand auf dem Programm – es sollte gegen Berlin Nepal gehen, eine scheinbar unüberschaubare Zahl lauffreudiger junger Nepalesen – aktuell Rang 174 der FIFA Weltrangliste – die durchaus wussten, mit dem Ball etwas anzufangen. Aber wie der andere Bergführer schon riet, begann die Tulpe langsam mit ordentlichem Passspiel aus einem Fünfer-Mittelfeld mit Doppel-Sechs vor einer Dreier-Abwehrreihe und erspielte sich Feldüberlegenheit, ohne jedoch ernsthafte Torgefahr auszustrahlen.
Ein langer Ball verschob das Spiel dann nach knapp zehn Minuten erstmals Richtung Grünem Strafraum und führte auch gleich zur ersten Ecke für Nepal. Und da kam eine andere Fußballweisheit zum Tragen: für Ecken rücken die langen Innenverteidiger nach vorne, weshalb der Gegenstoß abgesichert werden muss. Tja, Ecke abgefangen, langer Pass auf Toffi, der aus der eigenen Hälfte (kein Abseits!) startet und der zwar inzwischen auf die 50 (Alter, nicht Tempo) zugeht, aber irgendwie setzt da etwas ein, was nicht vergeht, dass die ganze Meute ihn verfolgt, einholt, schon mit langem Bein die Chance vereitelt, aber er dennoch den Ball am herauslaufenden Torwart vorbei ins Netz spitzelt. 1:0 (die hatten ihn doch eigentlich schon?!)
Und das wissen Bergsteiger vermutlich: wer erst einmal ins Rutschen kommt, kommt erst im Tal wieder zum Halten. Fünf Minuten später läuft Tobi über links seinem Gegenspieler davon und trifft ins lange Eck. 2:0. Nach 20 Minuten Ecke von Toffi in den Fünf-Meterraum, vorbei an erstem Abwehrspieler, am Torwart, am zweiten Abwehrspieler, und der dritte nickt ihn sich dann selbst ins Netz. 3:0. (Da waren eigentlich gar keine Grünen in der Nähe.) Und umgekehrt auf der anderen Seite enden die Fernschüsse allesamt in Keeper Jochen Schieborns Fangarmen. Der eine Kopfball(!), bei dem er machtlos gewesen wäre (Konjunktiv 2!), klatscht nur an den Pfosten. Da rollt schon der nächste Grüne Angriff, landet bei Tobi, der nur noch abschließen müsste, aber viel zu kompliziert erst einen, dann zwei Gegenspieler ins Leere laufen lässt, noch einen Haken schlägt, auch den dritten ausspielt, noch mal den Ball auf den richtigen Fuß legt, noch einen Abwehrspieler vernascht und dann erst trifft. 4:0.
Aber die politisch erfahrenen Gipfelstürmer wissen um das Durchhaltevermögen von Hochträgern – Aufgeben ist keine Option, der Weg nach oben wird unermüdlich weitergesucht. So muss erst Julius sich eine Ecke vom Tor weggedreht bestellen und in atmosphärische Bereiche steigen, in die ihm ohne Sauerstoffgerät einfach niemand folgen kann. Den Ball setzt er perfekt in den linken Winkel – 5:0. (Er stand übrigens immer noch in der Luft, als die meisten Tulpen schon wieder auf dem Weg zurück in die eigene Hälfte waren.)
Bei diesem Halbzeitstand machte sich dann doch ein wenig Benommenheit bei den nepalesischen Spielern und Unterstützern breit. Überraschend war eher, dass die Tulpen nicht dem Höhenkoller verfielen. Ohne zu hoch zu stehen, verteidigten sie geduldig nicht zu tief in der eigenen Hälfte. Bis Sandy, der Wizard-Blizzard mit dem starken linken Fuß, seinen Ibrahimovic-Moment fand: Als Nepal sich doch einmal aussichtsreich vor das Tulpen-Tor gespielt, Jochen schon geschlagen war, der Ball aber nur die Latte traf, dann aber nicht geklärt werden konnte, setzte Sandy in der 60. Minute zu einem sensationellen Fallrückzieher kurz unter der Stratosphäre deutlich über Tulpenköpfen an. Der fliegt quer durch den Strafraum und wird vom kongenialen Sturmpartner im ehrlich Kopfball-Duell gegen eine zwei Köpfe größere Tulpe genau in den Winkel gesetzt. Das Tor ist so schön, dass selbst die Grünen sich mit den Nepalesen abklatschen. Das 1:5 weckt alle Geister auf und neben dem Feld, bis an den Fuß der Tenne ist der Jubel zu hören und treibt Nepal Berlin weiter nach vorne, während die Tulpen oben und unten kaum mehr unterscheiden mögen.
So ist es wiederum Julius, der Edmund Hillary der Tulpe, der den Ball im Mittelfeld erobert, auf Jonas, der den Ball direkt abklatschen lässt, Tobi sperrt noch einen Gegenspieler weg und leitet den Ball perfekt in den Lauf von Julius "Edmund" weiter, der Richtung Tor durchstartet und vollkommen frei vor dem Torwart den auch noch verlädt und zum 6:1 trifft.
Nach dem spektakulärsten athletischen Tor und dem am schönsten herausgespielten Tor ist das Spiel nun entschieden. Weitere zehn Minuten danach trifft Nepals Sturmspitze zum zweiten mal noch zum 2:6, bevor dann Sandy frei vor dem leeren Tor aus einem Meter Entfernung sein Tor machen kann – und den Ball über Latte und Fangzaun hinter dem Tor bis auf den Rollhockey-Platz am Fuße des Berges schießt. (Das war das spektakulärste Nicht-Tor.) Aber fast mit dem Abpfiff gelingt ihm dann doch noch das 3:6.
Ein historisches Ergebnis (Englands erste Heimniederlage – in Wembley, wo sonst – gegen Ungarn, wen sonst war ebenfalls ein 6:3)! Und das nicht so sehr gegen, sondern vielmehr mit einem Gegner, der vollkommen zurecht das Ersteigen von geographischen, politischen und sportlichen Gipfeln als Namensgeber geprägt hat – die Sherpa.