Bericht aus Kienbaum:

22.04.2008

Annäherung an ein Mysterium: Das Trainingslager und der letzte K(r)ampf
gegen den F.C. Lichtenow

Die Geschichte vom Einparken und dem Zuhören hat längst ausgedient. Dank vollautomatischer Einparkhilfe und dem beliebten Ratgeber "Zuhören – das kleine Einmaleins der Heuchelei" muss die Suche nach dem ultimativen Unterschied zwischen Männern und Frauen neu aufgenommen werden. Und schon werden wir fündig: Das Trainingslager. Was macht ihr denn da drei Tage? Fußballspielen! Und worüber redet ihr die ganze Zeit? Fußball! Und abends? Schauen wir Fußball! Nichts anderes als Fußball? Doch, Tischfußball! Oh Gott, das muss die Hölle sein! Nein, das ist der Himmel!

Und wahrlich: Schon auf dem Bahnsteig an der Friedrichstraße lugt der erste Ball verführerisch aus der Sporttasche…. Doch die Vernunft siegt…. Erst am Regionalbahnhof Hangelsdorf werden die ersten – richtigen! – Prioritäten gesetzt. Zwanzig Minuten Wartezeit verwandeln die blanken Business-Schuhe in staubige Prachtexemplare eines italienischen Nachkriegsfilms.

Bei der Einfahrt ins Sportleistungszentrum Kienbaum werden die Stimmen ehrfürchtig gesenkt – Sportanlagen so weit das Auge reicht, endlos reiht sich sattes Grün an sattes Grün. Schlüsselausgabe…. und der erste Volltreffer. Wir sind genau gegenüber unserem Trainingsplatz untergebracht, vom Schlafzimmer freier Blick auf das Feld, man riecht förmlich den feuchten Rasen. Lasziv hängen die Netze an ihrem weißen Korsett und versprechen die Bälle zärtlich zu umfangen. 100 x 70 Meter sind uns eingekreidet – ein knapper Hektar Paradies.

Was ist statistisch gesehen die schlechteste Wahl, um ein Tor zu schießen? Hohe Flanken in den Strafraum. Und was macht am meisten Spaß? Hohe Flanken in den Strafraum – ohne Gegner, ohne Torwart, dafür mit vielen "der passt", "die kommt genau", "noch mal so ein Ding", "eiskalt", "Tor des Tages"….. Erste Ernüchterung beim abschließenden Trainingsspiel: klein ist die Welt, winzig die Lücke zwischen zwei Hütchen, die einem noch aus vier Metern das Toreschießen verleiden können. Doch spätestens nach gemeinsamen Studium des Mehmet Scholl Films "Frei:Gespielt" wächst wieder Zuversicht. Genau, Freistöße aus 25 Metern in den Torwinkel, so schwer kann das doch nicht sein. Am nächsten Tag: 3 Trainingseinheiten: 5 gegen 2 zum Aufwärmen, Kreuzen, Rückraumpässe aus vollem Lauf in den vollen Lauf, Überzahlspiel, Unterzahlspiel, die Kunst des Spiels ohne Ball, Schüsse mit dem schwachen Fuß, Kopfbälle, Dehnungsübungen, zwei Tore verteidigen, zwei Tore angreifen, Eckbälle, Fernschüsse, Ablagen….beim abschließenden Elfmeterschießen zittern die Beine nicht vor Aufregung….Bayerns Sieg im Pokalendspiel kann die gute Stimmung nicht trüben – vor allem nicht bei den Bayernfans, die es selbstverständlich auch unter grünen Tulpen gibt. 

Das Abschlußspiel gegen die SG Lichtenow/Kagel

Am Sonntag dann der Tag der Wahrheit: Was überwiegt? Das Erlernte oder die Erschöpfung? Der Gegner, die gerade erst einer längeren Geburtstagsfeier des Mannschaftskapitäns entkommenen Spieler des F.C. Lichtenow kommen zu spät. Doch auf dem Platz sind sie überpünktlich. Schon nach drei Minuten läuft die das ganze Spiel kaum zu bändigende Jugendverstärkung der Lichtenower am linken Flügel erst einem und dann noch einem Tulpenverteidiger davon, setzt sich auf der Torauslinie gegen noch zwei Tulpen durch und flankt präzise über Abwehr und Torwart zur Spitze des Fünfmeterraums, wo der Ball direkt genommen, perfekt getroffen und zum 1:0 ins Tor geschossen wird. Und das soll Dorffußball sein, schauen sich die Tulpen verwundert an. Fast 15 Minuten vergehen bis zur ersten gefährlichen Torszene für die Tulpen. Verteidiger von Dassel nickt unbedrängt einen langen Flankenball an den  Außenpfosten – zum Entsetzen der Tulpe, denn es war das eigene Tor. Mehr Druck im Tulpenspiel entsteht erst als Tulpenkapitän Born sein selbst gewähltes Exil hinter der Kamera aufgibt – das 25-Jahre-Jubiläum der Tulpe ruft nach bewegten Bildern – und auf der rechten Seite das Tor bestürmt. Zwei scharfe Hereingaben werden knapp verpasst, dann wird aus dem linken Halbfeld schräg in den Strafraum zum bereits stürmenden Abwehrchef André Bornstein gespielt, der dreht sich wuchtig um den Verteidiger und drischt den Ball ins kurze Eck unter die Latte. 1:1, so geht es in die Pause, in der der Lichtenower Torwart jede Schuld am Gegentor bestreitet. "Schließlich brauche ich meine Hände noch." Die Tulpe reißt das Spiel nach der Pause an sich, setzt sich mit viel Einsatz auf der rechten Hälfte durch oder nutzt die großen Freiräume auf der linken Seite, denn beide Mannschaften sind nur mit 10 Spielern angetreten. Mehrere Fernschüsse verfehlen zwar das Ziel, doch schließlich findet ein Zuspiel die wieselflinke Tulpe Manu Sarma, der den Ball schnell bis 11 Meter vor das Tor führt und mit einem platzierten Schuss knapp unter das Kreuzeck keine Abwehrchance lässt. 10 Minuten später erinnert sich der bekennende Bayernfan Alex Bögle dem herrlichen van Bommelpass aus dem Pokalendspiel und schickt mit einem weiten Pass a la Matthäus oder Brehme aus der eigenen Hälfte Asgar Ergin Richtung gegnerisches Tor, der nach konzentriertem Alleingang – denn die Lichtenower Verteidiger waren nicht zu sehen - und einem präzisen Flachschuss aus kurzer Distanz das 3:1 markiert. Jetzt wollen alle Tulpen Tore schießen, der Gegner gibt das Mittelfeld kampflos ab, doch der letzte Pass, der letzte Schuss, er will den Tulpen nicht gelingen. Zielstrebiger kontert dagegen des SG Lichtenow, mit seiner starken Nummer 6 und seinem kräftigen und schnellen Mittelstürmer. Einer dieser Konter verirrt sich zwar mehrfach für Sekunden auf einem Tulpenhaupt oder Bein, doch die Lichtenower sind schneller und robuster und setzen den Ball nach und selbigen mit einem satten Linksschuss von der Strafraumgrenze über den Innenpfosten in die Maschen – natürlich wieder Nummer 6. Nur noch 3:2. Trotz Abwehrmahnung wollen die Tulpen weiter stürmen, schont fliegt der nächste Ball über die aufgerückte Tulpenabwehr, Torwart Christian Meuschke sprintet raus, kann den Ball aber nicht endgültig klären, der Lichtenower Stürmer strebt mit hoher Geschwindigkeit an der rechten Außenseite am letzten Tulpenverteidiger dem leeren Tor entgegen, in den Strafraum hinein, die "Gretschenfrage" wird verneint, doch mit vereinten Kräften wird der Ball geblockt und ins Aus befördert. Der anschließende Eckball brachte nichts ein – und das äußert faire und vom verletzten Tulpenkassenwart Jochen Hake mit nur einem (!) Freistoß versehene Spiel – war zu Ende. Gleiches gilt für die Kraft der Tulpen. Doch spätestens am Tor des Sportzentrums loderte bereits wieder die erste Sehnsucht. Fußball – du hältst uns fest umfangen.