Mit ohne Helm!

25.04.2007

Inhaltsverzeichnis:

1. Der abgeschlossene Roman (Vorsicht: Autor ist Werder-Fan!)

2. Das Trainingslager- Der Bericht

 

1. Der abgeschlossene Roman:

Feuilletonistische Artikel über Fußball, deren Leserschaft einem hier nicht näher umrissenen Milieu entstammt, müssen offensichtlich heutzutage auf einem Kreuzberger Spielplatz beginnen. Das ist chic. Und nun endlich ist es mir auch gelungen, diesem Anspruch der bourgeoisen Fußballintellektuellen gerecht zu werden. Wie lange habe ich schon auf diesen Moment warten müssen… Also, ich beginne:

Als ich gestern auf dem Chamisso war,… (Chamisso ist die Kurzform der Kreuzberger Illuminati für den Spielplatz auf dem Chamissoplatz. Das ist der Spielplatz mit dem Wasserspiel, in dem die Kleinen den Sommer über spielen können und wegen dessen die Kreuzberger Eltern im Frühjahr eine Bürgerinitiative starten, weil die Kommune, um Geld zu sparen, das Wasser noch nicht wieder angestellt hat, obwohl es doch schon so warm ist, und über das sich dieselben Eltern im Herbst beschweren, weil das Wasser immer noch läuft, obwohl es doch schon zu kalt für nasse Kindersocken ist.) Als ich also auf besagtem Chamisso gestern das Sandspielzeug ausgepackt hatte, mein jüngster Filius in den Sand loswackelte und ich mich auf der Bank im Schatten installiert hatte, um nun den etwas älteren Jungs (Sorry, liebe grüne Leserschaft, die anwesenden Mädchen spielten "Kuchen backen", und so überzeugt ich davon war, das liege alles nur an der Sozialisation unserer Gesellschaft, so sehr verliere ich eben diese Überzeugung, seitdem ich selbst meine Kinder streng geschlechtsneutral erziehe) beim Fußball zuzuschauen, hörte ich folgende Worte: "Klose, Klose! Ich bin Werder!" "Und ich bin auch Werder!"

Mein Herz jubilierte. Ich bin zwanzig Jahre in Bremen aufgewachsen, als Karl-Heinz Rummenigge Europas Fußballer des Jahres wurde und ein Lied über ihn im Radio lief ("Rummenigge, Rummenigge – What a kick!"), kannte ich nur Rudi Völler. Und nun lebe ich schon seit zehn Jahren in der Diaspora. Doch wenn die Kinder auf Berliner Spielplätzen Werder favorisieren, kündet dies von einer leuchtenden Zukunft. (Was ist grün und stinkt nach Fisch?! Anm. d R.) Ein echter Fußballfan kann sich an den Moment, in dem er sich für seine Mannschaft entschied, nicht erinnern, weil die lückenlose Erinnerung zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingesetzt hatte. Die Vorliebe für einen Verein ist quasi genetisch veranlagt, sie kann Glück oder Pech sein, zu verändern ist sie nicht. (siehe hierzu Nick Hornby: Fever Pitch)

Wenn also Kinder diese schicksalhafte Identifikation einmal vollzogen haben, bedeutet dies für den jeweiligen Verein lebenslange Kundschaft. Für den Fan bedeutet die Determination Leidenschaft und Leiden. Der eine leidet wegen Erfolglosigkeit (bspw. Dortmund), Abstiegen (bspw. Bochum) oder anhaltender Mittelmäßigkeit (bspw. HSV), diese Gründe gelten ebenso für die übrigen zehn bis zwanzig Ligen unter der Bundesliga und in allen Ländern. Der andere leidet wegen notorischer Erfolge und dadurch bedingter ständiger Missgunst aller anderen Fans (Bayern). Nur wenigen und meist nur für kurze Zeit ist das vergönnt, was Bremer nun schon seit geraumer Zeit genießen dürfen: Erfolg in Verbindung mit Anerkennung, Lob und wohlwollender Unterstützung. (Werder) Den "Meister der Herzen" konnte sich schon der Ruhrpott-Abramowitsch Assauer aufs Klo hängen, aber seit Schalke zur Betriebssportgruppe von Gazprom geworden ist, wartet der Rest von Fußballdeutschland auf den Moment, in dem Slomka sein dämliches Dauergrinsen nicht mehr in jede Kamera hält.

Die Frage ist, wie es zu diesem singulären Phänomen kommen kann. Freiburg hat das in den 1990ern vorgemacht. Die Breisgau-Brasilianer revolutionierten mit ihrem Spiel sowie mit ihrem Management das bis dato dominante Bayern-Modell – Erfolg bringt Geld, Geld kauft gute Spieler, gute Spieler bringen Erfolg. Seit dem die Globalisierung mit dem Bosman-Urteil die tradierten Strukturen nationaler Fußballligen aufgebrochen hatte, bestand die Leistung eines Vereins in erster Linie im erfolgreichen Marketing. Der Wurstfabrikant Uli Hoeneß verdient diesbezüglich zweifelsohne größte Anerkennung.

Doch dann kam der Lehrer mit dem Brilli im Ohr und experimentierte in seinem Schwarzwälder Fußballlabor recht erfolgreich, bis er eine für die Bayern teuflische Mixtur zusammenhatte. Ohne den Anspruch, mit den Bayern überhaupt nur mithalten zu wollen, setzte er an die Stelle "gute Spieler" der bayrischen Großmacht-Organisationslogik ein Spielsystem, das auf dem Zusammenspiel der Mannschaft beruhte und auf dem Platz systematisch Zweikämpfen zwischen besseren Zweitligaspielern und europäischen Stars aus dem Wege ging. Wenn das gelang, waren die "guten (Einzel-)Spieler" nichts mehr wert. Sie kamen gar nicht erst in die Zweikämpfe, in denen sie ihre individuelle Klasse hätten ausspielen können. Die Bayern sahen nur noch die Bälle an sich vorbeirauschen bei ihrer legendären 5:1-Niederlage im Dreisamstadion. Und so geriet die bis dahin jede Saison erneut durch viel Geld und Spielerkäufe zementierte Hierarchie ins Rutschen.

Nun gilt diese Hierarchie noch bis heute – oder zumindest bis zum vergangenen Samstag, als eine junge Stuttgarter Mannschaft, deren Spieler alle danach ausgesucht wurden, dass sie "die Raute spielen" können, die bayrischen (ehemaligen) Stars wohl in den UEFA-Cup schossen – weitgehend, und Geld ist nach wie vor das beste Argument, aber Innovativität und moderner Fußball scheint das große Geld doch nachhaltig stören zu können. In Zeiten der Globalisierung kann sich Qualität nach wie vor durchsetzen – das ist durchaus auch als grüne politische Kernbotschaft zu verstehen.Und seit die Grünen der Bundesliga von einem unbeirrbaren Stoiker trainiert werden, dessen persönliche Globalisierung in seinem Wechsel in der E–Jugend zu seinem Nachbarverein Werder Bremen bestand, bei dem er seitdem Spieler und Trainer war, haben sie eben diese konkurrenzlos hohe Qualität erreicht – und verdienen nebenher noch das große Geld.

 

2. Das Trainingslager- Der Bericht:

Was lag also näher als das diesjährige Trainingslager, das sich noch als Trainerlager entpuppen sollte, zu nutzen und die Grüne Tulpe auf die Globalisierung vorzubereiten, indem wir am ersten Abend ausführlich verschiedene Spielsysteme Revue passieren ließen und diskutierten. Das 3-3-3-1 vergangener Tage war eben so veraltet wie das 3-2-2-3, genannt WM-System, das für die Tulpe allerdings vor noch nicht allzu langer Zeit bereits eine spielerische Weiterentwicklung darstellte. Moderner Fußball basiert auf dem 4-4-2, wobei die mittlere Vier idealerweise eine Raute bildet und der moderne Libero vor der Viererkette (erste Vier) attackiert; in der Offensive schalten die Außenverteidiger sich vertikal in den Angriff mit ein und die äußeren Mittelfeldspieler (Außenpunkte der Raute) rücken vor, um der hängenden Spitze (vorderste Ecke der Raute), der ehemaligen "10", weitere Anspielstationen neben den beiden Spitzen zu bieten und die aus dem Rücken der Abwehr zurückgelegten Bälle zu verarbeiten, so dass ein dynamisches 3-5-2 entsteht.

Grundsätzlich stellte unser Konstanzer Übungsleiter Levent Tan, der diese Rolle nun schon zum zweiten Mal vertrauensvoll und kompetent ausgefüllt hat, jedoch fest, dass jedes moderne Spielsystem auf dem 4-4-2 basiere und kündigte uns damit das Programm der nächsten zwei Tage an.

Als ich wieder zu Hause meiner Frau von dieser Taktik-Debatte berichtete und zugegeben vielleicht etwas zu enthusiastisch in meinem Mitteilungsdrang wurde, ein Gedanke, den Sie, werter Leser, eventuell in diesem Moment auch teilen, aber mir vergeben mögen, fragte sie mich nur mit entgeistertem Blick, wie man denn von einem philosophischen Konstrukt von Thomas Hobbes trainiert werden könne. Für einen Moment war nun auch ich konsterniert, doch, um dies an dieser Stelle in aller Deutlichkeit zu sagen, so wie unser Trainer Levent Tan hieß und nicht Leviathan, so haben die Grünen sowohl politisch nichts mit dem alles regulierenden, überbordenden Staat zu tun als auch die Tulpen fußballerisch nichts mit einem das ganze Spiel inszenierenden "10er", der, wie Levent klarstellte, komplett verschwunden ist.

Trotz geschundener Muskelpartien, an die die Tulpen sich immer erst nach ihren Spielen erinnern, nach der ersten Trainingseinheit am Freitag – eine tatsächliche Trainingseinheit auf dem Platz, nicht die Debatte am Abend ist hier gemeint, begann am Samstag morgen bei Kaiserwetter das technische und später auch das taktische Training.

Was morgens noch nach Kaiserwetter ausgesehen hatte, entpuppte sich schon bald als mörderische Hitze. Die neu entdeckten oder wieder in Erinnerung gerufenen Muskeln meldeten sich bald bei jeder Bewegung. Und während die ganze Saison auf dem Kunstrasen Bälle zu leicht wegrutschten, war nun der Rasenplatz zu uneben und das Gras nicht kurz genug gemäht.

Dennoch stellten sich bis zum Abend mehrere Lerneffekte ein:

  • Die Tulpen kennen jetzt vier Spielzüge – im wesentlichen sind es zwei mit Variationen, aber schon die waren für uns kompliziert genug zu behalten.
  • Die Tulpen haben jetzt eine Eckenvariante: "die Traube".
  • Über die technischen Fortschritte einzelner Spieler soll hier eine Decke des Schweigens gebreitet werden. Doch das Zusammenspiel zeigte sich tatsächlich stark verbessert.

Erstaunlich war aber vor allem das Durchhaltevermögen eines Großteils der Tulpen, der in der Stunde zwischen Trainingseinheit drei und vier am Nachmittag keinesfalls den Schatten suchte, sondern sich vielmehr in der prallen Sonne mit Elfmeterschießen vergnügte.

Levent erfuhr bei seiner Arbeit immer währende Unterstützung durch Ratimir Britvec, den Vorgänger des etatmäßigen Tulpen-Trainer Wolfgang Helm. Rati analysierte jede auch noch so komplexe Situation auf seine psychologische Dimension hin und konnte jeden Wimpernschlag eines Spielers fachgerecht und kompetent erklären. Dies verschaffte den Tulpen immer wieder wertvolle Denkpausen, die insbesondere ihren konditionellen Kapazitäten zu gute kamen. Wolfgang Helm ergänzte Levent und Rati durch kleinere, von ihm entworfene Übungen, so dass die Tulpen insgesamt auf einen Trainerstab zurückgreifen konnten, der einem Sommermärchen glich.

Am Abend folgte dann schließlich der emotionale Höhepunkt des Lagers in der Besprechung, zu der Präsident Markus Kurdziel extra anreiste (das war noch nicht der emotionale Höhepunkt).

Wolfgang Helm, einer der Altvorderen noch aus den Bonner Zeiten verkündete überraschend seinen Rücktritt. Er wolle nach 20 Jahren im Dress der Grünen Tulpe nun kürzer treten und der nächsten Gerneration von grünen rechten Mittelfeldspielern neuen Raum zur Verfügung stellen. Der Zeitpunkt sei seiner Meinung jetzt gekommen. Nach exakt 100 Spielen mit 64 Siegen, zwölf Unentschieden und 24 Niederlagen bei 352:192 Toren geht damit eine Ära zu Ende, die die Tulpen in ein neues Zeitalter führte.

Die Grüne Tulpe Helm übergab er den Staffelstab mit wie einige Beobachter gesehen haben wollen einer Träne im Auge. Es folgten eine Laudatio des Präsidenten und eine weitere des Kapitäns, die die niemals rastende noch ruhende ordnende Hand des volkswirtschaftlichen Ordnungspolitikers und Großorganisators der Tulpe und ihre überaus erfolgreiche Ordnung auf dem Spielfeld hervorhoben. Niemand wagte den Hochverdienten zu bitten zu bleiben, nachdem er drei Jahre jede persönliche Vorliebe zurückgestellt hatte und keine Mühe im Dienste der Mannschaft gescheut hatte.

Mit Wolfgang geht nicht nur eine Trainerlegende, der Ehrenspielführer auf Lebenszeit und ein rechter Mittelfeldspieler der Tulpe, es geht ein ganzer Führungsstil, ein Mannschaftskonzept und eine Spielkultur. Alles Stehende verdampft, alles Feste vergeht. Nur eines steht fest: Sein Nachfolger, den der Präsident am nächsten Tag vor dem Spiel verkünden wollte, steht auf den Schultern von Riesen.

SW

...Fortsetzung siehe Spielbericht SG Lichtenow- Grüne Tulpe