Rede von Sylvia Kotting-Uhl 10 Jahre Fukushima

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04.03.2021

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 11. März 2011 kam es zur Dreifachkatastrophe in Japan: Erdbeben, Tsunami und in der Folge ein atomarer GAU im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Der Tsunami tötete 20 000 Menschen. Ihrer wird in Japan in diesen Tagen gedacht, und zu Beginn unserer Debatte heute möchte ich mein Mitgefühl nach Japan senden und meine Verbundenheit mit den Menschen dort ausdrücken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

20 000 Tote durch den Tsunami, 470 000 Menschen, die verstrahlte Gebiete verlassen mussten: Ich glaube, in übergroßer Mehrheit sind wir uns hier im Bundestag einig, dass wir Dimensionen von Leid nicht abwägen.

Japan ist ein äußerst technikaffines Land. Das Versagen seiner Atomtechnik war eine nationale Kränkung, weshalb die japanische Regierung die Atomkraft immer noch als Teil der Energieversorgung will. Das gilt aber nicht für die getroffene Präfektur Fukushima. Die hat den Atomausstieg beschlossen. Auch Nachbarkommunen der Atomkraftwerke verhindern mit ihrem Mitspracherecht den gewünschten Atomstromanteil. Für das japanische Energieministerium funktioniert die Rechnung auch nur, weil es die Hunderte Milliarden Folgekosten für den GAU konsequent von den Kosten des Atomstroms abspaltet.

Zehn Jahre nach dem GAU von Fukushima gibt es immer noch Menschen, Parteien und Länder, die dem Atomlobbyismus erliegen.

(Lachen des Abg. Karsten Hilse [AfD])

Der verlorene Glanz soll mit der Suggestion einer billigen, klimaschützenden, sauberen Energie wieder aufpoliert werden. Der Realität halten solche Behauptungen nicht stand.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein AKW-Neubau mit angemessenen Sicherheitsstandards ist unter 10 Milliarden Euro nicht zu haben. Die Kilowattstunde Strom kostet über 10 Cent. Eine heute installierte Photovoltaikanlage liefert Strom für unter 5 Cent.

(Jürgen Braun [AfD]: Vor allem nachts! Nachts ist perfekt!)

Auf der Suche nach neuen Förderquellen für Atomkraft fanden die Lobbyisten die Taxonomie und den Wasserstoff, Atomenergie als nachhaltige Geldanlage und Gelben Wasserstoff dem Grünen an die Seite gestellt. Tricky gedacht, aber auf Fake fußend. Nachhaltig an der Atomkraft ist vor allem ihr Müll, der uns über 1 Million Jahre in die Pflicht nimmt. Und die gern bemühte CO-Armut des Atomstroms entlarvt sich schnell, wenn wir die Kette von Uranabbau bis zur Endlagerung in den Blick nehmen. Den Vergleich mit erneuerbarem Strom hält Atomstrom nicht nur bei den Kosten, sondern auch beim CO-Fußabdruck nicht aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wer Klimaschutz will, braucht Erneuerbare, und wer Erneuerbare nicht als Nische will, muss sich von Grundlastkraftwerken verabschieden, von Kohle und Atom.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])

Trotzdem wird mancher nicht müde, eine Renaissance der Atomkraft herbeizureden. Was sagt die Realität? Nicht einmal die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten will Atomstrom in der Zukunft. Schauen wir in die Welt, stellen wir fest, dass 50 Neubauplänen 190 Abschaltungen gegenüberstehen. Die Zahl in Betrieb befindlicher Atomkraftwerke verringert sich beständig. Das heißt, in dieser Frage ist die Welt viel vernünftiger, als es manchen gefällt. Atomstrom wird sich in diesem Jahrhundert erledigt haben. Wo es nicht die Einsicht in das Risiko ist oder in die letztliche Unlösbarkeit des Atommüllproblems, wird es die ökonomische Vernunft sein. „Zu teuer“ ist ein Argument, und Bill Gates kann irren.

Aber auch wenn das Herbeireden einer Renaissance der Atomkraft am Ende nicht erfolgreich sein wird, richtet es Schaden an. Es verzögert die globale Energiewende und damit erfolgreichen Klimaschutz. Es verschlingt Ressourcen und verlängert das Risiko. Deshalb zum Schluss meine Bitte an die Bundesregierung: Kehren Sie zurück zu der kraftvollen Haltung von 2011, als Deutschland parteiübergreifend den Atomausstieg beschloss. Vervollständigen Sie ihn mit der Schließung der Atomfabriken bei uns, die das globale Atomkarussell antreiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Meine letzte Bitte an die Bundesregierung, Herr Präsident: Werden Sie Nachbarländern gegenüber deutlich bei Laufzeitverlängerungen und Neubauplänen, und schweigen Sie nicht in der EU, wenn es um neue Förderquellen für Atomkraft geht. Das sind Sie und wir alle dem 11. März 2011 schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])