10 Jahre Lehman Brothers und Finanzmärkte

28.09.2018

Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Er wäre ja schön, wenn das ein Moment des Rückblickes auf eine vergangene Finanzkrise sein könnte, aber leider ist das nicht so, sondern trotz der vielen Regulierungsmaßnahmen, von denen Frau Tillmann gesprochen hat, ist die Finanzkrise leider nicht vorbei, gerade auch in Deutschland nicht. Während wir hier sitzen, laufen immer noch die Bemühungen zur Stabilisierung einer Bank in Deutschland – der Nord/LB in diesem Fall –, die sich bei Schiffsfinanzierungen verhoben hat. Wir sind immer noch mitten in der Bewältigung dieser Finanzkrise. Das ist das Gefährliche auch für das Gesellschaftliche und Politische; denn wir wissen, dass Finanzkrisen – das hat es in der Geschichte immer wieder gegeben – auch zu politischen Verwerfungen führen und für unsere Demokratie eine enorme Herausforderung sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen kann man jetzt nicht einfach auf die vielen Gesetze zurückblicken, die da gemacht worden sind, auch wenn, wie zum Beispiel mit der Schaffung der Bankenunion, die gegen den Willen dieser Bundesregierung in Europa erreicht werden konnte, wichtige Maßnahmen ergriffen worden sind. Trotzdem müssen wir, wenn wir den Strich darunterziehen und das alles bewerten, sagen: Heute sind die Finanzmärkte leider nicht stabiler als 2007, im Vorfeld des Ausbruchs der Finanzkrise, die uns heute noch beschäftigt. Die Schulden sind weiter angewachsen. Sie sind schneller gewachsen als die Wirtschaftsleistung. Die großen Banken, die damals schon zu groß waren, sind teilweise weiter gewachsen, und die Menge an intransparenten Finanzprodukten hat weiter zugenommen.

Deswegen kann es nicht sein, dass wir uns damit begnügen, dass wir viel gemacht haben – ja, wir selber haben sehr viele Gesetze verabschiedet –, sondern wir müssen entscheidend dazu beitragen, dass das System stabil wird, und das ist bisher nicht gelungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vor diesem Hintergrund ist der Blick in den Koalitionsvertrag leider ernüchternd. Sie haben sich in Sachen Finanzmarktregulierung leider nicht vorgenommen, diese großen Probleme wirklich anzugehen. Deswegen sagen wir: Dieser zehnte Jahrestag der Lehman-Pleite muss der Anlass sein, um endlich einen neuen Anlauf für eine echte Finanzwende hinzubekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als eine Dimension dessen, was getan werden muss, will ich die Schnittstelle zum Immobilienmarkt nennen. Es gab in den letzten Jahrzehnten eine massive Fehlentwicklung in Deutschland: Wir hatten große kommunale Wohnungsbestände, und diese Immobilien konnten eben nicht als Spielball von internationalen Finanzinvestoren genutzt werden, sondern waren ausschließlich im Dienst der Bürgerinnen und Bürger, die da wohnen wollten. Durch das Instrument der Wohnungsgemeinnützigkeit, das in den 90er-Jahren leider abgeschafft worden ist, hatten wir einen großen Bestand an Wohnungen, die der Gemeinnützigkeit unterlagen, und es war damals nicht so leicht wie heute, Immobilienpakete schnell an der Börse zu handeln.

Die drei Schritte, die das umgekehrt haben, haben dazu beigetragen, dass die Immobilien – das, wo Menschen wohnen wollen – von einem Gebrauchsgut, das Menschen brauchen, immer mehr zu einem Finanzprodukt geworden sind. Diese Entwicklung müssen wir korrigieren. Wir müssen diese Fehlentwicklungen zurückdrehen, um wieder dafür zu sorgen, dass es bezahlbaren Wohnraum für die Menschen in diesem Lande gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Um es noch mal ganz klar zu sagen: Auch wenn viele andere Maßnahmen diskutiert werden: Ohne eine Finanzwende wird das Problem, dass die Immobilienpreise und die Mieten schneller steigen als die Einkommen der Menschen, nicht lösbar sein. Da müssen wir ran.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt eine zweite Dimension, und zwar im Bereich des Verbraucherschutzes. Ja, da ist auch manches entstanden, aber viel Papier hilft nicht immer viel. Ich erlebe immer wieder, dass sich Menschen schämen, wenn sie am Finanzmarkt Betrügern zum Opfer gefallen sind, wie jetzt gerade zum Beispiel viele Leute bei P&R, die einfach hinter die Fichte geführt worden sind. Ich finde aber nicht, dass sich die Opfer schämen sollten. Ich finde, es müssen sich die Betrüger am Finanzmarkt und diejenigen schämen, deren Aufgabe es gewesen wäre – das sind auch wir –, die Opfer vor diesen Betrügereien im Milliardenumfang zu schützen, es aber nicht geschafft haben. Da muss man etwas tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen können wir uns nicht mit Beraterregister – und was es sonst noch alles gegeben hat – zufriedengeben, sondern wir müssen dafür sorgen, dass diese intransparenten Finanzprodukte, die Betrug Tür und Tor öffnen und mit denen man Gebühren verstecken kann, der Vergangenheit angehören und der Finanzmarkt endlich für die Bürgerinnen und Bürger da ist und nicht im Wesentlichen eine intransparente Spielwiese ist, auf der sich ein paar Experten möglichst viel Geld verschaffen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will einen letzten Punkt nennen, obwohl es noch viele weitere Beispiele gäbe: die grüne Dimension der Finanzwende. Viele Unternehmen – das merke ich in vielen Gesprächen mit der Branche – haben inzwischen verstanden: Es macht keinen Sinn mehr, in veraltete Technologien zu investieren, viel Geld in Kohle und andere fossile Energien zu stecken, denn da wird man Geld verlieren. –

(Bettina Stark-Watzinger [FDP]: Das müssen die Anleger entscheiden!)

Deswegen gibt es inzwischen viele Investoren, die Ausstiegspläne haben. Wenn man jetzt mal schaut, wie es beim Geldanleger Bund aussieht, dann muss man sagen: Die Pensionsgelder der Bundesbeamten sind immer noch ohne Nachhaltigkeitskriterien, ohne Blick auf diese Risiken angelegt. – Ich finde, das kann nicht sein. Es braucht endlich auch eine Finanzwende, wenn der Bund Geld anlegt. Wir müssen die ökologischen Risiken am Finanzmarkt ernst nehmen. Auch da braucht es eine echte Finanzwende.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)