Rede von Uwe Kekeritz 40 Jahre Nord-Süd-Bericht

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12.02.2020

Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auch sehr darüber, dass das Thema Nord-Süd-Bericht heute auf der Agenda steht. Das geschieht sicherlich auch in der Anerkennung der persönlichen Leistungen der Person Willy Brandts. Sein Bericht, der Brandt-Bericht, wird zu Recht zu den bahnbrechenden Weltberichten zur globalen Entwicklung gezählt. Er ist ein intellektueller Meilenstein und ein Schlüsseldokument der internationalen Politik und könnte auch heute noch in vielerlei Hinsicht als ein politisches Lehrbuch gewertet werden. Herr Müller hat ja gesagt: Die Regierung wird demnächst mehr und mehr in dieses Buch reinschauen.

Die heutige globale Situation zeigt uns, wie weitsichtig dieser Bericht eigentlich war. Klimawandel, Erderwärmung, Aufrüstung, Verarmung und Reichtumskonzentration, alles in noch nie dagewesenem Ausmaße, und genau davor warnt der Bericht. Dieser Bericht sollte von uns als ein Vermächtnis begriffen werden, das uns einen klaren Handlungsauftrag erteilt. In der Nachschau wirkt der Bericht wie der Gegenentwurf zum Marktfundamentalismus der 80er- und 90er-Jahre. Diese Jahre waren für den globalen Süden düster, und zwar sehr düster. Ich erinnere nur an die damalige Schuldenkrise. Die lateinamerikanischen Staaten waren die ersten, die die bitteren Pillen des Internationalen Währungsfonds in Form von Strukturanpassungsmaßnahmen verschrieben bekommen hatten. Für sie war es ein Desaster. Die verschuldeten Staaten sollten glauben, dass der freie Markt alles richten, der Trickle-down-Effekt Armut bekämpfen und das Privat-vor-Staat-Dogma zu einer nachhaltigen Entwicklung und zu inklusivem Wachstum führen würde – heute wie damals schlicht Unsinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute ist die weltweite Verschuldung der Staaten auf einem historischen Rekordniveau, und wir sind da nicht vorbereitet. Wir haben immer noch kein Staateninsolvenzverfahren.

Auch das Wiederaufflammen der Ideologie des Washington Consensus mit den einfältigen Investitionsinitiativen, den erzwungenen Marktöffnungen oder auch mit der europäischen Handelspolitik, die Ökologie und Menschenrechte weit aufs Abstellgleis stellen, gefährdet die dringend nötige soziale und ökologische Transformation.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen eine Gemeinwohlökonomie und keine stoische Wachstumsideologie. Dann würden sich Investitionen auch als sinnvoll erweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Nord-Süd-Bericht forderte damals zu Recht eine Weltinnenpolitik, und er forderte auch strukturelle Veränderungen. Zu den strukturellen Veränderungen wissen wir, dass diese Regierung nichts davon hält. Im Gegenteil: Sie blockiert national, auf EU- und auf UN‑Ebene. Und nicht nur im Agrar- und im Handelsbereich wären strukturelle Änderungen dringend nötig. So wäre zum Beispiel das Lieferkettengesetz unbedingt notwendig. Es müsste schon längst da sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva-Maria Schreiber [DIE LINKE])

Es wird aber vom Kanzleramt und auch vom Wirtschaftsminister torpediert.

Das damalige Einfordern einer Weltinnenpolitik hat Größe und Weitsicht bewiesen. Wir können an diesem Punkt, 40 Jahre später, sogar tatsächlich einen kleinen Erfolg vorweisen. Dieser Erfolg besteht leider nur in internationalen Verträgen, die allerdings der Umsetzung harren. Die Agenda 2030 und das Klimaabkommen von Paris sind Zeugnisse einer neuen Weltinnenpolitik, und sie beinhalten den Auftrag, Hunger und Armut weltweit abzubauen, Wohlstand gerechter zu verteilen und so zu wirtschaften, dass unsere Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Allerdings wird diese Regierung dem Auftrag und ihrem eigenen Anspruch bei Weitem nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Regierung verwechselt den Begriff „Weltinnenpolitik“ immer mit innenpolitisch getriebener Weltpolitik. Das ist aber etwas ganz anderes. So wird zum Beispiel Entwicklungspolitik zur Außenwirtschaftsförderung, zur Migrationskontrolle oder zur Grenzsicherung weitgehend zweckentfremdet.

(Johannes Selle [CDU/CSU]: Das stimmt doch alles gar nicht!)

Genau das widerspricht der Idee Willy Brandts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Willy Brandt hat die dramatischen Folgen des Kalten Krieges und eines unsinnigen Wettrüstens stets verurteilt. Ich möchte ihn an dieser Stelle zitieren. Willy Brandt sagte:

Es kann sehr wohl sein, längst dabei sind, uns zu Tode zu rüsten … Nur langsam wird den Menschen klar, welche Aussichten sich eröffnen könnten, wenn es gelänge, auch nur einen Teil der unproduktiven Ausgaben für Waffen in produktive Aufwendungen für Entwicklung umzulenken.

(Dr. Christoph Hoffmann [FDP]: Aber trotzdem geht es heute allen besser!)

40 Jahre müssten für solch einen Erkenntnisgewinn reichen. Stattdessen eifert diese Regierung blindlinks dem 2-Prozent-NATO-Ziel nach und verbucht Rüstungsexporte in Rekordhöhe – ein Offenbarungseid. Und der SPD sei gesagt: Wenn Willy das wüsste, was würde er von dieser SPD halten?

Herr Präsident, ich möchte aber hoffnungsvoll schließen. Denn tatsächlich glaube ich, wie es Brandt selbst formulierte, dass Probleme, die von Menschen geschaffen wurden, auch von Menschen gelöst werden können. Es braucht nur den ehrlichen politischen Willen und Mut dazu. „Das Überleben sichern“, so der Titel des Reports, verlangt eben politischen Willen und Mut. Beides sehe ich in der Koalition und in dieser Regierung nicht ausreichend vorhanden.

Ich danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Der nächste Redner ist der Kollege Matern von Marschall, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)