Rede von Marcel Emmerich Abschiebungen

Marcel Emmerich MdB
11.05.2023

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Throm, ich muss erst mal mit Empörung feststellen, dass Sie sich mit Blick auf den Vorschlag der Kommission heute dafür ausgesprochen haben, auch Kinder an der europäischen Grenze zurückzuweisen. Sie würden wahrscheinlich auch Kinder ganz allein in ein Gefängnis stecken. Das ist einfach unmenschlich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Abg. Alexander Throm [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist ja eine Frechheit, Herr Emmerich! Unverschämt! – Thorsten Frei [CDU/CSU]: So was nennen Sie „Hetze“! Das hat mit der Realität nichts zu tun!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Emmerich, ich habe die Uhr angehalten. Gestatten Sie eine Bemerkung oder Frage?

Marcel Emmerich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, ich bin gerade erst am Anfang.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist das Letzte! Mäßigen Sie sich mal im Tonfall! Unglaublich! – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Keine Argumente, aber beschimpfen! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie können auch bei der AfD Platz nehmen! Hetzer! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich will Ihnen mal eine Geschichte erzählen, von Amer Abdallah. Abdallah ist seit September 2015 hier in Deutschland. Zwei Wochen hatte sein Weg aus Syrien gedauert; damals war der Weg noch einfacher als heute. Er hat in Syrien ein Studium des Chemieingenieurwesens absolviert, und mittlerweile studiert er in Deutschland Politik und Soziologie. Seit er hier ist, hat er sich engagiert, seit er hier ist, ist er im Gemeinderat, im Internationalen Ausschuss, aktiv. Er war auch schon beim Sommerfest des Bundespräsidenten eingeladen und Teil der Bürgerdelegation zur Feier des Tags der Deutschen Einheit.

Er macht gerade ein Praktikum hier im Deutschen Bundestag, und er war am Mittwoch auch auf der Besuchertribüne im Innenausschuss. Er hat mir ein Zitat mitgegeben, das ich hier verbreiten möchte: In der Sitzung vom Innenausschuss kam eine Szene in meinen Kopf, wie ich im Schlauchboot im Mittelmeer saß mit anderen hilflosen Menschen und nicht wusste, was auf mich zukommt und welche Träume ich wegen des Krieges verloren habe.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Er hätte ja nicht aufs Schlauchboot der Schlepper gehen müssen!)

Heute sitze ich im Bundestag, im Herzen der Republik. Und die Menschen, die über mein Schicksal reden und das Schicksal vieler Geflüchteter, haben keine Ahnung und keinerlei Berührungspunkte mit der Realität von Geflüchteten.

Ich will hier mal deutlich machen: Das, was in der ganzen Debatte um Geflüchtete passiert, ist,

(Zuruf der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

dass es vor allem um Technik geht, dass es um Mathematik geht, um Statistiken, um Zahlen, aber nicht um Menschen, nicht um Geflüchtete,

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)

nicht um die einzelnen Schicksale dieser Menschen. Diese inhumane,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist die gleiche Frechheit!)

diese unmenschliche, unempathische Herangehensweise, dieser wirklich kalte Blick auf die Welt

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Unverschämtheit!)

ist falsch; denn wir haben ein internationales Recht,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Genau, wir haben internationales Recht! – Zuruf des Abg. Michael Sacher [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und wir haben ein individuelles Recht auf Asyl. Das werden wir nicht untergraben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Alle, die eine andere Meinung haben, sind inhuman!)

Wenn wir jetzt auf die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz blicken, dann muss ich sagen, dass meine Fraktion seit Wochen sehr hart dafür gekämpft hat, dass die Kommunen auch finanzielle Unterstützung bekommen. Ich finde es richtig, dass dieser Knoten geplatzt ist, dass sich die Blockade gelöst hat, weil die Kommunen Enormes, Unglaubliches, Großartiges leisten bei dieser großen Herausforderung der Versorgung und Unterbringung der Geflüchteten.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Im Gegensatz zur Regierung!)

Dafür möchte ich Ihnen Danke sagen. Deswegen ist es auch richtig, dass wir sie finanziell unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ihr lasst sie aber hängen!)

Wenn ich mir den MPK-Beschluss im Weiteren anschaue: Es gibt einige Punkte, bei denen Sie gesagt haben: Da wird irgendwas eingesammelt. – Ich sage Ihnen – die Ministerpräsidentenkonferenz in Ehren –: Bundesgesetze macht immer noch der Deutsche Bundestag und nicht die Ministerpräsidentenkonferenz.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Was gilt hier eigentlich?)

Deswegen werden wir uns das alles sehr genau anschauen.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Saß nicht Herr Habeck mit am Tisch gestern? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Aha! Sie kennen das gar nicht!)

Den Geist der Abschottung, der Abschreckung und Ausgrenzung werden wir nicht mitmachen; denn es braucht einen Fokus auf eine Integrationsoffensive. Statt immer mehr Rufe nach Abschottung braucht es konkrete Maßnahmen zur Entlastung,

(Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ihr seid eine Trümmertruppe! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Unglaublich!)

indem wir das Arbeitsverbot für Geflüchtete abschaffen, indem wir die Anerkennung von Berufsabschlüssen erleichtern und indem wir eine nachhaltige Finanzierung von Integrations- und Sprachkursen auf die Beine stellen. Das entlastet die Kommunen bei der Versorgung und Unterbringung. Das entlastet sie sofort. Deswegen brauchen wir genau das.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Ann-Veruschka Jurisch [FDP])

Wenn wir dann einmal Ihren Vorschlag anschauen, dass es überall Grenzkontrollen geben soll, dann sehen wir einfach, wie weit Sie davon weg sind, neben Ihrem kalten Herz irgendwie noch den Wirtschaftsstandort Deutschland im Blick zu haben.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was ist denn das?)

Stationäre Grenzkontrollen entlang 2 436 Kilometer sind ein Schaden für die Wirtschaft,

(Zurufe von der CDU/CSU)

sind eine enorme Belastung für die Bürgerinnen und Bürger in der Grenzregion, und sie sind sicherheitspolitisch ineffektiv,

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ach nee!)

weil Bundespolizisten an den Bahnhöfen und an den Flughäfen gebraucht werden und nicht 24/7 an den deutschen Grenzen. Da sind Sie auf dem vollkommen falschen Dampfer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ich weiß schon, wer hier auf dem falschen Dampfer ist!)

Also: Wir brauchen bei der Asyl- und Migrationspolitik vor allem einen Blick auf die Humanität. Wir brauchen einen guten Zusammenhalt in diesem Land. Mit Ihren Parolen werden wir das sicher nicht hinbekommen. Es ist bei solchen Debatten wirklich schade, dass Angela Merkel weg ist

(Lachen des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

und jetzt bei Ihnen andere Leute den Ton angeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das war Ihre Kanzlerin! Das ist das Problem der CDU! Der letzte Satz war der beste! – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: So macht man die AfD stark! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wahnsinn! Peinlich!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Alexander Throm das Wort.