Rede von Ulle Schauws Abstammungsrecht bei gleichgeschlechtlichen Ehen

14.06.2018

Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp einem Jahr haben wir hier im Deutschen Bundestag die Ehe für alle verabschiedet, eine Sternstunde der parlamentarischen Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Karsten Hilse [AfD])

Viele Menschen in diesem Land haben sich mit den Lesben und Schwulen darüber gefreut, dass ihnen für ihre Liebe endlich die gleiche Anerkennung zuteilwird wie heterosexuellen Paaren. Auch deshalb sind wir hier seit acht Monaten um etliche glückliche Ehepaare reicher. Ich kann nur sagen: Das ist doch wunderbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber nicht alle rechtlichen Nachteile hat die Ehe für alle beseitigt. Vor allem die Regenbogenfamilien – in 95 Prozent lesbische Paare mit Kindern – sind von diesen Nachteilen betroffen. Die aktuelle Rechtslage stellt Kinder, die in gleichgeschlechtliche Ehen oder Partnerschaften hineingeboren wurden, schlechter. Ihnen fehlt die Rechtssicherheit durch zwei Elternteile. Lesbischen Paaren wird die Möglichkeit verwehrt, von der Geburt des Kindes an gemeinsam die Sorge zu übernehmen. Das wollen wir ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Fakt ist: Wenn ein Kind in eine heterosexuelle Ehe geboren wird, hat es automatisch zwei rechtliche Elternteile. Es ist damit doppelt abgesichert, auch bei Trennung oder Tod eines Elternteils. Und der Ehemann ist automatisch der rechtliche Vater des Kindes, wobei keine Rolle spielt, ob er tatsächlich der biologische Vater ist.

Wenn ein Kind hingegen in eine gleichgeschlechtliche Ehe hineingeboren wird, hat das Kind automatisch nur einen rechtlichen Elternteil: die leibliche Mutter. Die Ehefrau kann nicht als zweiter rechtlicher Elternteil alle Sorgen und Pflichten für das Kind von Anfang an übernehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Regelung widerspricht dem Kindeswohl. Sie widerspricht auch dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 Grundgesetz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und sie ist ungerecht für alle Kinder, die in eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft hineingeboren wurden. Diese Diskriminierung wollen wir beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Stiefkindadoption ist die bislang einzige Möglichkeit, durch die Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zwei rechtliche Elternteile bekommen können. Aber sie ist aufwendig und ein oft sehr langwieriger Prozess. Und was die wenigsten wissen: Lesbische Ehepaare, die gemeinsam Verantwortung und Sorge für ein Kind übernehmen wollen, müssen sich zuvor gegenüber dem Jugendamt offenbaren: über ihren Gesundheitszustand, ihre Vermögensverhältnisse, ihren polizeilichen Leumund etc. pp. Und das belastet Regenbogenfamilien enorm.

(Zuruf von der AfD: Was ist denn mit den Männern, mit den gleichgeschlechtlichen?)

Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Eltern, egal in welcher Konstellation, wünschen sich Sicherheit für ihr Kind. Und die wollen wir ermöglichen. Darum geht es hier.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir Grünen sind mit unserem Vorschlag zur Anpassung des Abstammungsrechts nicht allein. Der Deutsche Juristentag empfiehlt dies seit 2016. Der Arbeitskreis Abstammungsrecht im Justizministerium hat dies ebenfalls empfohlen. Und die Länder haben dazu letzte Woche auf der Konferenz der Justizminister einen ersten Vorstoß gemacht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Familienkonstellationen in unserem Land sind bunt. Dazu passt kein Familienrecht, das nur Schwarz-Weiß bereithält.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Jede dritte Familie, in denen Minderjährige leben, ist nichtehelich: eine alleinerziehende Person mit Kind, eine Patchworkfamilie oder eine Regenbogenfamilie. Es ist an der Zeit, das Familienrecht zu modernisieren,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

und zwar so, dass es zu den tatsächlichen Bedürfnissen von modernen, vielfältigen Familien passt. Wenn Kinder Eltern haben, die verbindlich Sorge und Verantwortung übernehmen, dann ist das gut. Soziale Eltern, elterliche Mitverantwortung und Regenbogenväter stärken und besserstellen: Das muss der nächste Schritt sein.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein Staat, der nicht vorschreibt, wie Menschen Familie leben, sondern ihnen das Leben leicht macht, das ist unsere Perspektive.

Ich freue mich auf die Beratungen und wünsche noch eine angenehme Nacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)