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24.02.2021

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gewalt in Äthiopien eskaliert. In Nigeria entführt die Terrororganisation Boko Haram Kinder. 90 Prozent des Tschadsees sind verschwunden, ein Viertel der Menschen in Subsahara-Afrika leidet unter extremer Armut und Hunger. Die schwächsten Staaten brechen unter ihrer Schuldenlast zusammen. In Südafrika wird eine Mutation des Coronavirus entdeckt. – Nicht erst jetzt erkennen wir, dass viele Probleme auf unserem Nachbarkontinent Afrika auch unsere Probleme sind, deren Folgen auch uns erreichen.

Die Megakrisen unserer Zeit – die Pandemie und die Klimakrise – haben nicht nur weltweit verheerende Auswirkungen, sie verschärfen auch die bereits bestehenden Krisen massiv. Die Antwort auf all das kann nur sein: Globale Probleme können wir nur mit globaler Solidarität und Zusammenarbeit bewältigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich können wir auch die Coronakrise nicht alleine meistern. Es ist im Interesse aller, dass die weltweiten Produktionskapazitäten für Impfstoffe so schnell wie möglich hochgefahren werden. Impfstoffe müssen dort ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden und nicht nur dort, wo am meisten dafür gezahlt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir nur in den reichen Staaten impfen, aber im Globalen Süden die Pandemie ungebremst weiter wütet und das Virus weiter mutiert, haben wir alle nichts gewonnen. Globale Solidarität und nicht Impfnationalismus: Das ist nicht nur ein Gebot des Herzens – das würde ja schon ausreichen –, sondern es liegt auch in unserem puren vernünftigen Eigeninteresse.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir die Menschen in Afrika bei all den Herausforderungen allein lassen, dann füllen andere Staaten wie China, Russland oder die Golfstaaten diese Lücken, und zwar getrieben von geopolitischen Machtinteressen – nicht von der Sorge um die Menschen vor Ort und erst recht nicht von der Sorge um Menschenrechte.

Herr Minister Müller, Herr Minister Maas: Schön, dass Sie hier in großer Einigkeit auftreten.

(Ulrich Lechte [FDP]: Na, ja!)

Es ist doch sehr wohlfeil, Herr Müller, wenn Sie nach Brüssel zeigen und kritisieren, wie unabgestimmt dort alles sei. Bei uns hat nicht nur jedes Haus seine eigene Afrika-Strategie; ich erinnere auch an die Länderliste, bei der Minister Müller erst einfach und relativ willkürlich ein paar Partnerländern die Entwicklungszusammenarbeit gestrichen und vergessen hat, Herrn Maas dazu anzurufen. Der diplomatische Flurschaden war enorm.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir brauchen endlich konkrete Lösungen, kluge regionale Ansätze und gegenseitige Wertschätzung und nicht die zwanzigste Strategie mit abstrakten Floskeln von oben herab.

Die Probleme unserer Nachbarn haben aber nicht nur deshalb etwas mit uns zu tun, weil die Folgen auch uns in Europa erreichen. Die Politik der europäischen Staaten hat in Afrika nicht nur durch die koloniale Vergangenheit eine Reihe von immensen Problemen geschaffen und verschärft. Eine echte gemeinsame Aufarbeitung dieser dunklen Kapitel bleibt daher eine zentrale Aufgabe der deutschen und europäischen Politik; sie ist eine Frage der Gerechtigkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber auch im Heute verschärft die Politik vieler europäischer Staaten die Konflikte und mindert die Entwicklungschancen afrikanischer Länder. Während die Industriestaaten für einen Großteil der Klimazerstörung verantwortlich sind, zahlen vor allem die Menschen in den ärmsten Staaten der Welt den Preis in Form von Dürren, Überschwemmungen und Naturkatastrophen. Wenn eine unfaire Handelspolitik lokale Märkte kaputtmacht, dann schadet das nicht nur den Menschen vor Ort und dem Klima, sondern langfristig auch uns selbst. Genau diese Einsicht und dieser Politikwechsel, genau das fehlt in den vielen Papieren und im Handeln der Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen hat in den letzten Jahren sogar ein gefährlicher Paradigmenwechsel stattgefunden, der die Entwicklungszusammenarbeit an vielen Stellen dem Diktat der Innenpolitik und der Migrationsabwehr unterordnet. So werden wir aber keins der globalen Probleme lösen; im Gegenteil: Man droht die Krisen zu verschärfen, indem man mit autoritären Kräften zusammenarbeitet und Menschenrechte hinten anstellt.

Viele Menschen auf unserem Nachbarkontinent haben in den letzten Jahren unter brutalen Kriegen gelitten, unter sexualisierter Gewalt und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Die Menschen erleben Terror und leiden in vielen Staaten zugleich auch unter den Menschenrechtsverletzungen, der Korruption und der Willkür der staatlichen Sicherheitskräfte, die eigentlich dafür da sind, sie zu schützen. In vielen Ländern, zum Beispiel in Nigeria, nehmen die Proteste gegen Polizeigewalt zu. Nicht nur beim Militärputsch in Mali, sondern auch an vielen anderen Orten auf der Welt können wir beobachten, dass eine kurzfristige Sicherheitslogik, die vor allem auf das militärische Training von Sicherheitskräften setzt, hoch problematisch sein kann und auch nicht zum gewünschten Erfolg führt.

( Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ihr unterstützt das doch immer!)

Stattdessen müssen wir in den Aufbau von guter Staatlichkeit investieren, die Rolle der Zivilgesellschaft stärken und echte Sicherheitssektorreformen vorantreiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Vereinten Nationen versuchen genau das immer wieder. Sie versuchen, das Leid der Menschen zu lindern und dafür zu sorgen, dass Konflikte am Verhandlungstisch gelöst werden. Dafür brauchen sie mehr Geld, mehr Personal und mehr internationale Unterstützung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so groß die Herausforderungen sind, so sehr gibt es die wertvollen Chancen und Potenziale. Mit nachhaltigen Klimapartnerschaften, die Menschenrechte, Umweltschutz und Sicherheit zusammendenken, schafft man nicht nur eine Win-Win-Situation – einen Gewinn für die Menschen vor Ort und wirtschaftliche Chancen für uns –, sondern damit schützen wir auch gemeinsam unser Klima.

Wir sehen so viele Frauen und junge Menschen, die nicht nur in Tunesien und im Sudan mit ihren Rufen nach Mitbestimmung und einer besseren Zukunft den Weg weisen und den notwendigen Wandel einleiten. Dafür, Herr Minister Maas, dass Sie immer sagen, dass feministische Außenpolitik Ihnen ein Herzensanliegen ist, haben wir hier relativ wenig von Ihnen dazu gehört. Sie haben von Richtern, Ingenieuren und Polizisten gesprochen. Ich wünschte, Sie würden auch die Potenziale der Frauen und Mädchen erkennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gisela Manderla [CDU/CSU])

Es gibt so viele Menschen, die sich für fairen Handel und tolle Entwicklungsprojekte einsetzen, ob im Eine-Welt-Laden in Ravensburg, im Landwirtschaftsprojekt in Mali oder in der Schule in Mosambik. Gerade Bildung ist und bleibt die mächtigste Antwort, wenn wir die Chancen der Menschen auf eine bessere Zukunft unterstützen möchten. Es ist ja nicht so, dass es keine Ideen gibt. Was fehlt, ist ein Mehr an internationaler Solidarität und das Ende einer egoistischen Politik, die die Krisen verschärft. Es braucht auch mehr finanzielle Mittel für die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele und mehr politische Power dahinter; denn wenn wir die gemeinsamen globalen Herausforderungen meistern wollen, dann müssen wir das zusammen tun, und dann haben wir keine Zeit mehr zu verlieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Christoph Matschie für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)