Rede von Oliver Krischer Aktuelle Stunde: Abgasskandal

28.09.2018

Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Jahre sind seit dem Bekanntwerden des Abgasskandals nun vorüber, und das Thema beherrscht hier – anders als in den USA, dem Land, in dem der Skandal aufgedeckt wurde – immer noch permanent die öffentliche Debatte. Das hat eine ganz einfache Ursache: Weder die Autoindustrie noch die Bundesregierung haben in diesen drei Jahren auf diesen Skandal auf angemessene Weise reagiert, weil sie sich für das Aussitzen entschieden haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist ein Skandal, um das ganz deutlich zu sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sowohl die Autoindustrie als auch die Bundesregierung haben geglaubt, dass man das Thema nur so wie eine Grippe behandeln muss: Nach zwei Wochen ist alles vorüber. Aber genau das Gegenteil ist geschehen. Der Abgasskandal hat unsere wichtigste Industrie in die größte Vertrauenskrise ihrer Geschichte geführt. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass das auch zur größten wirtschaftlichen Krise dieser Industrie führt. Dafür trägt diese Bundesregierung eine zentrale Verantwortung, weil sie nicht auf angemessene Weise handelt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist ja nicht so, als ob nicht genug darüber geredet worden wäre. Nach unzähligen Dieselgipfeln – man kann schon fast von einem Dieselgebirge sprechen; am Wochenende findet wahrscheinlich wieder ein Dieselgipfel statt – haben Sie das Problem immer noch nicht an der Wurzel gepackt. Es fahren doch Millionen Diesel-Pkws auf den Straßen und emittieren ein Vielfaches des Grenzwertes. Es reicht eben nicht, Herr Scheuer, ein paar Elektrobusse zu fördern oder in der einen oder anderen Stadt die Ampelschaltung zu verbessern. Sie müssen ran an die Hardware der Fahrzeuge. Sie müssen das Problem an der Quelle bekämpfen und dafür sorgen, dass die Fahrzeuge sauber werden. Es kann doch nicht sein, dass wir nach drei Jahren noch immer keine Entscheidung zu diesem Thema haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Felix Schreiner [CDU/CSU]: Reiner Populismus!)

– Ich höre gerade: „Reiner Populismus!“ – Am Anfang haben nur ein paar Umweltverbände und die Grünen eine Hardwarenachrüstung gefordert. Dann auf einmal war auch die SPD dafür. Inzwischen ist auch die CDU bei dem Thema Hardwarenachrüstung angekommen. Da mögen Frankfurt und die hessische Landtagswahl eine Rolle spielen. Aber immerhin bewegen Sie sich in die richtige Richtung. Der Einzige, von dem man nicht weiß, wo er steht, und von dem man jeden Tag eine andere Meinung und Position – genauso wie in den letzten Minuten ja auch wieder – hört, ist der zuständige Verkehrsminister Andi Scheuer. Ich sage: Das Problem ist personifiziert. Scheuer und sein Vorgänger sind die Ursache dafür.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Felix Schreiner [CDU/CSU]: Reden Sie mal mit Winni Hermann!)

Um es klar zu sagen: Ich halte es für zynisch, dass ein Verkehrsminister wochen- und monatelang durchs Land läuft und sagt: Die Flottenerneuerung ist die Lösung. – Das müssen Sie sich mal vorstellen: Da haben Millionen Menschen Geld für einen Diesel ausgegeben, von dem die Automobilindustrie ihnen erzählt hat: Der ist sauber. – Diese Menschen sind betrogen worden. Jetzt kommt der Verkehrsminister und sagt: Kauft ein neues Auto! Dann wird die Luft sauberer. – Ich sage: Das ist kein Verkehrsminister. Das ist ein Verkaufsagent der Automobilindustrie. Das macht unsere Luft nicht sauberer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das Ganze ist am Ende nicht nur eine soziale Frage. Tatsächlich löst man mit einer Flottenerneuerung kein Problem. Der eigentliche Skandal neben den nicht mit Hardware nachgerüsteten Fahrzeugen ist, dass nach wie vor jeden Tag Tausende neue Fahrzeuge auf unsere Straßen kommen – und zwar mit Billigung dieses Verkehrsministers –, die die Grenzwerte nicht einhalten. Deshalb kann die verrückte Situation eintreten, dass ein altes Fahrzeug mit Flottenerneuerung aus dem Verkehr gezogen wird und das neue Fahrzeug sogar noch mehr emittiert. Das kann doch, ehrlich gesagt, nicht die Antwort auf die Dieselkrise sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Deshalb: Herr Scheuer, ich erwarte jetzt und hier von Ihnen eine klare Ansage, was Sie machen wollen. Dieses ewige Hin-und-her-Gewankele! Ich weiß ja nicht, ob der Discobesuch in dieser Woche auch ein bisschen zur Verwirrung beigetragen hat.

(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Sie sollten auch mal mehr Spaß im Leben haben!)

Es kann nicht weitergehen, dass ein Verkehrsminister Deutschland so lange im Unklaren lässt, wie Herr Scheuer das tut, wo wir inzwischen schon die verrückte Situation haben, dass sogar ein Automobilhersteller selbst bereit ist; nur der liebe Andi Scheuer steht noch auf der Bremse – oder: Man weiß nicht genau, wo er steht. Da erwarte ich eine klare Ansage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Gott sei Dank kommt er zum Schluss!)

Drei Jahre nach Dieselgate ist nicht nur die Hardwarenachrüstung, das Dieselthema an sich ein Problem; das Hauptproblem ist, dass wir eine Verkehrspolitik haben, die nicht Klimaschutz und Nachhaltigkeit berücksichtigt, die nicht die notwendigen Veränderungen anpackt, die die Branche insgesamt braucht, die für eine neue Mobilität stehen. Es reicht nicht, ein paar Städten ein 1‑Euro-Ticket irgendwie zuzubilligen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, bitte!

Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir brauchen den Abbau von Diesel- und Dienstwagenprivilegien. Wir brauchen eine Investitionsoffensive für den öffentlichen Verkehr und eine nachhaltige Mobilität. Das ist die Herausforderung. Aber die wird da überhaupt nicht angepackt.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)