Rede von Dr. Franziska Brantner Aktuelle Stunde „Absage Regierungserklärung zum Europäischen Rat“

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09.10.2020

Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Leikert, Sie haben gerade noch einmal gefragt: Warum braucht es denn eine Regierungserklärung? Ich nenne Ihnen zwei Gründe: weil wir nächste Woche einen Europäischen Rat haben, der sich um den Brexit, um den Haushalt, um Rechtsstaatlichkeit und um das Klima kümmert. Das sind die „kleinen“ Themen, die gerade keinen interessieren und die überhaupt nicht relevant sind. Wenn Ihnen das noch nicht reicht, würde ich noch einen zweiten Grund hinzufügen: weil Deutschland gerade die Ratspräsidentschaft innehat. Ratspräsidentschaft bedeutet, dass man die europäischen Debatten in die Öffentlichkeit bringen soll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Das ist die Aufgabe von Ratspräsidentschaft. Als Parlament sind wir doch ein prädestinierter Ort dafür, diese Debatten in die Öffentlichkeit zu bringen. Deswegen: Ich kann es nicht nachvollziehen.

Warum wird es nicht öffentlich diskutiert? Weil die Bilanz bis jetzt mager ist, weil Frau Merkel an einem Tag den Rechtsstaat und die Rechtsstaatlichkeit preist, um sie am nächsten Tag preiszugeben. Wir haben das gesehen: Es gab einen Vorschlag, der vorsah, die Vergabe europäischer Gelder an das Kriterium der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen; eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einer Europäischen Union. Aus diesem Vorschlag wurden jetzt alle Aspekte der Rechtsstaatlichkeit herausgestrichen: Unabhängigkeit der Gerichte, Rechtsmittelmöglichkeit gegenüber Behörden – alles rausgestrichen. Die Vorsitzenden der vier demokratischen Fraktionen im Europäischen Parlament, wie sie auch hier sitzen, haben die Ratspräsidentschaft gebeten, das wieder zu ändern. Darauf gab es einen Antwortbrief, der de facto sagt: Forget it! Vergesst es, da kommt nichts! – Ich kann Ihnen sagen: Das ist eine so unerträgliche Arroganz gegenüber dem Europäischen Parlament, dass damit wirklich Schluss sein muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Diese Arroganz gegenüber dem Europäischen Parlament zeigt sich übrigens auch bei einem Blick auf den Haushalt an sich. Das Europäische Parlament fordert richtigerweise, dass die europäischen Aufgaben – Forschung, Klimaschutz und Gesundheit; angesichts dieser Pandemie – wieder finanziell gestärkt werden. Was ist die Antwort des deutschen Botschafters: maximal 9 Milliarden Euro. Und das angesichts eines Haushalts, der ein Volumen von 1 Billion Euro hat. Das sind Peanuts, das ist nichts, das ist einfach eine Verarsche des Europäischen Parlaments!

(Beatrix von Storch [AfD]: Das können Sie auch mal rügen, Herr Präsident!)

Ich finde es absolut falsch, dass die Bundesregierung dafür auch noch ihren Namen hergibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die Bundesregierung, wenn die Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf ihrem viertägigen Gipfel im Juli vielleicht einmal daran gedacht hätten, dass es auch noch ein Europäisches Parlament gibt, dann wären die Verhandlungen jetzt nicht so zäh. Das heißt: Jeder Tag Verzögerung geht auf Ihr Konto. Es liegt in Ihrer Verantwortung, hier jetzt schneller voranzukommen, auf das Europäische Parlament zuzugehen und endlich Rechtsstaatlichkeit und europäischen Mehrwert durchzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zweite große Thema ist der Brexit. Mir bereitet es gerade große Sorgen, dass wir am Ende zu einer Einigung kommen könnten, die zulasten des Binnenmarktes und unserer gemeinsamen Standards geht. Alles, was wir hören und sehen können, deutet darauf hin, dass Großbritannien am Ende vielleicht in der Lage sein wird, die aktuellen Standards zu halten, sich aber mit Blick auf zukünftige Standards – ich sage nur: CO-Preis etc. – auf nichts einlassen wird und wir am Ende, unter Druck, sogar noch einschlagen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Na hoffentlich!)

Das ist gefährlich für unseren Binnenmarkt, weil das ein unfairer Wettbewerb für unsere Unternehmen wäre.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ja! So ist es!)

Es geht da um unsere eigenen Unternehmen; denn denen würde hinterher unfaire Konkurrenz gemacht werden aus Großbritannien. Ich hoffe, dass diese Bundesregierung sich endlich an die Seite Frankreichs stellt, das wesentlich härter darauf pocht und auf Fairness setzt. Ich hoffe, dass die Bundesregierung hier nicht umknickt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Kleinwächter [AfD]: Macron genießt ja nicht einmal mehr Vertrauen bei seinen eigenen Abgeordneten!)

Wir wissen, dass diese Woche die Innenminister getagt haben. Mich hat es ehrlich gesagt geschockt, dass es, wenige Wochen nach Moria, worüber wir hier viele Debatten geführt haben, in Deutschland eigentlich kaum noch jemanden interessiert, was die Innenminister aus dem Vorschlag der Europäischen Kommission machen. Diese Kurzlebigkeit der Debatten finde ich tragisch. Eigentlich hätten wir hier alle darüber diskutieren müssen, was die Bundesregierung jetzt aus den europäischen Vorschlägen macht. Diese Diskussion hat in der Öffentlichkeit nicht stattgefunden. Deshalb diskutieren wir öffentlich auch nicht darüber, dass diese Bundesregierung mit ihren eigenen Vorschlägen auch eine europäische Lösung verhindert, weil die Vorschläge von Herrn Seehofer unrealistisch sind. Die Südländer wollen die Verfahren nicht komplett an ihren Grenzen abschließen. Das würden auch wir niemals akzeptieren.

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Schauen wir doch erst mal! Die Kommission hat jetzt einen Vorschlag auf den Tisch gelegt! Schauen wir mal, wie es ausgeht!)

Das sind unrealistische Positionen dieser Bundesregierung, die eine gemeinsame Positionierung am Ende verhindern. Das gilt übrigens auch für den Vorschlag, dass wir die Herkunftsländer einfach dadurch bestrafen, dass sie weniger Entwicklungsgelder erhalten, wenn sie ihre Bürgerinnen und Bürger nicht zurücknehmen. Wir brauchen stattdessen sicherere Migration, aber auch da blockiert die Bundesregierung. Machen Sie endlich konkrete, realistische Vorschläge, damit wir auch da weiterkommen.

(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Die Kommission hat einen Vorschlag vorgelegt!)

– Ich sage nur: Ich habe keine Lust mehr auf Debatten im Plenum, in denen wir sagen: „Moria darf nicht wieder passieren“, und wenn es konkret wird, verhindert man alles, was genau dazu führen könnte. Das ist eine unredliche Debatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Wenn man keine Lust hat auf Debatten, muss man sich hinsetzen! Jetzt haben wir eine gute Grundlage mit dem Vorschlag der Kommission!)

Ich hoffe, dass Sie aus der Ratspräsidentschaft noch was machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Jetzt keine weiteren Dialoge! – Vielen Dank, Frau Kollegin. Bitte gehen Sie zügig zur Abstimmung, damit ich dann die namentliche Abstimmung schließen kann. Die Maske nicht vergessen!

Der nächste Redner ist der Kollege Detlef Seif.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lieber Kollege Seif, Sie haben in Ihrer vorigen Rede, vor etwa einer Stunde, die AfD-Fraktion als einen Haufen bezeichnet. Diese unparlamentarische Äußerung weise ich ausdrücklich zurück und bitte Sie, künftig sorgfältig zu formulieren.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)