Rede von Erhard Grundl Aktuelle Stunde „Antisemitismus“

Foto von Erhard Grundl MdB
20.03.2024

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Barbarei der Hamas vom 7. Oktober verzeichnet die Informationsstelle RIAS eine Vervierfachung antisemitischer Vorfälle gegenüber 2022. Kindergärten, Kultureinrichtungen und Synagogen müssen im Land der Shoah verstärkt polizeilich geschützt werden. Viele fragen sich, ob hier noch ein sicheres Zuhause für Jüdinnen und Juden ist.

Antisemitismus in allen Erscheinungsformen aktiv bekämpfen, das ist die Aufgabe.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Gut, dass die Union das heute noch einmal unterstreicht.

(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Ja, genau!)

„Count me in!“, rufe ich Ihnen da gerne zu, wie beim alten Popsong aus den 60ern von Gary Lewis.

Wen wir im gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus nicht dazuzählen können, ist natürlich der Martin-Sellner-Fanklub hier rechts außen, der internationalen Antisemiten die Tore zum Bundestag aufsperrt und sie hier hofiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das ist unerträglich, dieses Tal der Heuchelei, das Sie fortwährend durchschreiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zurück zur CDU/CSU. Ich habe mich sehr gefreut, dass in der vergangenen Woche auch die Bayerische Staatsregierung nach vielen Jahren endlich bereit war, bei der Stärkung der Restitution von NS-Raubkunst mitzuwirken. Als Deutsche sollten wir hier ganz demütig sein, aber man kann nach schmerzhaften 25 Jahren, in denen hinsichtlich der Washingtoner Prinzipien nichts passiert ist, sagen: Die Einigung von Bund und Bundesländern hinbekommen zu haben, das ist ein historischer Erfolg von Claudia Roth als Kulturstaatsministerin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Demut wäre aus meiner Sicht auch angesagt gewesen rund um die Bärenverleihung bei der Berlinale: Da hätten im Zug der Aufregung Kommentierende aus dem Land der Täter besser davon Abstand genommen, einem jüdischem Künstler Antisemitismus vorzuwerfen. Das geht aus meiner Sicht gar nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Der Kunstbetrieb ist ein Abbild der Gesellschaft, und ja, es gibt Antisemitismus auch in der Kunst. Das vielfach dröhnende Schweigen nach dem 7. Oktober ist und war unerträglich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es braucht Debattenräume, um dem Antisemitismus in Kultur, Bildung und Wissenschaft deutlich entgegenzutreten und ihn zu entlarven. Aber zu Ihrer Absicht, hier die Daumenschrauben anzuziehen, sei Ihnen das zweite, ganz aktuelle Gutachten des Verfassungsrichters Möllers empfohlen. Möllers macht klar, dass der Staat seine Förderprogramme für Kunst und Kultur „mit nicht kunst- oder kulturimmanenten weiteren Zielen verbinden“ kann. Die öffentlichen Kulturinstitutionen können sich entsprechende Codes of Conduct geben. Aber wo es um die künstlerische und kuratorische Arbeit von Kulturinstitutionen geht, ist diese von der Kunstfreiheit geschützt, unterstreicht Möllers. Hier hat der Staat keinen Einfluss. Das schließt das Grundgesetz aus, und zwar zu Recht.

Kunst ist kein Heftpflaster für alles, was wir als Gesellschaft nicht hinbekommen. Nur durch ihre Freiheit auch gegenüber staatlicher Förderung kann Kunst ihre subversive und emanzipatorische Kraft entfalten. Kunst muss die Freiheit haben, den abgesicherten Raum immer wieder verlassen zu können. Das macht sie zu einem unschätzbaren Gut und unverzichtbar für eine freiheitliche Gesellschaft.

(Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])

Im Herbst 2023 konnte ich an einer kleinen Feier im Garten der Synagoge bei mir daheim in Straubing teilnehmen. Eine junge Ulme wurde gepflanzt, als Ausdruck der Verbundenheit Israels und Deutschlands. Wer einen Baum pflanzt, denkt an künftige Generationen und hofft auch für sie auf ein glückliches, sicheres Zuhause, auf den Ort, an dem man sich nicht erklären muss, sondern weiß: Ich bin ein selbstverständlicher, respektierter Teil einer sorgenden und schützenden Gemeinschaft – so selbstverständlich, wie es für jüdisches Leben in Deutschland sein sollte. Darum sind wir alle gefragt, als Demokratinnen und Demokraten Antisemitismus in allen Erscheinungsformen aktiv zu bekämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist und bleibt leider ein Stück weit heuchlerisch, wenn gerade Sie von der CSU hier schwadronieren,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Jetzt fängt er wieder an!)

wo Sie bei uns in Bayern gar kein Problem damit haben, einen temporär nicht praktizierenden Antisemiten aus reinem Machtkalkül erst im Regierungsamt zu belassen und ihn dann als stellvertretenden Ministerpräsidenten

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ist gut nun!)

erneut ins Amt zu hieven.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [Die Linke])

Dafür gibt es keinen Bären; da gibt’s höchstens die Goldene Kniescheibe für Markus Söder.

(Heiterkeit der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Solange Sie diese Unerträglichkeit nicht gelöst haben, sind Sie und Ihr Parteichef schlechte Ratgeber im wichtigen Kampf gegen Antisemitismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Verehrte Damen und Herren der Union, packen Sie die Besen aus und kehren Sie!

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nur weil die Grünen nie was reißen in Bayern! Das ist eine Loser-Partei in Bayern!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal grüße ich Sie alle zu dieser Stunde.

Wir fahren fort in der Debatte. Das Wort erhält Anikó Glogowski-Merten.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)