Rede von Cem Özdemir Aktuelle Stunde: Arbeitsplätze in der Automobilindustrie

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14.11.2019

Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daran, dass die AfD ein Problem mit Flüchtlingen hat, haben wir uns leider gewöhnen müssen.

(Johannes Huber [AfD]: Zum Thema!)

Dass die AfD ein Problem mit demokratischen Gepflogenheiten, mit Anstand hat, haben wir gestern mit Bedauern zur Kenntnis nehmen müssen.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Zum Thema!)

Aber was um Himmels willen haben Sie jetzt auch noch gegen das deutsche Auto? Das verstehen wir nun wirklich nicht, meine Damen und Herren.

(Lachen bei der AfD – Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Sie haben was gegen das Auto! – Johannes Huber [AfD]: Ist Ihnen das peinlich?)

Denn anders ist die Debatte heute wirklich nicht zu verstehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich darf noch mal für die Zuschauer an den Titel erinnern: „Politisch verursachter Arbeitsplatzabbau in der Automobilindustrie“. Das unterstellt, dass alle Fraktionen jenseits der AfD keine Ahnung vom Auto haben.

(Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Ja, genau so ist es!)

Tun wir für eine Sekunde einmal so, als hätten Sie recht. Aber gilt das dann bitte schön auch für den Chef des Unternehmens Daimler bei mir im Wahlkreis, Herrn Källenius? Gilt das dann bitte schön auch für Herrn Zipse, den Chef des Weltunternehmens BMW? Gilt das dann bitte schön auch für Herrn Diess, den Chef von VW? Gilt das für die Zulieferer? Gilt das für die IG Metall? Für die Arbeitnehmervertretungen? Wir haben es doch gerade eben gehört: Die sind sich alle einig – so etwas gibt es nun wirklich selten in Deutschland –, dass es eine Antriebswende braucht, weil wir anders den Automobilproduktionsstandort Deutschland nicht retten können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Nein, weil Sie die politischen Rahmenbedingungen so gesetzt haben!)

Hören Sie wenigstens auf die, wenn Sie schon nicht auf uns hören.

Damit hier erst gar keine Verwirrung entsteht: Der Kernfrage ist doch: Glauben wir, dass es einen menschenverursachten Klimawandel gibt und dass auch der Verkehr einen Beitrag dazu leisten muss – das geht dann nur mit einer Antriebswende –, oder glauben wir es nicht? Ich will mich aus Gründen der Kürze der Zeit – Sie sehen es mir nach -

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Es braucht doch keine Antriebswende! Wir wollen keine Antriebswende!)

an den Teil des Plenums richten, der nicht im finsteren Mittelalter lebt und akzeptiert, dass es diesen menschengemachten Klimawandel gibt, dass er nicht gut ist und dass wir etwas dagegen tun müssen.

Gott sei Dank gibt es mittlerweile einen weitgehenden Konsens in der Wissenschaft, in der Automobilindustrie und – ich höre das hier so heraus – so langsam endlich auch in der Politik darüber, dass für kurze und mittlere Strecken beim Pkw der batteriebetriebenen Elektromobilität die Zukunft gehört. Das heißt natürlich auch: Bei längeren Strecken, bei Lkws, bei Schiffen verspricht der Wasserstoff beispielsweise eine interessante Zukunft.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der AfD: Mann, Mann, Mann, Mann!)

Wir hoffen doch alle – darüber kann es hier doch gar keinen Streit geben –, dass auch synthetische Kraftstoffe, wenn wir weiter in die Forschung gehen, in Zukunft einen Beitrag dazu leisten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber neu!)

Anstatt hier wertvolle Zeit zu verlieren, sollten wir jetzt gemeinsam dafür ringen, dass wir endlich eine vernünftige Ladeinfrastruktur bauen, dass wir Recyclingstrukturen für Batterien haben, damit es künftig deutsche Autos sind, die von den Produktionsbändern laufen, und nicht – wie es wäre, wenn es nach der AfD geht – ausländische Autos sind. Denn das ist doch das, was passieren wird, wenn man auf Sie hört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Entscheidung von Tesla zur Gigafactory kann man begrüßen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zuruf von der AfD: Unfug!)

Aber zur Wahrheitsbetrachtung gehört auch, dass sie uns noch einmal vor Augen geführt hat, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass das, worauf wir zu Recht stolz sind – dass wir vor 130 Jahren das Auto erfunden haben –, immer so bleiben muss.

(Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Was? Die Politiker haben das Auto nicht erfunden?)

Wir kennen das Schicksal der Elektroindustrie. Wir wissen, was mit Nokia passiert ist, die das Smartphone verschlafen haben. Wenn wir auf Sie hören, droht das Schicksal Nokias der deutschen Automobilindustrie. Dafür ist diese Leitindustrie der deutschen Industrie zu wichtig, als dass wir auf die Maschinenstürmer setzen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir setzen auf den technischen Fortschritt und sagen nicht Nein zur Zukunft.

(Zuruf von der AfD: Sie sind der Maschinenstürmer!)

Die Zukunft des Autos liegt im autonomen Fahren, die Zukunft des Autos ist zunehmend geteilt, und sie muss angesichts der Klimakrise selbstverständlich emissionsfrei sein. Die gute Nachricht: Wir haben alles, was man dafür braucht: Wir haben hervorragende Ingenieure. Wir haben einen großartigen Mittelstand. Wir haben tolle Forschungseinrichtungen. Und im Gegensatz zu Ihnen haben wir Mut, den Stier bei den Hörnern zu packen.

(Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Mut, aber keine Ahnung! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist das Problem! Sie haben hier keine Ahnung!)

Wir werden das nachholen, was wir in den letzten Jahren verschlafen haben, und dann werden wir zeigen: Mit German Mut produzieren wir auch in Zukunft deutsche Autos!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß, das ist schwer für eine Partei, die sich auf das Schüren von Hass und das Schüren von Ängsten besonders spezialisiert hat.

(Widerspruch bei der AfD)

Das ist eine große Herausforderung für Sie. Aber für den Rest des Hauses sollte gelten, dass es unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker ist, den Menschen Mut zu machen. Mut, weil es eine große Herausforderung ist; aber diese Transformation der Automobilindustrie ist auch eine Chance.

Meine Damen, meine Herren, der große Demokrit wusste schon: Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN – Lachen der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD] – Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Wer Mut und Glück braucht, hat verloren!)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat als Nächstes das Wort der Kollege Dr. Matthias Heider.

(Beifall bei der CDU/CSU)