Rede von Dr. Robert Habeck Aktuelle Stunde „Atomausstieg“

Robert Habeck
15.05.2024

Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz:

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Erlauben Sie mir, mit einer Vorbemerkung anzufangen – ich sage das mit Bedacht nach dem Redner einer Partei, die nun auch gerichtlich ein gesichert rechtsextremer Verdachtsfall ist –:

(Karsten Hilse [AfD]: Ist er nicht! – Enrico Komning [AfD]: Oh, oh, oh!)

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico ist gerade niedergeschossen worden. Ich sage das deswegen, weil wir wissen, dass aus Worten Taten folgen und dass diese Taten meistens eine geistige Vorbereitung haben.

(Steffen Kotré [AfD]: Unverschämtheit, das in Zusammenhang zu bringen!)

Wir – diejenigen, die sich dem demokratischen Spektrum zugehörig fühlen – sollten, denke ich, unsere Worte sorgsam wägen. Von hier aus: Robert Fico, gute Besserung!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich danke wirklich für die Gelegenheit, einmal zur Sache reden zu können und die Dinge hier noch einmal transparent und in einem Zusammenhang darstellen zu können. Ich beginne mit ein paar der in den Medien, sagen wir, formulierten oder aufgeschnappten Vorwürfe, kurz: mit den Schwärzungen.

Ich hatte es schon Kollegen der CDU/CSU-Fraktion nach der letzten Debatte hier im Plenum gesagt: Die Schwärzungen folgen der Vorgabe des UIG, wonach personenbezogene Daten, potenzielle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder Daten, die nicht die UIG-Anfrage betreffen, geschwärzt werden. Aber selbstverständlich können wir diese Schwärzungen in Absprache mit den jeweiligen Betroffenen auch aufheben. Wir haben dem Ausschuss deswegen gestern – es hat hoffentlich geklappt – die Dokumente mit großen Schwärzungen – das ist ein Brief von RWE und ein etwa 30-seitiger Brief von Markus Söder; viel Spaß bei der Lektüre! – zugestellt. Das kann man im Einzelfall natürlich auch mit anderen Dokumenten machen, sofern nicht irgendwelche möglichen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder personenbezogene Daten vorhanden sind. Es würde ein bisschen dauern, das noch einmal durchzugehen, weil das händische Arbeit ist.

Und dann muss ich sagen – damit alles seine systematische Ordnung hat –: Der Vorwurf der Intransparenz kann sich wohl nur auf die Beantwortung der Anfrage eines Journalisten von „Cicero“ beziehen; denn das sind die Akten, die wir Ihnen, dem Ausschuss, freiwillig zugestellt haben, nachdem wir dem „Cicero“ diese Umweltinformationsgesetz-Anfrage beantwortet hatten. Die Anfrage war präzise gestellt. Nicht ganz klar war aus unserer Sicht, wo die Grenze verläuft, was alles zur Beantwortung dazugehört. Wir haben also in einer ersten Charge sehr wohl Dokumente herausgegeben. Aber in der Tat: E-Mails zwischen Mitarbeitern usw. hielten wir für nicht so relevant. Darüber wurde das Klageverfahren geführt. Diese Dokumente sind Ihnen jetzt auch zugestellt worden. – Das ist die Vorbemerkung.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Geklagt haben die nicht!)

Worüber reden wir? Gut ein Jahr nach dem Atomausstieg haben sich die Unkenrufe und, wenn man fair ist, die Befürchtungen von einigen nicht bewahrheitet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir haben Atomstrom nicht durch Kohle ersetzt, sondern, wie wir gerade in einer Studie des Fraunhofer-Instituts gelesen haben, durch den Ausbau der erneuerbaren Energien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben keine Preissteigerungen; das DIW, ein renommiertes Forschungsinstitut, hat – grob aus dem Kopf zitiert – gesagt, dass der Preiseffekt des Atomstroms vernachlässigbar gering gewesen sei. Die Stromversorgung ist 24/7 sicher; wir haben eine der sichersten Stromversorgungen weltweit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Frank Rinck [AfD]: In der Dritten Welt, ja!)

Die Raffinerie in Schwedt – um sie der Vollständigkeit halber zu nennen – produziert stabil Öl, und die Gasspeicher sind auch nach dem zweiten Winter ohne russisches Gas gut gefüllt.

Damit bin ich bei den Gasspeichern, und das ist ja der Beginn der Debatte. Als ich ins Amt kam, im Dezember 2021, hatte Putin seine Kriegsvorbereitungen für den Angriffskrieg auf die Ukraine weit vorangetrieben. Er hatte auch die Vorbereitungen für einen Energiekrieg in Deutschland weit vorangetrieben. Die Abhängigkeit von Russland und russischen fossilen Energien ist hier häufig diskutiert worden. Bei Öl und bei Kohle war sie hoch – übrigens haben wir auch große Mengen Uran von Russland bezogen, auch für deutsche Atomkraftwerke –, und der Anteil russischen Erdgases lag bei 55 Prozent, und zwar aufgrund einer Entscheidung: Nord Stream 1 zu bauen.

Als ich ins Amt kam, war eine zweite Entscheidung im Grunde ebenfalls getroffen worden, nämlich, diese, wie wir heute sagen müssen, falsche Abhängigkeit noch einmal zu verdoppeln und Nord Stream 2 zu bauen. Das Zertifizierungsverfahren war praktisch abgeschlossen.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Nie ans Netz gegangen!)

Das hätte die Abhängigkeit Deutschlands von Russland auf über 100 Prozent erhöht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Über 100 Prozent? – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Auf 120 Prozent, oder was ist das dann?)

– Präziser: auf über 100 Milliarden Kubikmeter Gas.

Das war die Situation, als ich ins Amt kam.

Die Speicher wiederum gehörten zu weiten Teilen Russland.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Hat Herr Gabriel verkauft!)

Die Gasspeicher, die inzwischen wieder zu über 60 Prozent gefüllt sind, waren damals zu etwa 25 Prozent gefüllt. Die größten Speicher in Deutschland waren faktisch leer. Das heißt, der Energieangriff, den Putin auf Deutschland geplant hat, war für jeden sichtbar.

(Frank Rinck [AfD]: Sagen Sie mal was zum Thema!)

Und wenn man heute darüber redet, dass wir zwei Jahre Druck auf der Wirtschaft, dass wir Stagnation hatten, dann liegt das woran? An der fatalen Fehleinschätzung, dass man sich von Putin abhängig machen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] – Zuruf von der AfD: Es geht um Kernkraft!)

Der Grund für die Wirtschafts- und Energiekrise durch die hohen Preise ist die Abhängigkeit von russischem Gas, und jeder hätte sehen können – niemand in der Vorgängerregierung hat davor gewarnt –, dass Putin diese Macht missbrauchen würde, dass er versuchen würde, die deutsche Wirtschaft in die Knie zu zwingen.

Sobald wir ins Amt kamen – –

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sprechen Sie auch noch zum Thema, oder machen Sie hier eine Betrachtung der Lage? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie auch noch zum Thema sprechen?)

– Ja, das ist die Hinterlassenschaft der Großen Koalition; das ist die Hinterlassenschaft des Wirtschaftsministeriums der CDU-geführten Regierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Und von Olaf Scholz – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Reden Sie auch noch einmal zum Thema, oder haben Sie das nicht mehr vor?)

Deswegen: Vorsicht bei Ursache und Wirkung!

Sobald die neue Regierung ins Amt kam und sobald ich persönlich ins Amt kam, haben wir eine Trendumkehr eingeleitet. Die Energiesicherheit hatte von Anfang an höchste Priorität. Wir haben sofort angefangen, die Fehler der Vorgängerregierung zu beheben. Noch vor Kriegsbeginn haben wir angefangen, nicht mehr nur darüber nachzudenken, sondern Entscheidungen einzuleiten, wie wir die Gasspeicher befüllen können, wie wir alternative Gasinfrastrukturen aufbauen können, auch wie wir die Ölversorgung sichern können. Wir haben damit angefangen, den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben, die Netze auszubauen, Smart Meter auszurollen und dann, als der Krieg kam, Kohlekraftwerke aus der Reserve zu nehmen, um tatsächlich, wie Sie immer sagen, ideologiefrei alles dafür zu tun, um die Energieversorgung zu stabilisieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Da fehlen noch die AKWs!)

Das alles ist in wenigen Wochen passiert aufgrund der Fehler, der Fehlentscheidungen der Vorgängerregierung.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Olaf Scholz!)

Damit zur Atomkraft und zur eigentlichen Debatte!

(Zurufe von der CDU/CSU: Ah! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Es sind ja erst fünf Minuten um!)

Nur zur Erinnerung, weil es jetzt heißt, wir könnten die Atomkraftwerke gut gebrauchen: Es war die unionsgeführte Regierung, die elf Atomkraftwerke abgeschaltet hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Zeitenwende!)

Diese Regierung hat im April 2023 dann die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet. Man kann seine Meinung ändern – das finde ich völlig okay –, aber es wäre glaubhafter, wenn man dann auch sagen würde, „Ich habe meine Meinung geändert“, statt anderen Fehler vorzuwerfen und die eigenen Fehler nicht einzugestehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben sofort nach Kriegsbeginn – und, wie die E-Mail von EON ja zeigt, sogar schon kurz vor Kriegsbeginn – mit den Atomkraftwerksbetreibern gesprochen, ob sie die Atomkraftwerke länger laufen lassen können. Das ist transparent dargelegt; denn – das wurde eben schon dargestellt und auch nie bestritten von den atomkraftwerksbetreibenden Unternehmen – das gemeinsam abgestimmte Protokoll wurde am 7. März 2022 auf der Homepage des Ministeriums veröffentlicht.

Ich habe die Antwortbriefe der Unternehmen schon im Ausschuss zitiert; ich erspare mir aus Zeitgründen, sie jetzt hier noch einmal vorzulesen. Sie sagen im Kern alle: Die Brennelemente sind am Ende des Jahres auf Ende gefahren. Das war der Sachstand zu Beginn des Jahres 2022. Und weil die Gasspeicher weitgehend leer waren, wäre es falsch gewesen, im Sommer einen Streckbetrieb zu fahren, um am Ende eine Laufzeitverlängerung zu haben; denn wir mussten aufgrund der leeren Gasspeicher ja erst einmal über den Sommer kommen.

Dann, im Laufe des Jahres, hat sich die Debatte in dreierlei Hinsicht geändert:

Erstens. Die Gasspeicher fingen aufgrund der von uns erlassenen politischen Maßnahmen an sich zu füllen.

Zweitens. Die atomkraftwerksbetreibenden Unternehmen haben uns mitgeteilt, dass sie die Brennstäbe nun doch etwas länger laufen lassen und auch neue Brennstäbe schneller besorgen könnten.

Und drittens. Das bedrohliche Gasproblem wurde in der Tat zu einem Stromnetzproblem. Es war kein Mengenproblem, sondern ein Netzproblem.

Deswegen haben wir einen Stresstest in Auftrag gegeben. Dabei kam heraus, dass wir unter extremsten Szenarien – also Dürre und niedrige Pegelstände im Rhein, Kohlekraftwerke können nicht mehr beliefert werden, die französische AKW-Flotte kann deutlich vermindert laufen, auch weil die Kühlung im Sommer versagt, die Wasserkraftwerke in den Alpen sind nicht voll genug – einen Redisppatch-Bedarf aus dem Ausland von 5,1 Gigawatt haben. Der Stresstest sagt: Die Atomkraftwerke können davon 0,5 Gigawatt abdecken. Das war nicht so viel, aber immerhin war es etwas. Wir haben dieses Etwas gewichtet, und dann ist es zu der Entscheidung gekommen, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Des Kanzlers!)

Was ich Ihnen erzähle, ist nicht neu. Was allerdings auseinanderklamüsert werden sollte, ist, was Ursache und Wirkung ist. Es ging am Anfang darum, eine schlimme Gaskrise abzuwehren. Das ist geglückt. Aber die Ursache aller Entscheidungen war die Gasmangellage. Die Informationen habe ich im Ausschuss und in der Debatte immer so gut dargestellt, wie sie mir vorlagen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Voll am Thema vorbei!)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Minister. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Judith Skudelny, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)