Rede von Dr. Konstantin von Notz Aktuelle Stunde: Automatisierte Gesichtserkennung

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30.01.2020

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Moin, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr und mehr wird deutlich, was in den vergangenen Tagen bereits kaum zu übersehen war, und diese Debatte, die wir hier schon eine geraume Zeit verfolgen können, macht es auch sehr deutlich: Bei der jüngsten Kehrtwende des leider abwesenden Bundesinnenministers ging es eben nicht darum, die vielfachen, auch verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die automatische biometrische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum noch mal grundsätzlich zu hinterfragen. Vielmehr handelt es sich um ein rein taktisches Manöver, das nur einem Zweck dient, nämlich von den anderen im Gesetzentwurf versteckten bürgerrechtlichen Kloppern wie der Onlinedurchsuchung und wohl auch von dem hochumstrittenen Hackback abzulenken und den eigenen Gesetzentwurf so doch noch irgendwie ins Kabinett zu bringen. Ich sage Ihnen: Da machen wir nicht mit, und ich wünsche Ihnen von der SPD frohe Verrichtung dabei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Ohne uns!

Wer so agiert wie Horst Seehofer, der öffentlich suggeriert, es gehe ihm um eine ernsthafte Debatte über diese hochumstrittene Technologie, gleichzeitig aber längst mit der Unionsfraktion ausgehandelt hat, die entsprechenden Passagen im weiteren Verfahren wieder ins Gesetz zu hieven, der handelt parlamentarisch unlauter und ist auch eine Gefahr für die unseren Rechtsstaat konstituierenden Freiheitsrechte, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir diskutieren nicht seit gestern über die automatische biometrische Gesichtserkennung. Jede Fachfrau weiß: Die Systeme sind völlig unausgereift. Die Fehlerquote ist horrend und das Pilotprojekt am Berliner Südkreuz ganz bestimmt nicht geeignet, als Blaupause für das Ausrollen dieser totalitären Technologie zu dienen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sicher sind an der Gesichtserkennung drei Dinge: die enorme Fehlerquote, der tiefe Grundrechtseingriff bei völlig unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern und der fehlende sicherheitspolitische Mehrwert. Deswegen gehört diese Technik verboten, und zwar gesetzlich und europaweit, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, Herr Kollege Schuster, Sie haben ja in den letzten Tagen zum Beispiel im Deutschlandfunk nebulös in den Raum gestellt, beim entsetzlichen Anschlag auf dem Breitscheidplatz wäre irgendetwas mit automatischer biometrischer Gesichtserkennung zu erreichen gewesen. Bei aller Freude am Argument: Das ist wirklich abwegig, und es ist unseriös, solche Thesen zur Verfolgung der eigenen politischen Ziele hier in den Raum zu stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es gab sehr viele Probleme deutscher Sicherheitsbehörden, gegen Anis Amri entschlossen vorzugehen, obwohl von zehn möglichen roten Lampen 20 lichterloh brannten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Aber ich sage Ihnen: Der Mangel an automatischer biometrischer Gesichtserkennung ist keines dieser Probleme gewesen. Es ist schlicht unseriös, das so vorzutragen, und entblößt auch, wie wenig Argumente Sie auf Ihrer Seite haben, wenn Sie solche Beispiele bemühen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ihre Pläne und dieses Gesetz sind verfassungsrechtlich – es hilft auch nicht, hier so platt zu argumentieren, Herr Frei – massiv angreifbar. Die Gesichtserkennung – China lässt grüßen! – gefährdet die relative Anonymität öffentlicher Räume massiv.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Noch haben wir andere Regeln als in China!)

Und wenn Sie auf dieses Problem rechtlich nicht mit einem Wort eingehen, dann hilft das Ihrer Argumentation nicht;

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

denn die automatische Gesichtserkennung stellt die Unschuldsvermutung offen infrage und erklärt alle Menschen unabhängig von jedem Verdachtsmoment zu potenziellen Terroristen oder Kinderschändern oder was andere hier eben ins Feld geführt haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das alles erhöht die öffentliche Sicherheit überhaupt nicht, sondern sorgt vor allen Dingen für eines: Dringend benötigtes Personal bei der Bundespolizei wird einmal mehr durch unnütze Dinge gebunden, und das brauchen wir nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])

Die Debatte um Clearview – Stichwort: mehrere Milliarden Fotos teils illegal zusammengeklaubt durch Crawler – hat noch mal klargemacht, welche massiven Gefahren in dieser Technologie liegen. Deswegen fordert der Bundesbeauftragte für den Datenschutz aus gutem Grund ein EU-weites Verbot. Deswegen denkt auch die EU-Kommission aus gutem Grund laut über ein solches europäisches Verbot nach.

(Konstantin Kuhle [FDP]: Frau von der Leyen!)

Und wenn Sie unseren Argumenten nicht trauen, dann trauen Sie deren Argumenten; denn sonst erleben Sie nach dem Mautdesaster gleich das nächste europarechtliche Problem mit diesem Vorstoß, den Sie hier offenkundig planen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege von Notz, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, vielen Dank. – Hier liegen Ihnen heute gleich zwei ziemlich gleichlautende Anträge von FDP und Grünen vor. Die Forderung an Sie ist glasklar: Verzichten Sie auf dieses Instrument! Stellen Sie gesetzlich klar, dass ein solches grundsätzliches Infragestellen der relativen Anonymität im öffentlichen Raum auch mit Ihnen von der Großen Koalition nicht zu machen ist!

In Ihrer Fraktion, liebe Union, gibt es ja eine irritierende Unentschlossenheit bezüglich der berechtigten Sorge hinsichtlich der Beteiligung chinesischer Staatsunternehmen in sensiblen Infrastrukturbereichen. Ich finde, diese Debatte ist ein guter Punkt, um zu erkennen, dass es hier nicht um Symboldebatten geht, sondern dass Rechtsstaatstreue sich in der Praxis der Gesetzgebung zeigt. Die Instrumente von Diktaturen, liebe Kolleginnen und Kollegen, vergiften die Freiheit eben leider auch in Rechtsstaaten.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. von Notz. – Nächster Redner ist Dr. Mathias Middelberg, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)