Rede von Dr. Danyal Bayaz Aktuelle Stunde: Der Fall Wirecard

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02.07.2020

Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Cum/Ex, P&R-Anlegerskandal, jetzt Wirecard – das Erste, was dem Bundeswirtschaftsminister letzte Woche dazu eingefallen ist – ich zitiere –: „Wir hätten eine solche Situation überall erwartet – nur nicht in Deutschland.“ Die Geschichte der Finanzskandale in unserem Land zeigt leider das Gegenteil. Wir müssen jetzt endlich aus den Fehlern lernen und Strukturen schaffen, damit effektiv geprüft wird. Das muss der Hauptzweck der Aufklärung sein, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da hilft es jetzt nicht, wenn alle Beteiligten sich auf einmal als Opfer komplizierter Umstände darstellen: Der Finanzminister zeigt auf die Aufsicht. Der BaFin-Präsident verweist auf Regularien der EZB. Die Wirtschaftsprüfer EY sehen sich selbst betrogen. Der Wirtschaftsminister kündigt der DPR, der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung, den Vertrag. Die DPR wiederum sieht sich selbst als Bauernopfer. Es gibt ja beim Fußball den Spruch: Nimm du ihn, ich hab ihn sicher. – Jeder verlässt sich auf den anderen. Keiner verteidigt den Ball. Und der Gegner, in unserem Fall ein krimineller Gegner, schießt mühelos ins Tor, meine Damen und Herren. Bei allem Respekt: Das ist kollektive Unverantwortlichkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Ja, es wurde geprüft. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Es gibt das Sondergutachten von KPMG. Dieser Bericht wurde am 27. April 2020, also in diesem Jahr, vorgelegt. Auf Seite 16 kann man dort schwarz auf weiß nachlesen, dass auf Treuhandkonten rund 1 Milliarde Euro fehlt. Am 27. April wurde dieser Bericht vorgelegt! Was ist in der Zwischenzeit passiert? Der Aktienkurs ist kollabiert. Gegen den Vorstand wird ein Haftbefehl erlassen. Die Insolvenz von Wirecard wird beantragt.

Nach alldem hat die DPR gestern eine Pressemitteilung veröffentlicht. Da heißt es – ich zitiere –:

Nach Erhalt des vollständigen Berichts über die Sonderuntersuchung Ende April 2020 wurde dieser ausgewertet, das Unternehmen Wirecard noch einmal angeschrieben und die Antworten ausgewertet, sodass das Verfahren auf Ebene der DPR im Juli 2020 beendet sein dürfte.

Im Juli 2020, also jetzt, wo das Unternehmen bereits insolvent ist!

Meine Damen und Herren, wir haben es hier offenbar mit Strukturen zu tun, die effektive Prüfungen geradezu unmöglich machen. Der Finanzminister steht jetzt auch persönlich in der Verantwortung, jeden Stein umzudrehen, auch seinen eigenen. Er ist in der Pflicht, die Aufsicht so aufzustellen, damit sie endlich ihren Job machen kann, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Es hat allerdings jetzt nicht gerade einen vertrauenswürdigen Eindruck gemacht, wie der Finanzminister den Wirecard-Absturz letzte Woche kommentiert hat. Zuerst hat er ja erklärt: Die Aufsichtsbehörden haben echt hart gearbeitet. – Kurze Zeit später, Stunden später, hat er eine Kehrtwende hingelegt und hat gesagt, na ja, die Wirtschaftsprüfer und die Finanzaufsicht seien dann doch nicht so effektiv gewesen.

Ich kann wirklich verstehen, dass ein hochbeschäftigter Finanzminister in einer akuten Coronakrise nicht jedes Detail im Blick haben kann. Aber diese Geschichte gibt es ja nun mal nicht erst seit gestern. Es gibt seit Jahren immer wieder Vorwürfe wegen gefälschten Bilanzen. Journalistinnen und Journalisten im Ausland haben den Finger immer wieder in die Wunde gelegt. Zum Dank wurden sie übrigens von staatlichen Behörden angezeigt. Wir sprechen hier von einem DAX-Konzern. Ich glaube, so was muss dann auch irgendwann mal im Laufe der Zeit über den Schreibtisch eines Ministers gegangen sein. Auch das muss Teil der Aufklärung sein, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Ja, die Finanzaufsicht ist eine wichtige, ist eine unverzichtbare Institution der sozialen Marktwirtschaft. Sie kann Vertrauen schaffen; sie kann aber auch welches zerstören. Damit sie Vertrauen schaffen kann, müssen die Strukturen stimmen. Dafür müssen da Leute arbeiten, die Probleme erkennen, die sie voraussehen, die nicht lockerlassen.

Bei allem Respekt: Das können eben nicht nur Juristen sein. Da brauchen wir IT-Experten. Da brauchen wir Informatiker. Da brauchen wir auch Leute, die kriminalistisch denken können. Wenn man diese Experten haben möchte, dann muss man sie auch entsprechend gut bezahlen. Sonst kommen sie nicht; sonst laufen Staat und Aufsicht den Entwicklungen immer wieder hinterher, so wie die DPR, die heute noch die Bilanz von Wirecard prüft, um das rauszubekommen, was eigentlich schon jeder weiß und was in jeder Tageszeitung steht, meine Damen und Herren.

Deswegen: Die Aufgabe des Finanzministers ist es jetzt, eine konsequente Neuaufstellung der Finanzaufsicht auf den Weg zu bringen – keine Minireform –, eine Neuaufstellung, die klare, verbindliche, effektive Strukturen schafft, die den technologischen Entwicklungen an den Märkten auch gerecht wird und die vor allem den nächsten Skandal verhindert.

Sie haben da über die Sommerferien, glaube ich, die Aufgabe vor sich, genau das auszuarbeiten. Wir sind ganz gespannt auf Ihre Vorschläge.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Matthias Hauer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)