Rede von Lisa Paus Aktuelle Stunde: Der Fall Wirecard 

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02.07.2020

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wirecard ist wirklich ein beispielloser Bilanzskandal in Deutschland. Millionen von Anlegern sind betroffen. Da Wirecard ein DAX-Konzern ist, ist jeder Anleger mit einem Indexfonds dabei. Es ist ein massiver Schaden für den Finanzplatz Deutschland. Denn was 2018 mal so symbolträchtig zelebriert wurde – der „Spiegel“ titelte damals: Börsenstar Wirecard – Fintech-Unternehmen verdrängt Commerzbank aus dem DAX –, das zerplatzte eben nach nur zwei Jahren und entpuppte sich als riesige Seifenblase. Von den damals 200 Euro pro Aktie sind heute noch 3 Euro übrig, meine Damen und Herren. Und die verheerende Botschaft an die Welt aus Deutschland von heute lautet: In Deutschland kann ein Unternehmen mit einer Bilanz, die offenbar seit Jahren Luftbuchungen in Höhe von einem Drittel der Bilanz enthält, zu einem DAX-Konzern aufsteigen. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren! Das ist ein Riesenskandal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])

Angesichts dessen gab es zwar eine kurze Irritation; aber dann war die Flucht nach vorn von Finanzminister Scholz und Präsident Hufeld auch wirklich die einzige Möglichkeit. Denn Kleinreden ist bei dieser Angelegenheit wirklich überhaupt keine Option. Starke Worte alleine reichen aber eben auch nicht. Der Skandal muss konsequent und lückenlos aufgeklärt werden. Die Sitzung des Finanzausschusses gestern war dazu nur ein Auftakt, meine Damen und Herren, da noch ganz viel aufgeklärt werden muss. Aber zwei Dinge sind heute schon klar:

Erstens. Es gibt massive Lücken und Schwächen im Aufsichtsregime für den digitalen Finanzmarkt und für Mischkonzerne, und dabei geht es im Kern nicht nur um die richtige Einordnung, also: War die Wirecard AG jetzt doch eine Finanzholding oder nur eine Technologieholding? Nur das Verschwinden von 1,9 Milliarden Euro machen einen Technologiekonzern noch nicht zu einer Finanzholding. Wir brauchen eine Anpassung der Regulierung für Bank-Tech-Mischkonzerne. Anders wird auch der massive Vertrauensverlust der Anlegerinnen und Anleger nicht zurückzugewinnen sein, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias Hauer [CDU/CSU])

Zweitens ist auch heute schon klar, dass sich im Fall Wirecard mindestens zwei seit der Finanzkrise – also seit über zehn Jahren – bekannte große Problemfelder in Deutschland einfach potenziert haben, zu deren Lösung es seitdem auch bereits klare Vorschläge gibt, die aber von dieser Koalition seit Jahren blockiert werden. Das ist zum einen das Thema Wirtschaftsprüfung

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Was?)

und zum anderen das Thema BaFin.

Zu den Wirtschaftsprüfungen. Seit elf Jahren hat mit EY eine der Big Four Wirecard geprüft, jahrelang testiert und nichts gemerkt. Offensichtlich sind ihnen die Luftbuchungen nicht aufgefallen, trotz Hinweisen seit Jahren. Das ist aber kein Einzelversagen; das hat eben leider Methode. Wenn die Prüfgesellschaft nur maximal 4 Millionen Euro Haftung befürchten muss,

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das sind völlig falsche Fakten! Totaler Quatsch!)

wenn Unternehmen ihre Prüfer auswählen und 20 Jahre lang beauftragen oder eben auch kurzfristig kündigen können, wenn Prüfgesellschaften zugleich Beratergesellschaften sind, dann kommt eben am Ende Wirecard dabei raus, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU] – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)

Deswegen: Wir brauchen unabhängige Prüfer, wir brauchen die vollständige Trennung von Prüfung und Beratung, und wir brauchen auch eine stärkere Haftung von Wirtschaftsprüfern. Nach zehn Jahren Blockade der Koalition, Verwässerung auf europäischer Ebene, laxer Umsetzung in Deutschland finde ich: Das muss aufhören. Hier hat insbesondere Wirtschaftsminister Altmaier tatsächlich endlich zu liefern. Im Übrigen stimmt es: Eine nachgelagerte Bundesbehörde von ihm hat auch die Fachaufsicht, und von ihm ist da bisher überhaupt nichts zu hören.

Zum Zweiten kommen wir tatsächlich auch noch einmal zum Thema BaFin. Ja, Wirecard ist ein besonders krasser Fall von Aufsichtsversagen. Aber er ist eben bei Weitem nicht der einzige. Er reiht sich vielmehr ein in eine lange, lange Liste. Mein Kollege Sven Giegold aus dem Europäischen Parlament sammelt seit nunmehr 48 Stunden Finanzskandale, die seit der Finanzkrise in Deutschland bekannt geworden sind, bei der die BaFin aber vorher nichts entdeckt hat. Wenn Ihnen noch welche bekannt sind, schicken Sie es bitte an uns oder an Sven Giegold direkt.

Bereits jetzt, innerhalb von 48 Stunden, ist bei ihm eine Liste von 53 unterschiedlichen Fällen aufgelaufen, unter anderem auch die, die wir alle vielleicht noch kennen, zum Beispiel die Hypo Real Estate direkt im Zusammenhang mit der Finanzkrise. Damals hatte eben die BaFin die hochriskanten Geschäfte der Hypo Real Estate in Irland schlicht übersehen. Aber auch 2018 gab es zum Beispiel einen Finanzskandal beim Containeranbieter P&R. P&R hatte jahrelang Anlegern Container verkauft, die es gar nicht gab. Die BaFin hat davon nichts gemerkt.

Und auch bei den inzwischen breitbekannten kriminellen Cum/Ex-Geschäften, die die Steuerzahler Milliarden gekostet haben, ist die BaFin nie aktiv geworden, obwohl sie den Wertpapierhandel beaufsichtigt.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Paus, kommen Sie zum Schluss.

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die BaFin nutzt ihre derzeitigen Kompetenzen nicht aus. Im Moment läuft es eben eher nach Vorschrift ins Desaster. Stattdessen brauchen wir einen Neustart der BaFin. Wir brauchen einen agilen Finanzwächter mit kriminalistischem Gespür. Deswegen in der Summe: Wir werden Sie jetzt tatsächlich daran messen, was Sie tun.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Erstens schonungslose Aufklärung, zweitens Regulierungslöcher stopfen und Novelle bei den Wirtschaftsprüfern sowie drittens ein echter Neustart bei der BaFin, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Sepp Müller, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)