Rede von Luise Amtsberg Aktuelle Stunde: Global Compact for Refugees

30.11.2018

Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Um Inhalte – ich glaube, das war uns allen vor der Debatte klar – geht es hier ja schon lange nicht mehr.

(Karsten Hilse [AfD]: Bei Ihnen nicht, ja!)

Wir haben es auch in den vergangenen Debatten zum Migrationspakt erlebt: Die AfD nutzt jede Gelegenheit, um ihr verschwörungstheoretisches Narrativ zu verbreiten, das auf nichts als Lügen und Verleumdungen fußt, um Menschen auf der Flucht zu diskreditieren, und das alles – das finde ich immer wieder menschlich erschreckend – ohne auch nur einen Funken Empathie zum Beispiel für Kinder in Kriegs- und Krisengebieten oder in anderer Not.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir alle haben es verstanden: Die AfD möchte eine Mauer um Deutschland ziehen – darüber haben wir in diesem Haus schon debattiert –, dieses Land vom Rest der Welt isolieren und am besten alle rausschmeißen, die nicht ihrer weißen Lebensrealität entsprechen.

(Karsten Hilse [AfD]: Um Gottes willen! Absurdes Theater!)

Ich finde das einfach nur abstoßend. Da diese Haltung aber auch total lebensfern und unpolitisch ist, will ich mich gar nicht weiter damit befassen. Das müssen wir auch nicht; denn wer eine gemeinsame internationale Verantwortung von Anfang an negiert, der schießt sich ja selbst aus der Debatte, wenn es um die Inhalte dieser Vereinbarung geht. So einfach ist das.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass die Weltgemeinschaft – leider mit Ausnahme der USA – in dieser Frage auf einer Seite steht und diesen Pakt bejaht. Mit dem Pakt sagt die Weltgemeinschaft endlich den Ländern Unterstützung zu, die von den großen Fluchtbewegungen am meisten betroffen sind; denn neun von zehn Geflüchteten leben in Entwicklungsländern. Das sollte uns an dieser Stelle nicht egal sein. Das heißt, der Pakt ist auch ein klares Bekenntnis zum Schutz und zu den Rechten von geflüchteten Menschen.

Dem Umfassenden Rahmenplan für Flüchtlingshilfemaßnahmen haben die Mitgliedstaaten durch die New Yorker Erklärung bereits 2016 zugestimmt; ich sage das noch mal ausdrücklich, weil immer wieder erzählt wird, dass man sich mit diesem Thema noch nicht befasst hat. Er ist also schon ein wenig älter. Ergänzt wurde der Pakt dann durch ein Aktionsprogramm, das vier Ziele umfasst: den Druck auf die Hauptaufnahmeländer zu mindern, die Rechte von Flüchtlingen zu stärken, humanitäre Aufnahmeprogramme wie das Resettlement-Programm auszuweiten und die Bedingungen zu fördern, die eine Rückkehr in das Heimatland in Sicherheit und Würde ermöglichen.

Wir Grüne stehen zu diesen Zielen und wollen, dass die Bundesregierung sich nicht nur zu diesen Zielen bekennt, sondern auch ihre Politik danach ausrichtet. Da wird es dann ein bisschen komplizierter. Es mag ja richtig sein, dass Deutschland im internationalen Vergleich, was die Rechtsstellung von Geflüchteten angeht, positiv auffällt. Das ist zweifelsohne so; das wird hier keiner bestreiten. Das allein reicht aber nicht. Wenn wir das Anliegen, das der Flüchtlingspakt verfolgt, wirklich ernst nehmen, dann müssen wir auch alle Politikfelder hierzulande mit einbeziehen. Sie müssen diesen Geist atmen, zum Beispiel in der Außenpolitik. Mit der Unterzeichnung des Paktes verpflichtet sich die Bundesregierung unserer Auffassung nach dazu, künftig alles zu unternehmen, dass der Schutz von Flüchtlingen auch in anderen Teilen der Welt umgesetzt wird.

Genau in dieser Frage könnte die Bundesregierung unserer Meinung nach leidenschaftsloser und unambitionierter nicht sein. Als sie den Deal mit der Türkei geschlossen hat, ist ihr gar nicht in den Sinn gekommen, die Türkei zur Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention zu bewegen und das zur Grundlage dieser Vereinbarung zu machen. Das ist nur ein Beispiel.

In Libyen wird mit der Küstenwache kooperiert, was an sich schon fragwürdig ist. Aber unterstützt unsere Bundesregierung das UN-Flüchtlingshilfswerk bei den Verhandlungen mit der libyschen Regierung, dass es endlich im Land arbeiten darf? Nein, das tut sie nicht.

(Marian Wendt [CDU/CSU]: Doch!)

Oder nehmen wir die sicheren Herkunftsländer, Ihr Lieblingsthema. Man kann dieses Thema innenpolitisch diskutieren; das machen Sie ja auch vortrefflich. Aber hat die Bundesregierung auch nur ein Mal Position zu der Frage bezogen, was das für die Zivilgesellschaft vor Ort bedeutet, Stichwort „Fluchtursachenbekämpfung“? Nein, hat sie nicht.

Meine Damen und Herren, wir Grüne finden, das muss sich ändern, und dieser Pakt bietet genau dafür die richtige Grundlage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir über international geteilte Verantwortung sprechen, müssen wir aber auch – das wäre mein letzter Punkt – nach Europa schauen. Denn während die Bundesregierung sich einerseits zu Recht zu internationaler Solidarität bekennt, hält sie in Europa am unsolidarischen Dublin-System fest. Während sie sich zur Wahrung der Menschenrechte weltweit bekennt, schweigt sie zur drohenden humanitären Katastrophe auf den griechischen Inseln oder im bosnischen Bihac: schwangere Frauen, Kinder, Familien, die bei Minusgraden und teils ohne irgendeine Versorgung in nicht winterfesten Wurfzelten die kommenden Temperaturen überstehen müssen – in Europa, meine Damen und Herren! Ich finde, das sind unhaltbare Zustände und im Prinzip auch die erste Mahnung dieses Paktes, nämlich nicht wegzuschauen, sondern zu handeln.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)