08.11.2018

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Kündigung des Klimaabkommens von Paris, dem Austritt aus dem UN-Menschenrechtsrat, aus der UNESCO, der einseitigen Kündigung des Iran-Deals, nun also die Kündigung des INF-Vertrages!

(Karsten Hilse [AfD]: Abschied vom Migrationspakt!)

Es ist der nächste Schritt im konsequenten Ausstieg aus internationalen Verpflichtungen, wobei die Frage der Vertragsverletzung durch andere in der Regel gerade nicht im Zentrum gestanden hat.

Ja, in diesem Fall gibt es tatsächlich Vorwürfe gegenüber Russland, dass neue bodengestützte nuklearfähige Marschflugkörper entwickelt würden, die eine Reichweite von über 500 Kilometern haben und damit gegen den INF-Vertrag verstoßen würden. Diese Vorwürfe werden seit 2014 erhoben und sind sicher keine Erfindung von Trump. Die Republikaner im Kongress machen schon länger Druck, endlich Konsequenzen zu ziehen. Die Frage ist nur, was für Konsequenzen. Was soll es bringen, den Vertrag zu kündigen und damit auch Russland offiziell zu erlauben, unbegrenzt Mittelstreckenraketen zu stationieren, wo immer man gerade will?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein solcher Schritt macht nur Sinn, wenn es einem gar nicht um die Einhaltung durch den Vertragspartner geht, sondern darum, selbst die lästige Verpflichtung unbedingt loszuwerden. Europäische Sicherheitsinteressen spielen dabei leider keine vorrangige Rolle mehr.

Das war nicht immer so. 1987 war ein historischer Moment, der für immer bewiesen hat: Verständigung und Abrüstung sind möglich, wenn man nur will. 2009 hat sich Präsident Obama in einer denkwürdigen Rede zu einer atomwaffenfreien Welt bekannt. Ein Jahr später konnte eine Vereinbarung zur Reduzierung strategischer Atomwaffen erzielt werden. Der Preis dafür war damals allerdings hoch. Obama musste einer künftigen Modernisierung der bestehenden Nuklearwaffen in einem bis dato ungesehenen Ausmaß zustimmen. Außerdem drohte schon damals die Debatte um den Raketenabwehrschirm neues Misstrauen zu schaffen.

Wir Grüne haben bereits 2010 hier im Bundestag gewarnt, dass der Aufbau eines NATO-Raketenabwehrsystems die Gefahr einer weltweiten Rüstungs- und Proliferationsspirale heraufbeschwört, insbesondere gerade dann, wenn die globale Machtverteilung durch aufstrebende Mächte neu bestimmt wird. Außerdem konnte der Vorwurf der Russen, die Raketenabwehrsysteme könnten auch offensiv bestückt werden und seien ebenfalls ein Verstoß gegen den INF-Vertrag, bis heute nicht hieb- und stichfest ausgeräumt werden. Notwendig und hilfreich wären in dieser Lage endlich gegenseitige Inspektionen, wie sie der Vertrag gerade vorsieht,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

und zwar Inspektionen der Raketenabwehrsysteme auf der einen und der umstrittenen russischen SSC-8-Raketen auf der anderen Seite.

Außerdem haben beide Seiten ein gemeinsames Interesse bezüglich der Einbeziehung Chinas. Nur gemeinsam können sie genug Druck aufbauen, um China dazu zu bringen, über Rüstungskontrolle zu reden.

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ist es!)

Solange aber Präsident Trump Tag für Tag bestätigt, dass ihm multilaterale Verpflichtungen lästig sind, dürfte es schwierig sein, überhaupt ernsthafte Verhandlungen mit irgendwem zu führen.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die amerikanische Außenpolitik derzeit von dem Irrglauben geleitet ist, allein auf dieser Welt ohne Partner auskommen zu können. Für uns heißt das, dass wir unsere ureigenen Sicherheitsinteressen selbst vertreten müssen. Wir Grüne erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich klar gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Europa ausspricht und dass sie sich innerhalb der NATO für die Überwindung einer Politik der nuklearen Abschreckung einsetzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir wollen keine neuen Mittelstreckenraketen in Europa, weder russische noch amerikanische. Wir wollen, dass beide Seiten sich an ihre Verpflichtungen halten. Wenn es ihnen gelingt, China mit ins Boot zu holen, umso besser. Wir betrachten den Erhalt des INF-Vertrages als zentrales europäisches Sicherheitsinteresse. All dies muss die Bundesregierung laut und deutlich kommunizieren; denn es gibt im Kongress durchaus noch Partner, die uns verstehen. Bei unserer Parlamentarierreise in der letzten Woche wurde uns von demokratischer Seite geradezu nahegelegt, dies bei jeder Gelegenheit im Kongress anzusprechen.

Die Bundesregierung muss aber auch ihre Handlungsspielräume nutzen, wenn es zum Beispiel darum geht, die 122 Staaten zu unterstützen, die sich für einen Atomwaffenverbotsvertrag ausgesprochen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Produktion von Material für die Nuklearwaffen durch die Firma Urenco und die Belieferung von Atomstaaten muss beendet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Und mehr denn je fordern wir Grüne jetzt den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland, wie es der Bundestag 2010 einstimmig beschlossen hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Modernisierung der Tornados als Trägersysteme muss beendet werden. Das drohende unrühmliche Ende des Mittelstreckenraketenverbotsvertrages belegt einmal mehr: Nukleare Teilhabe und nukleare Abschreckung sind der falsche Weg.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)