Rede von Dr. Ingrid Nestle Aktuelle Stunde „Inflationsbekämpfung und Energiesicherheit“

06.07.2022

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Merz, in der Tat bin auch ich froh, dass Olaf Scholz und Minister Habeck gerade nicht hier sind, um sich mit Ihren Argumenten auseinanderzusetzen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ach so!)

sondern dass sie sich um die Probleme in diesem Land kümmern, dass sie gerade genau die Taten umsetzen, von denen Sie sprechen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Hören Sie mal die Rede an, die der da gehalten hat in München! Das ist zum Fremdschämen! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Das muss diese parlamentarische Demokratie sein!)

Denn, Herr Merz, es reicht nicht, ein wichtiges Thema anzusprechen, um eine gute Debatte zu haben. Man muss auch eine richtige Analyse zu dem Thema haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Man muss auch eine gute Rede halten! Das wäre jetzt Zeit!)

– Ja, eine gute Rede würde auch helfen; da bin ich ganz bei Ihnen.

Sie haben konkret angesprochen, dass uns die schwerste Wirtschaftskrise seit Langem droht. Das ist richtig, und das ist ernst zu nehmen. Aber man hat den Eindruck: Sie haben noch nicht einmal mitbekommen, dass Krieg in Europa ist. Sie haben eben gesagt, das sei hier nicht das Thema; das haben Sie reingerufen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: O Mann! Das ist jetzt echt peinlich!)

Wenn Sie meinen, dass die derzeitige schwierige Lage in der Wirtschaft nichts mit dem Krieg in Europa zu tun habe: Wo waren Sie denn die letzten Monate?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was ist das denn für eine Nummer hier? – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich war in Kiew, bevor jemand anders da gewesen ist!)

Stattdessen liefern Sie in Ihrer Analyse: Oh, die hohe Steuerlast! – Ja, das ist jetzt natürlich sehr wahrscheinlich – –

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das ist richtig unterirdisch hier heute!)

– Sie haben gerade von der hohen Steuerlast gesprochen.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Diese Überheblichkeit ist wirklich nicht mehr zu fassen! Eine Ignoranz, die ist ja nicht mehr zu überbieten hier!)

– Darf ich mein Argument einmal entwickeln?

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: So ein ignoranter Haufen hier! Wahnsinn!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Führen Sie bitte Ihre Rede fort. Die anderen hätten die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen.

(Sönke Rix [SPD]: Geht ja nicht! Keine Zwischenfragen!)

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Also: Uns droht eine schwere Wirtschaftskrise. Sie haben zum Beispiel – ich nehme die anderen Argumente gerne auch noch auf, wenn Sie mich sprechen lassen –

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich dachte, ich hätte keine vorgetragen!)

von der hohen Steuerlast gesprochen. Das ist jetzt natürlich sehr wahrscheinlich, dass die Steuern, die wir nicht erhöht haben, seit die Große Koalition regiert hat, das Problem sind, das unser Land gerade so hart beutelt – sehr wahrscheinlich! Hat es nicht vielleicht eher etwas damit zu tun, dass – das war eines Ihrer nächsten Argumente: Importe haben zugenommen – Importe fossiler Energien so dramatisch teuer geworden sind? Hat es vielleicht doch etwas mit dem Krieg zu tun, den Putin in brachialer Brutalität gegen die Ukraine mit Waffen, aber gegen uns als Wirtschaftskrieg mit Energiepreisen führt? Das interessiert Sie nicht. Sie hören nicht mehr zu.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Unterstellen Sie doch das nicht immer!)

Die Analyse interessiert Sie nicht. Sie wollen nur Ihre alten, angestaubten Worte in die Debatte werfen: Steuern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie werden diese Opposition noch brauchen! – Zuruf von der AfD: Blödsinn!)

Dann, Herr Dobrindt, komme ich zu Ihnen: Sie haben einen guten Teil Ihrer Rede nur über Atomenergie gesprochen. Das zeigt wieder: Sie haben keine Analyse zur aktuellen Situation. Selbst wenn man die drei Atomkraftwerke, was nicht geht, weil die Brennelemente dafür nicht da sind, weiterlaufen lassen würde, selbst wenn man es könnte

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Natürlich geht das! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: So ein Blödsinn wieder! Unglaublich! Ehrlich! Sagen Sie nur, dass Sie es nicht wollen, und nicht, dass es nicht geht! Mannomann, ey!)

– die Brennelemente sind nicht da, und wenn Sie welche in der Tasche haben, dann holen Sie sie raus –,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: In Frankreich laufen 53 Kernkraftwerke! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Fragen Sie mal die Herren und Damen von der FDP!)

könnten wir damit nur ungefähr 1 Prozent unserer Gesamtenergie erzeugen – 1 Prozent der Gesamtenergie!

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Es geht um jede Kilowattstunde, sagt Ihr Minister! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Jede Kilowattstunde zählt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der AfD – Gegenruf des Abg. Bernhard Herrmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Geschrei da wieder!)

Womit wir aber – je nach Experteneinschätzung – 10 bis 20 Prozent einsparen könnten, nicht 1 Prozent, sind Energieeffizienz und ‑einsparung. Dazu haben Sie nichts gesagt.

(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Was sagt denn die FDP dazu?)

Das ist genau das Problem: dass Sie nicht die Analyse an den Anfang stellen und überlegen: Was bringt uns denn was? Wie können wir Verantwortung übernehmen für dieses Land? Wie können wir die Krise lösen?

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Viel Spaß mit der FDP!)

Stattdessen holen Sie irgendein Schlagwort aus der Mottenkiste, das Ihnen gerade passt, und werfen das hier in den Raum. Das ist verantwortungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Was uns wirklich entscheidend voranbringt, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Und es ist wirklich schwer, das nach Ihrer langen Regierungszeit wieder in Gang zu bringen. Nina Scheer hat vieles genannt, was wir gemacht haben.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Frau Scheer hat übrigens mitregiert!)

Morgen haben Sie die Chance, der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes zuzustimmen. Und Sie haben überall im Land die Chance, den realen Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Keine Partei war dieses Jahrhundert länger an der Regierung als die Sozialdemokraten!)

Auch das bringt uns so viel mehr als die Träume, die Sie über Atomenergie haben, die gar nicht umzusetzen sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich bin wirklich froh, dass Minister Habeck in dieser Krise regiert, dass er zahllose Gesetze schon auf den Weg gebracht hat, dass er vor Ort ist bei der Handwerkermesse; denn auch das ist Teil der Lösung. Die müssen dazu beitragen. Ich bin so froh, dass Minister Habeck hier regiert und nicht jemand, der versucht, jetzt über Steuererleichterungen die Probleme, die wir mit dem Ukrainekrieg haben, die wir mit der Preisexplosion bei fossilen Energien haben, zu lösen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Maximilian Mordhorst, FDP-Fraktion, ist der nächste Redner.