Rede von Omid Nouripour Aktuelle Stunde „Iran“

Foto von Omid Nouripour MdB
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion / Kaminski
29.09.2022

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hadis hat letzte Woche eine Demonstration in Teheran besucht. Hadis ist eine junge Frau, die auf die Demonstration gegangen ist, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat, dass die Verhältnisse so sind, wie sie sind, und weil sie gegen die Ermordung von Jina Mahsa Amini protestieren wollte. Hadis Najafi hat auf dem Weg zu dieser Demonstration noch eine Videobotschaft für eine Freundin hinterlassen. Sie sagte: Ich bin nervös, weil alle wissen, was denjenigen, die protestieren, blüht. – Aber sie sagte auch: Ich bin froh, dass ich da hingehe. Jetzt protestieren wir. Hoffentlich ändert sich dadurch in ein paar Jahren etwas in diesem Land, und wir können wieder atmen. – Wenige Stunden später ist sie tot. Sechs Kugeln hatte sie in ihrem Körper. Sie wurde einfach niedergeschossen.

Das, was da passiert, ist nicht neu. Dass die Rechte der Frauen im Iran unterdrückt werden, ist uralt. Seit 43 Jahren wird dieses Vorgehen auch noch staatlich organisiert. Dass Leute auf die Straße gehen und protestieren, ist nicht neu. Sie gehen auf die Straße wegen der Unterdrückung der Frau, wegen Korruption, wegen Luftverschmutzung, wegen fehlender Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern, wegen gefälschter Wahlen. Die Antwort des Regimes ist seit Jahrzehnten immer nur dieselbe: Es ist die rohe Gewalt. Und das ist der Grund, warum jetzt die Leute gegen das gesamte Regime auf die Straße gehen.

Neu ist auch nicht, dass Frauen die Proteste tragen. Neu ist, dass sie sie jetzt anführen. Vor diesem unglaublichen Mut dieser Frauen, die vor Sicherheitsleuten mit einer Knarre in der Hand das Kopftuch abziehen und ihnen ins Gesicht schreien, dass sie sich das nicht mehr bieten lassen, kann man nur auf die Knie fallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Es ist auch nicht neu, dass wir uns in diesem Hohen Hause leider mit diesen Missständen im Iran beschäftigen müssen. Wir Grüne haben in der letzten Legislaturperiode einen Antrag initiiert, und ich bin sehr dankbar gewesen, dass wir Zustimmung erhalten und einen gemeinsamen Antrag der Großen Koalition, der FDP und der Grünen verfasst haben. Der Menschenrechtsausschuss hat diese Woche auch einen gemeinsamen Beschluss gefasst mit einer sehr klaren Verurteilung – auch dafür einen Riesendank. Es haben leider nicht alle zugestimmt; ich will nicht wissen, warum. Unbenommen davon ist es natürlich unser aller Aufgabe, diesen Leuten, diesen mutigen Frauen jetzt beizustehen.

Was man jetzt im Iran lernen kann, ist nicht nur inspirierend für alle, die Demokratie verteidigen, weil es uns zeigt, was Freiheit und Demokratie wert sind. Kollege Djir-Sarai hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass Leute, die Unfreiheit erlebt haben, wissen, was Freiheit wert ist. Ich kann nur hoffen, dass man nicht erst diese Erfahrung machen muss, um diese Wertigkeit auch zu kennen. Aber was wir gerade im Iran erleben, ist ja, dass die Männer begreifen: Da, wo Frauenrechte unter die Räder kommen, kommen Menschenrechte aller unter die Räder. – Deshalb gehen sie mit auf die Straße.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Deshalb bin ich so dankbar, dass sich die Außenministerin nicht nur dieser Tage mit diesem Thema beschäftigt und darum kümmert, dass der Druck erhöht wird. Ich bin nicht nur dafür dankbar, dass die feministische Außenpolitik in den Mittelpunkt ihrer Politik rückt. Bei jeder Reise ist das ein großes Thema; das ist, glaube ich, für alle, die es sehen wollen, sehr sichtbar. Ich bin auch dankbar, weil so viele Leute in diesem Land das sehen, sich davon berühren lassen und das machen, worum die Frauen im Iran bitten. Ich persönlich – es geht hier einigen so – habe so viele Zuschriften bekommen, so viele Posts von Frauen – nicht nur, aber vor allem von Frauen –, die sagen: Gerade jetzt, wo das Internet abgestellt wird, seid meine Stimme! – Bei aller Notwendigkeit, im politischen Raum Druck zu machen, bei aller Notwendigkeit, institutionell, im EU‑Rahmen, alles dafür zu tun, damit wegen der Lage vor Ort weitere Sanktionen beschlossen werden, haben wir auch die Verpflichtung, alles dafür zu tun, damit diese mutigen Frauen nicht vergessen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])

Denn die internationale Aufmerksamkeit, die wir hier aufbringen müssen, ist sehr oft der einzige Schutz, den diese Frauen haben, und dieser ermutigt sie auch. Sie gehen natürlich aus purer Verzweiflung auf die Straße – ohne Angst, weil sie diese Angst nach all den Rückschlägen der letzten Jahre verloren haben. Aber sie wollen natürlich auch gesehen werden, weil sie wissen, dass sie nicht alleine sind.

Dieses Gefühl müssen wir aufrechterhalten; denn das ist ein Baustein – vielleicht ein kleiner, aber ein Baustein –, den wir geben können, damit das, was Hadis Najafi sich gewünscht hat, am Ende des Tages auch kommt, nämlich Veränderungen. Das Regime selbst ist zu Reformen schon lange nicht mehr imstande. Es ist Zeit, dass die Bevölkerung das jetzt macht. Dabei sollten wir ihr beistehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Kollegin Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)