Rede von Lamya Kaddor Aktuelle Stunde „Iran“

Lamya Kaddor
Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski
29.09.2022

Lamya Kaddor (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf den Tribünen! Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob wir heute in diesem sicheren Land, an dieser sicheren Stelle, in dieser sicheren Herzkammer unserer Demokratie, wirklich nachempfinden können, was uns die Bilder aus dem Iran zeigen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob auch ich mir wirklich vorstellen kann, wie es sich anfühlt, wegen eines verrutschten Kopftuchs festgenommen zu werden oder wenn meine Tochter nach einem Spaziergang mit ihren Freundinnen im Park nicht nach Hause kommen und sich dann herausstellen würde, dass ihr T‑Shirt verrutscht war, sodass ein Stück ihres Rückens sichtbar wurde, und eine sogenannte Religionspolizei, in der übrigens offensichtlich auch Frauen tätig sind, sie deshalb in Gewahrsam festhält. Das ist natürlich unvorstellbar.

Welche Ängste, Kämpfe, Hoffnungen, Erschütterungen die iranischen Frauen dieser Tage durchstehen – auch ich vermag es nur zu erahnen. Trotzdem rufe ich ihnen zu: Wir sehen, was ihr aushaltet. Wir sehen, wie ihr leidet. Und wir sind an eurer Seite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für Schlagen, Knüppeln, Anbrüllen, Foltern und Erschießen gibt es keine Rechtfertigung – nirgends, niemals, egal von wem und mit welcher Begründung. Daher verurteile ich von dieser Stelle des Hohen Hauses, dem Deutschen Bundestag, das Vorgehen des iranischen Regimes aufs Schärfste. Ich prangere seine Menschenrechtsverletzungen an und rufe ihnen zu: Hören Sie auf, Frauen anzugreifen! Hören Sie auf, ihnen das Leben zur Hölle zu machen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Schicksal der Frauen und Mädchen rührt uns besonders an. Aber es geht um noch viel mehr. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung, der Misswirtschaft, der Korruption durch das Regime in Teheran ist dieser Tage erneut ersichtlich, wie groß der Widerstand in der iranischen Gesellschaft insgesamt ist. Wer nicht auf Linie des Regimes ist, ist dagegen. So einfach stellt sich das im Moment dar. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste von 2019 setzen die Iranerinnen und Iraner erneut ihr Leben aufs Spiel. In dieser Stunde geht es für uns einerseits darum, sich mit den Menschen, die im Iran seit dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini vor elf Tagen auf die Straße gehen, zu solidarisieren, und andererseits darum, dem Regime in Teheran eine eindeutige Nachricht zukommen zu lassen, nämlich: Die Gewalt gegenüber Demonstrantinnen und Demonstranten wird Konsequenzen haben.

Unsere Außenministerin hat das gerade sehr deutlich gemacht. Sie hat den iranischen Botschafter ins Auswärtige Amt bestellt und arbeitet mit Hochdruck an weiteren EU-Sanktionen. Briefe wie der von der Frauen Union der CDU, in dem die Ministerin zum Handeln aufgerufen wird, sind daher doch befremdlich; denn im Grunde genommen hat sie all das gemacht, was Sie von ihr verlangt haben.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was Merz nicht machen will!)

– Richtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Außenministerin sagte – ich wiederhole sie hiermit –: Die Proteste im Iran zeigen einmal mehr, warum eine feministische Außenpolitik den Unterschied macht; denn wenn Frauen wie Jina Mahsa Amini wegen unmoralischer Kleidung nicht sicher sind, dann ist keiner in der Gesellschaft sicher. – Genau so ist es; so verhält es sich leider seit Jahrzehnten im Iran. Es herrscht Willkür. Die selbsternannten Sittenwächter wollen entscheiden, was islamisch und was nicht islamisch ist. Berichte von Gewaltanwendungen und Folter im Gewahrsam der angeblichen Sittenpolizei sind die Regel, nicht die Ausnahme. Dass Jina Mahsa Amini mutmaßlich wegen der Verhaftung durch diese Leute verstarb, überrascht niemanden. Es zeigt einmal mehr, dass Gewalt zur Kontrolle der Menschen für die Anhänger des Mullah-Regimes ein legitimes Mittel ist. Ihr Ziel: eigene Macht und Privilegien erhalten. Und so geht es den Demonstranten und Demonstrantinnen eben nicht primär um den Kopftuchzwang im Iran, wie manche hier behaupten. Die Proteste wenden sich vielmehr gegen eine brutale Herrschaft, die zudem das Land isoliert und es durch Korruption und Kriege heruntergewirtschaftet hat.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können die Proteste nicht diskutieren, ohne die destabilisierende Wirkung und Rolle des Irans in der Region zu erwähnen.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Im Irak, im Libanon, in Syrien, im Jemen unterstützt Teheran direkt oder indirekt gewaltbereite Akteure. Sie bedrohen die Sicherheit Israels und anderer Staaten in dieser Region. Die russische Armee hat zuletzt vermehrt Drohnen iranischer Produktion in der Ukraine eingesetzt. Auch das zeigt deutlich, dass das iranische Regime aufseiten des Aggressors steht.

Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern müssen wir jetzt handeln. Das aggressive Verhalten der Mullahs führt dazu, dass wir unsere Anstrengungen weiter verstärken sollten.

Ich möchte meine heutige Rede mit einem Zitat von Gilda Sahebi beenden. Sie ist Ärztin, Politikwissenschaftlerin, Journalistin und Deutsche mit iranischen Wurzeln. Sie stellt fest:

Eine der weltweit größten feministischen Protestbewegungen der vergangenen Jahrzehnte geht vom Nahen Osten aus. Isn’t that something?

Darauf kann ich nur entgegen: It is! Und deshalb verdienen diese Frauen unsere größte Anerkennung und Solidarität.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Frank Schwabe für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)