Rede von Jürgen Trittin Aktuelle Stunde „Nord Stream II"

07.07.2022

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die häufigsten Worte, Herr Kollege, waren gerade „hätte“ und „früher“. Darauf gibt es eine einfache Antwort: Hätte, hätte, Fahrradkette. Hätte, hätte, Fahrradkette hätte zum Beispiel geheißen,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Hätte Trittin Nord Stream 1 nicht genehmigt!)

dass Sie sich hierhingestellt hätten und einmal erklärt hätten, warum die CDU/CSU unter der Kanzlerin Merkel jahrelang den Bau von Nord Stream 2 bis hin zur Fertigstellung betrieben hat. Manche behaupten ja, das sei von ihrer Seite Naivität gewesen. Das war keine Naivität. Sie haben sich gemeingemacht mit einem Anliegen, das weite Teile der deutschen Wirtschaft mitgetragen haben,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Warum hat denn Trittin Nord Stream 1 gemacht? Trittin, Schröder, Fischer! Nord Stream 1!)

nämlich diesen Bau mit dem Ziel zu bauen, dass Deutschland weiterhin bevorzugt billiges Gas aus Russland bekommt.

(Zuruf von der AfD: War ja auch richtig!)

Das Ergebnis ist gewesen, dass die deutsche Energiesicherheit im Gasbereich zu 55 Prozent von der Willkür Wladimir Putins abhing. Das ist Ihre Verantwortung und die von niemandem sonst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer hat Nord Stream 1 genehmigt?)

Ich füge eines hinzu, meine Damen und Herren: Sie waren es

(Martin Reichardt [AfD]: Sie haben das doch beschlossen, nur weil Ihr Kommunismus untergegangen ist!)

– ich kann auch warten, dann rede ich länger – von der CDU/CSU, die zusammen mit der SPD – leider – die Gasspeicher an Gazprom verkauft haben, jene Firma, die im letzten Sommer, also zu der Zeit, in der man sich darum kümmern sollte,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wer wollte keine LNG-Terminals in Deutschland?)

die Gasspeicher aufzufüllen, diese geleert hat, offensichtlich in Vorbereitung der Invasion. Und ich will Ihnen gerne noch mal vorhalten, was Sie uns geantwortet haben, als wir damals gesagt haben, dieser Verkauf der Speicher an Gazprom ginge nicht. Da haben Sie gesagt: Das regelt der Markt. Meine Damen und Herren, der Markt regelt es nicht. Der Markt hat dazu geführt, dass wir heute in der Situation sind, die Ausgründung von EON namens Uniper, im Besitz der Finnen, wahrscheinlich mit Steuergeldern retten zu müssen, weil wir sonst zugucken müssen, wie die Stadtwerke in Deutschland reihenweise in Konkurs gehen. Das alles ist Ihre Verantwortung, Ihre Politik. Ich finde, das muss an dieser Stelle klar gesagt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich füge ein Weiteres hinzu: Man kann ja daraus lernen, und ich finde, wir sollten daraus lernen, nie wieder von jemand Einzelnem abhängig zu sein. Das ist nicht nur eine Frage des Klimaschutzes, das ist auch eine Frage der nationalen und der europäischen Souveränität.

(Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

Da muss ich mich über dieses nationalistische Gerede an dieser Stelle doch sehr wundern. Wie will man eigentlich ernsthaft den Menschen in diesem Lande erklären, aus einer 55-prozentigen Abhängigkeit von Putin eine noch größere zu machen? Denn es ist nicht so, werte Kollegen von der AfD, dass es die Bundesregierung ist, die scharf darauf gewesen ist, hier schnell eine Gaskrise herbeizuführen.

(Zurufe von der AfD)

Es war Wladimir Putin, der die Pipeline entsprechend gekappt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der AfD)

Er ist es, der den Durchfluss reduziert, und in die Abhängigkeit wollen Sie uns noch weiter bringen. Ich sage Ihnen: Das ist das Gegenteil von Vaterlandsliebe und Verantwortung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Karsten Hilse [AfD]: Um Himmels willen! Vaterlandsliebe!)

Eine richtige Haltung, meine Damen und Herren, wäre es, sich dem Problem zu stellen, dass wir in unserem Wohlstand, in unserem Wirtschaften zu über 70 Prozent unseres Primärenergiebedarfs von Importen abhängig sind.

(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

Und wer eine Konsequenz aus der berühmten Zeitenwende ziehen will, der muss doch alles dafür tun, dass wir aus dieser Abhängigkeit rauskommen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das stimmt!)

Deswegen ist der Ansatz, zu sagen: Wir bauen massenhaft erneuerbare Energien aus, auch in Bayern – da haben Sie heute wieder gegengestimmt –,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

weil wir diesen Strom brauchen werden für Mobilität, für Wärme und auch für unsere Industrie. Wir wissen auch, dass wir am Ende nicht in der Autarkie landen werden. Aber ich finde es verantwortlich als Antwort auf diese Abhängigkeit, die wir gerade so schmerzhaft erfahren, dafür zu sorgen, dass sich das umdreht. 70 Prozent erneuerbare heimische Energie, 30 Prozent Importe: Das schafft Bewegungsfreiheit, Souveränität, und das ist verantwortlich auch und gerade mit Blick auf die Verbraucherinnen und Verbraucher.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Jens Spahn [CDU/CSU]: Lassen wir die Kernkraftwerke länger laufen!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Fraktion Die Linke erteile ich das Wort Ralph Lenkert.

(Beifall bei der LINKEN)