Rede von Claudia Müller Aktuelle Stunde „Ostdeutscher Arbeitsmarkt“

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17.12.2020

Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde jetzt schon viel über Haribo gesagt. Vielem kann ich mich anschließen, ebenso wie mein Kollege Wolfgang Wetzel aus Zwickau, der sich vor Ort zu dem Thema einmischt und an der Seite der Betroffenen steht.

Die Schließung des Werkes jetzt, zu Coronazeiten – und dann auch noch so kurz vor Weihnachten –, ist außerordentlich kalt und situationsblind. Dass sie auch noch im Jubiläumsjahr – 30 Jahre Wiedervereinigung – stattfindet, macht dieses Signal umso verheerender.

Aber ich möchte den Blick an dieser Stelle etwas weiten; denn der Fall Haribo ist leider nur ein weiteres Beispiel für eine Wirtschaftsförderpolitik, die eben leider nicht zum Erfolg führt. Bei Haribo im Speziellen trifft diese Politik zusätzlich noch auf Missmanagement und kurzsichtige Profitgier. Haribo schließt dieses Werk, obwohl das Unternehmen 2019 seinen Umsatz um 3 Prozent steigern konnte. Allerdings konnten die Mitbewerber Storck und Katjes die Umsätze im gleichen Zeitraum deutlich stärker steigern. Das gilt für Katjes ganz besonders: Sie punkten zum Beispiel mit ihren veganen Fruchtgummis und werben mit tierfreier Herstellung.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Haribo hingegen hat in der Vergangenheit Trends verschlafen. Selbst den Klassiker „Goldbär“ hat man vernachlässigt. Die Leidtragenden dieser Fehlentscheidungen sind jetzt die Mitarbeiterinnen in Sachsen. Vielleicht hätte es geholfen, wenn man die Mitarbeiterinnen bzw. deren Vertretung frühzeitig und auf Augenhöhe mit in Entscheidungsprozesse einbezogen hätte. Vielleicht wären so Konzepte entstanden, die den Standort gerettet und Haribo insgesamt gestärkt hätten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])

Das war übrigens bei anderen Unternehmen in ähnlichen Situationen der Schlüssel zum Erfolg.

Aber das ist nur die halbe Geschichte. 1990 kaufte der westdeutsche Spitzenreiter im Fruchtgummisegment den ostdeutschen Konkurrenten auf und erhielt dafür Fördermittel. Nun schließt man dieses Werk aus Effizienzgründen. Man verlegt die Produktion zurück nach Westdeutschland. Gleichzeitig aber baut man ein Werk in den USA auf, in Wisconsin, und erhält dafür übrigens 18 Millionen Euro an Fördermitteln. Man zieht, könnte man gemeinerweise sagen, praktisch dem nächsten Fördertopf hinterher. Dafür ist der Fall Haribo leider exemplarisch. Er zeigt noch mal mit aller Härte: Deutschland braucht eine andere Wirtschaftsförderung, Deutschland braucht eine andere Wirtschaftspolitik;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor?)

denn die Hoffnung, dass große Konzerne für Ostdeutschland die Heilsbringer sein werden, ist schon lange Geschichte. Wir müssen uns ernsthaft fragen: Warum werden die Betriebe im Osten weiterhin nur als die verlängerte Werkbank angesehen, die man dann leicht schließen kann? Diese Betriebe werden als eine variable Erweiterung der Produktion gesehen. Das ist keine langfristige und verlässliche Investition in die Region. Hier brauchen wir ein Umsteuern.

Was wir brauchen, ist die Stärkung der ansässigen Unternehmen in diesen strukturschwachen Regionen, sodass sie im Wettbewerb am Markt bestehen können. Das wäre nachhaltiger als ortsfremde Ansiedlung; denn diese ansässigen Unternehmen haben eine örtliche Bindung. Sie kennen ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben nicht nur aus den Personalakten, sondern ganz persönlich. Sie unterstützen Kulturvereine und Sportvereine vor Ort. Die Kinder der Chefin gehen mit den Kindern der Arbeiterinnen gemeinsam zur Schule. Das schweißt zusammen, und dann ist ein solches Handeln, wie wir es jetzt bei Haribo sehen, nicht vorstellbar. Das ist im Übrigen ein Erfolgsrezept, unter anderem in Baden-Württemberg: die kleinen Unternehmen vor Ort zu stärken, damit sie wachsen können; aber sie sind so verankert, dass sie eben nicht jedem Förder-Euro hinterherziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das brauchen wir in der Wirtschaftspolitik. Wir als Grüne haben dazu auch schon mehrere Vorschläge gemacht, zum Beispiel Innovationsförderung für kleine Unternehmen, sodass sie ihre Produktion weiterentwickeln und möglicherweise auch umstellen können. Wir brauchen die Stärkung von regionalen Wertschöpfungsketten, damit die Gewinne in den Regionen bleiben.

Wir brauchen zudem Unterstützung bei der Markteinführung von Produkten. Die Entwicklung schaffen viele Unternehmen selbst, aber die Markteinführung ist insbesondere für kleine Unternehmen häufig der Knackpunkt. Hilfreich wären auch ein leichterer Zugang zur GRW-Förderung und die Verknüpfung von traditionellen Wirtschaftszweigen in den Regionen mit neuen Technologien und Clusterbildung. All das sind Erfolgsrezepte, wie wir sie schon in verschiedenen Regionen gesehen haben. Hierzu gehört auch eine Unterstützung für Gründerinnen in strukturschwachen Regionen; wir Grünen haben das übrigens mal „Regionalbonus“ genannt.

Insgesamt sollten wir einen Blick auf unsere Wirtschaftsförderung richten und nicht mehr so sehr auf Ansiedlungen setzen, sondern das Vorhandene vor Ort stärken und wachsen lassen, Innovationen vor Ort fördern und Clusterbildung unterstützen. Verantwortungsvolle Unternehmen in den Regionen haben es verdient, unterstützt zu werden, gerade jetzt in Zeiten von Corona. Das gilt für die Großen, aber das gilt ganz besonders für die kleinen Unternehmen vor Ort.

Mit diesen letzten Sekunden meiner Redezeit möchte ich Ihnen eine besinnliche, gesunde Weihnacht wünschen, in der Hoffnung, dass wir irgendwann im nächsten Jahr wieder zu einer gewissen Normalität übergehen können. Bleiben Sie gesund! Bis nächstes Jahr!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Als Nächstes hat das Wort der Kollege Mark Hauptmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)