Rede von Canan Bayram Aktuelle Stunde: Silvester

Foto von Canan Bayram MdB
18.01.2023

Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Liebe Frau Präsidentin! Canan, am Anfang ausgesprochen mit „dsch“, heißt mein Name.

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Entschuldigung.

Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die CDU interessiert sich ja für Vornamen. „Canan“ bedeutet so viel wie „Liebling“,

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Liebling Kreuzberg?)

und Sie dürfen mich auch weiterhin alle „Liebling“ nennen. Aber klar ist: Ich bin nicht hier, um jedermanns Liebling und Everybody’s Darling zu werden.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das haben Sie geschafft!)

Damit will ich, meine Damen und Herren, zu Baris Coban kommen. Das ist der Name eines Feuerwehrmanns, der in Neukölln in der Silvesternacht im Einsatz war. Baris hatte sich für den Silvesterabend vorgenommen, anderen zu helfen, statt mit seiner Familie Silvester zu feiern. Er wollte helfen und ist in einen Hinterhalt gelockt worden – das muss deutlich gesagt werden –: Auf der Sonnenallee lagen brennende Barrikaden. Gemeinsam mit seinen Kollegen wollte Baris das Feuer löschen; aber er wurde von einer Gruppe von Jugendlichen angegriffen, teilweise mit Schreckschusspistolen. Deswegen, meine Damen und Herren, müssen Sie mit mir nicht darüber diskutieren, dass wir die Dinge so betrachten müssen, wie sie sind, um sie lösen zu wollen. Das ist für mich keine Frage, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Diesen Einsatz wird Baris nicht so schnell vergessen. Er und seine Kollegen mussten ins Einsatzfahrzeug flüchten; den Brand konnten sie nicht löschen. Stellen Sie sich vor, wie er sich nach diesem Einsatz gefühlt haben muss! Und als wäre das nicht schon schlimm genug, muss er sich eine Woche später von Ihrem Fraktions- und Parteivorsitzenden, von Friedrich Merz, im Fernsehen anhören, dass das Problem der Silvesternacht „kleine Paschas“ waren. Carlo Masala hat dies in einer späteren Ausgabe von „Markus Lanz“ so beschrieben, dass es ein Spucken ins Gesicht aller Menschen mit Migrationshintergrund ist,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Blödsinn!)

und er hat gesagt, dass seine Eltern Gastarbeiter waren, so wie auch meine Eltern Gastarbeiter waren.

Ich kann Herrn Merz, der der Runde hier nicht mehr beiwohnt, weil er bestimmt einen ganz wichtigen anderen Termin hat, sagen: Auch für mich persönlich ist es fürchterlich; denn Brilon, der Ort aus dem Wahlkreis von Herrn Merz, ist der Ort in Deutschland, in dem meine Mutter zuerst angekommen ist. Sie hat uns diesen Ort immer als sehr schön beschrieben.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Ist er auch heute noch!)

So wie mein Vorredner kann auch ich sagen: Es gibt sehr viele Menschen, gerade aus der Gastarbeitergeneration, die Geflüchteten, all die Menschen, die von der AfD ständig beschimpft werden, denen mit solchen Aussagen wie auch mit der von Herrn Spahn in Gesicht gespuckt wird. Dagegen wehren wir uns, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Ich will Ihnen auch verraten, was der Name „Baris“ heißt. „Baris“ bedeutet „Frieden“, und das scheint die Triebfeder gewesen zu sein.

(Zuruf des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU])

Denken Sie vielleicht das nächste Mal an Baris Coban, bevor Sie sich äußern, meine Damen und Herren von der Union! Wir beobachten hier eine Instrumentalisierung der Debatte.

(Stephan Brandner [AfD]: Habe ich ja noch nicht gehört!)

Sie versuchen, mit Rassismus und Ausgrenzung Wahlkampf hier in Berlin zu machen, statt an einer Lösung zu arbeiten.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Ja, dann sind wir jetzt mal sehr gespannt, was Sie dazu sagen! – Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Fakt ist doch, dass sich inzwischen herausgestellt hat, dass die meisten Gewaltvorfälle gar nicht in Neukölln, sondern in Mitte waren,

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Also alles nicht so schlimm, oder was? Dann ist es ja gut! – Nina Warken [CDU/CSU]: Ich glaube, den Polizisten ist es egal, wo sie angegriffen werden!)

genauso wie es solche Vorfälle schon immer und überall gegeben hat, wo junge Männer sich ausgegrenzt fühlen.

(Stephan Brandner [AfD]: Hören Sie mit Ihren sexistischen Stereotypen auf!)

Das kann doch kein Argument sein, gegen diese jungen Männer zu sein, meine Damen und Herren.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Vielmehr sollten wir doch den Respekt, den wir von diesen jungen Männern verlangen,

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das sind Kriminelle!)

ihnen in dieser Debatte auch vorleben, meine sehr geehrten Herren aus den konservativen Parteien.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Wie wäre es mit Lösungsansätzen? Lösungen! Lösungen! – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Das sollten Sie sich vielleicht auch mal vornehmen und im Spiegel üben.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Jo, machen wir!)

– Sehr gut.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dabei sollten wir – das ist doch Ihr und auch unser Anspruch hier im Deutschen Bundestag – gemeinsam an den Lösungen arbeiten, mit denen wir solche Taten in Zukunft verhindern können.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Dann nennen Sie doch mal ein paar! Sie sind doch an der Regierung! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Fünf Minuten haben wir zugehört und nichts zu Lösungen gehört!)

Da hilft es nicht, Strafrechtsverschärfungen zu versprechen. Denn die letzten Strafrechtsverschärfungen sind ja im Jahre 2017 umgesetzt worden, und sie haben nicht dazu geführt, dass wir uns nicht wieder damit beschäftigen müssen, meine Damen und Herren.

(Stephan Brandner [AfD]: Vielleicht wäre es sonst noch viel schlimmer!)

Klar ist doch – es steht im Strafgesetzbuch –: Es gibt kein Recht darauf, Feuerwehrleute oder Polizisten mit Feuerwerkskörpern zu beschmeißen. –

(Stephan Brandner [AfD]: Das steht nicht im Strafgesetzbuch!)

Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Deswegen: Lassen Sie uns gemeinsam an dem Respekt gegenüber den jungen Leuten arbeiten.

(Stephan Brandner [AfD]: Aha! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist die Lösung! Toll! – Beatrix von Storch [AfD]: Na Wahnsinn!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Meine ganz persönliche Empfehlung an den Herrn Friedrich Merz: Bitte nehmen Sie Abstand davon, sich Hundekrawatten zu kaufen und sich dann hier in die erste Reihe zu setzen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Gyde Jensen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)