Rede von Frank Bsirske Aktuelle Stunde „Tarifverträge bei Vestas“
Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Abgeordnete! Deutschland steht vor einem Boom bei den erneuerbaren Energien. Dabei ist die Windkraft eine der tragenden Säulen im Energiemix der Zukunft. Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen jeden Tag ungefähr vier Windräder ans Netz gehen. Das ist eine Herausforderung, für die wir Menschen brauchen, die als Projektierer, Monteure oder Servicetechniker dafür sorgen, dass die Klimaziele erreicht werden können. Diese Menschen müssen auch gut bezahlt werden, und sie sollten Arbeitsbedingungen haben, wie sie für tariflich geregelte Industriebereiche üblich sind.
Im konkreten Fall, über den wir heute sprechen, geht es um eine Servicetochter des dänischen Konzerns Vestas, bei der circa 700 Beschäftigte im Bereich Service und Wartung arbeiten – Kolleginnen und Kollegen, die sich für bessere Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen einsetzen. Zugleich aber geht es um mehr. Es geht um die Grundsatzfrage, ob die Beschäftigten in der Windkraftbranche tarifvertragliche Regelungen durchsetzen können oder weite Teile dieser Branche weiterhin tariflos bleiben. Das ist nicht irgendeine Frage; denn: Tarifverträge schützen, Tarifverträge bieten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Sie durchzusetzen, dafür hat sich ein großer Teil der Beschäftigten bei Vestas gewerkschaftlich organisiert.
Dafür sind sie im Streik, weil sie es mit einer Geschäftsleitung zu tun haben, die sich Tarifgesprächen aus Prinzip verweigert, die es vorzieht, Entgeltvereinbarungen, wenn überhaupt, lieber mit dem Betriebsrat zu schließen. Die Gewerkschaft, die soll draußen bleiben. Lieber sucht man sich einen Partner aus, der nicht zum Streik aufrufen darf, will er nicht die Kündigung riskieren. Das ist gewollt, weil es von vornherein ein Ungleichgewicht der Kräfte zugunsten der Kapitalseite schafft und die Interessenvertretung der Beschäftigten zum Bittsteller macht.
(Beifall bei der SPD)
Die Beschäftigten aber wollen aus guten Gründen mehr. Sie wollen kollektiv wirkende Regelungen durchsetzen, die nicht vom Goodwill oder Badwill der Geschäftsführung abhängen. Sie wollen den Schutz des Tarifvertrages und den Schutz ihrer Gewerkschaft und tun das in einer Branche, in der Tarifverträge bisher die absolute Ausnahme sind. Insofern reicht der Konflikt weit über Vestas hinaus: Gelingt nämlich hier ein Durchbruch, so strahlt das auch auf andere Unternehmen der Branche aus.
Die Kolleginnen und Kollegen bei Vestas sind Vorkämpfer/-innen für die gesamte Branche; Vorkämpfer/-innen für Arbeitnehmerrechte, die eigentlich selbstverständlich sein sollten in unserem Land; Vorkämpfer/-innen gegen Konzerne wie Vestas, die in Dänemark selbstverständlich die Arbeitsbedingungen tarifvertraglich regeln, in Deutschland aber auf die Amerikanisierung der Arbeitsbeziehungen setzen, weil sie glauben, es zu können.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Das ist aber jetzt ein bisschen übertrieben, Herr Kollege!)
Dem setzen die Beschäftigten ihre Entschlossenheit entgegen: die kollektive Kraft der organisierten Arbeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
Damit haben sie nach 73 Tagen Streik erste Gespräche erzwungen. Zweimal haben die Arbeitgeber Angebote gemacht und sie dann wieder vom Tisch genommen, unter anderem mit der Begründung, dass dann die dänischen Kollegen auch auf die Idee kommen könnten, mehr Geld zu fordern.
Statt einen ordentlichen Tarifvertrag auszuhandeln, hat der Arbeitgeber eine Inflationsprämie in Höhe von 2 200 Euro in Aussicht gestellt und eine Lohnerhöhung von 5,4 Prozent im nächsten Jahr bei einer Laufzeit von zwei Jahren – ein Angebot, das die Beschäftigten bei der aktuellen Preissteigerungsrate und der Lohnentwicklung in anderen Branchen zu Recht als äußerst mager und beschämend angesehen haben.
Deswegen haben die Beschäftigten den Streik wieder aufgenommen und sind mittlerweile seit über hundert Tagen im Streik; einem Streik, auf den die Geschäftsleitung mit dem Einsatz von Streikbrechern reagiert hat, die sie aus Rumänien, Polen und der Türkei angeworben hat. Gelingt es, diesen Streik zu brechen; gelingt es, einen Tarifvertrag zu verhindern; gelingt es, das Lohnniveau weiter niedrig zu halten, dann kann es sein, dass unter dem Strich die Botschaft steht, es lohne sich nicht, in der Windkraftbranche zu arbeiten. Sollte sich dieser Eindruck aber verfestigen, hat die Branche, hat aber auch die deutsche Volkswirtschaft, die auf die Energiewende angewiesen ist, ein ernstes Problem.
In einer Befragung der IG Metall berichteten 48 Prozent der befragten Betriebsräte, dass es Probleme bei der Besetzung offener Stellen mit geeigneten Fachkräften gebe, nicht nur in der Produktion, sondern auch im Bereich Service und Wartung. Das sollte der Geschäftsführung ein Warnsignal sein. Wir wissen alle, dass Monteure und Servicetechniker auch in andere Branchen abwandern können. Das wäre fatal und würde der Energiewende schaden. Wir erwarten deshalb, dass die Geschäftsführung von Vestas endlich in konstruktive Verhandlungen mit der IG Metall eintritt
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
und ein Tarifvertrag abgeschlossen wird, der Signalwirkung für die Branche hat und mit dem beide Seiten leben können.
Unsere Solidarität in dieser Situation gilt deshalb den streikenden Kolleginnen und Kollegen bei Vestas. Unsere Solidarität gilt allen Beschäftigten, die sich gewerkschaftlich organisieren und die sich an die Durchsetzung kollektiver Regelungen in der Windkraftbranche machen.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])
Sie verdienen die Unterstützung des Bundestages, unsere Unterstützung. Die Unterstützung der grünen Bundestagsfraktion haben sie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Abgeordnete Norbert Kleinwächter für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)