Rede von Dr. Robert Habeck Aktuelle Stunde „Verhinderung von Insolvenzen“

Robert Habeck
21.09.2022

Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz:

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Unionsopposition, ich rede total gerne hier, und ich komme auch jederzeit; ich kann mich nur nicht klonen. Ich war gerade auf Bitten der Union im Haushaltsausschuss und habe erzählt, was es mit den Details der Uniper-Rettung oder -Verstaatlichung auf sich hat. Ihre Kollegen waren konsterniert, dass ich abberufen wurde. Ich glaube, Sie müssen da ein paar Sachen untereinander klären. Es gibt ja Telefone dafür.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber das ist nicht mein Hauptpunkt. Mein Hauptpunkt ist – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin Frage 5 des Abgeordneten Gebhart, die zu dieser Aktuellen Stunde geführt hat –:

Wann legt die Bundesregierung einen konkreten Ausstiegsfahrplan für russische Öl- und Gasimporte vor …?

Ist Ihnen aufgefallen, dass Russland kein Gas mehr liefert,

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Tino Chrupalla [AfD]: Weil ihr Waffen liefert!)

dass die Situation also nicht ist, dass wir uns ein Embargo ausgedacht haben, sondern, dass Putin den Gashahn abgedreht hat? Sie sollten zumindest überlegen, was die Wirklichkeit an Aufgaben stellt, wenn Sie schon nicht bereit sind, die Antworten auf die Wirklichkeit zu akzeptieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Bevor ich die gestellten Fragen beantworte – ich gehe gleich auf die Gasumlage und die damit verbundenen Debatten ein –, ein Wort zu Schwedt. Es gab vom rechten Rand unter anderem die Forderung: Kein Embargo für Schwedt! – Was sehen wir, was im Moment passiert? Es gibt ja kein Embargo. Es kann russisches Öl aus der Druschba-Pipeline in Schwedt raffiniert werden, aber niemand oder immer weniger wollen es haben.

(Zuruf von der AfD: Quatsch!)

Es gibt Versicherungen, die nicht mehr versichern. Es gibt Geldgeber, die kein Geld mehr geben. Es gibt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich zurückziehen. Es gibt Abnehmer, die nicht mehr abnehmen wollen.

(Zuruf von der AfD: Wegen Ihrer Politik!)

– Nicht wegen meiner Politik,

(Tino Chrupalla [AfD]: Blödsinn!)

sondern weil Öl von Putin auf dem europäischen Markt nicht mehr gefragt ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das Zögern und das Nichtagieren haben Schwedt in diese Situation geführt. Das ist im Übrigen auch die Begründung, warum wir eine Treuhand eingesetzt haben; denn die Begründung zur Einsetzung einer Treuhand kann ja nur sein, dass wir die Energieversorgung im staatlichen Auftrag sicherstellen, weil sie nicht anders sicherzustellen wäre, weil der Markt sonst wegen der Overcompliance in Schwedt kollabiert wäre.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Was ist denn hier mit Sicherstellen? Da ist ja gar nichts!)

Lassen Sie mich zur Gasumlage kommen und auf die Fragen des persönlich sehr geschätzten Kollegen Jung eingehen. Die sogenannten Trittbrettfahrer, also die Unternehmen, die von der Gasumlage profitieren, obwohl sie Gewinne machen, machen bei der Gasumlage einen Anteil von ungefähr 8 Prozent aus. Das ist nicht nichts, aber es ist nicht so, dass die Berechnungen, die ja auf eine Preisprojektion abgezielt haben, jetzt sofort korrigiert werden müssten. Die Systematik der Gasumlage ist – wie mehrfach im Ausschuss erläutert –, dass sie quartalsweise mit Blick auf die Preise justiert wird. Das kann auch im Januar vorgenommen werden; das ist aber auch die Antwort, warum diese 8 Prozent jetzt nicht den großen Unterschied machen.

Zweite Antwort. Wie wird die Gasumlage berechnet? Auch das wurde mehrfach dargestellt: Die Unternehmen, die berechtigt sind, stellen Anträge, THE prüft diese Anträge auf Plausibilität, und daraus errechnet sich dann, gestreckt über den Zeitraum, bis wann die Gasumlage erhoben werden kann

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Können wir gerne mal sehen!)

– wahrscheinlich bis Ende Winter 2024 –, also die Summe, die im Durchschnitt erhoben werden soll. Sie kann nach oben wie nach unten korrigiert werden. So ist es auch vorgesehen. Die Systematik und die Logik sind denkbar klar und auch mehrfach erläutert.

Dritter Punkt. Die rechtliche Bewertung, wann ein Unternehmen in staatliche Hand gerät wie jetzt Uniper – es ist noch nicht in staatlicher Hand; es wird ja noch ein paar Wochen, wahrscheinlich zwei bis drei Monate dauern –, ist berechtigt und muss streng erfolgen. Dass eine verfassungsrechtliche Normenprüfung erfolgt, ist richtig und notwendig. Es ist eben ein Unterschied, ob ein staatliches Unternehmen eine Umlage bekommt oder ein mehrheitlich privat gehaltenes Unternehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sieht aber Herr Lindner anders! Das sieht aber die FDP anders!)

Das Verfahren zur Umlage ist in der Ressortabstimmung. Wir haben es heute eingebracht, und im Rahmen dieser Ressortabstimmung wird dann die Klärung erfolgen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Da hat der Finanzminister doch heute gesagt, dass es geklärt ist! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Ja, da hat der Finanzminister das anders gesagt!)

Lassen Sie mich ganz kurz einmal darauf eingehen, was Ihre Forderung ist, und den Rahmen etwas weiter fassen. Ich erinnere mich daran, wie wir – damals war ich Parteivorsitzender – während der letzten zweieinhalb Jahre diskutiert haben, wie wir uns politisch verhalten in Zeiten einer nationalen Krise: Corona.

(Timon Gremmels [SPD]: Ja! Ja! Ja!)

Wir waren damals in der Opposition, und uns hat vieles im Detail nicht gepasst, was Sie, auch die jetzigen Koalitionspartner, verantwortet haben.

Wir haben gesehen, dass Soloselbstständige nicht genug bedacht wurden. Wir haben gesehen, dass nicht schnell genug Vorsorge geschaffen wurde. Wir haben gesehen, dass Kinder und Alleinerziehende nicht berücksichtigt wurden,

(Tino Chrupalla [AfD]: So wie jetzt! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was hat das jetzt mit diesem Thema zu tun?)

dass die Förderprogramme nicht ausreichten usw. Das haben wir immer wieder im Detail kritisiert. Aber wir haben, wenn es darauf ankam, immer die Verantwortung gesucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir haben Ihre Politik, obwohl wir in der Sache abgewichen sind, immer wieder unterstützt.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Das stimmt überhaupt nicht! Sie haben sich kraftvoll enthalten! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Enthalten haben Sie sich! Ganz kraftvoll! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gar nicht wahr! Nein! – Gegenruf des Abg. Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Natürlich haben Sie sich enthalten! Das Infektionsschutzgesetz! – Gegenruf der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Jetzt haben wir eine Situation – Corona ist ja noch nicht vorbei –, wo sich die multiplen Krisen aufzuschaukeln drohen, wo wir eine hohe Inflation haben und gleichzeitig eine drohende Rezession. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, was dieses Land erlebt. Und – das ist der eigentliche Punkt – was hören wir von der Opposition? „Die Gasumlage muss weg!“

(Stephan Brandner [AfD]: Ja, die muss weg!)

Sind wir denn hier im Fußballstadion, oder was? Ist das eine Demo?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

„Muss weg!“ – Sie sind die Muss-weg-Opposition. Was ist denn das für eine Antwort? Fragen Sie mich mal, was mir alles nicht gefällt und bei was allem ich mir wünschen würde, dass es weg muss! Aber das ist doch keine Politik.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Was kommt denn stattdessen? Was ist denn die Antwort darauf? Und wenn Sie sich schon entschieden haben, eine nicht-konstruktive Opposition zu sein, dann sollten Sie wenigstens die Traute haben, zu Ihren eigenen Anträgen auch Wahrheit und Ausspruch zu geben.

(Dr. Anja Reinalter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es! – Tino Chrupalla [AfD]: Was für ein Gedöns! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist ein ganz probates Mittel!)

Das tun Sie nämlich nicht.

Natürlich gibt es eine Möglichkeit, anders Geld aufzunehmen; aber dann müssen Sie sich hierhinstellen und sagen: Statt der Gasumlage wollen wir jetzt sofort etwa 35 Milliarden Euro aufnehmen

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Macht ihr doch!)

oder die Unternehmen kapitalisieren. – Das tun Sie aber nicht.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Aber Sie machen das doch gerade!)

Sie stellen sich mit plumpen Forderungen hierhin. Dann seien Sie wenigstens ehrlich!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Diese Ehrlichkeit vermisse ich in dieser Debatte – die Ehrlichkeit und die Verantwortungsbereitschaft. Sie haben sich für einen Weg entschieden. Ich glaube nicht, dass es der richtige ist.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sagen Sie mal lieber was zu Ihrem Finanzminister, als dass Sie die Opposition beschimpfen!)

Von der Fragestellung, die falsch ist, die, wenn ich das sagen darf, quasi unterstellt, die Bundesregierung würde ein Gasembargo verhängen, obwohl wir uns bewusst dagegen ausgesprochen haben, von einer eine falsche Wirklichkeit insinuierenden Fragestellung bis zur Verweigerung einer Antwort stellen Sie sich hierhin, holen die Abgeordneten aus den Kammern hervor, um keine Antwort zu geben.

(Julia Klöckner [CDU/CSU]: Das ist das deutsche Parlament! Hier wird debattiert!)

So stelle ich mir Opposition nicht vor.

Danke schön.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Kein Wort zur Aussage des Finanzministers! – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Der Finanzminister sieht das anders!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Alexander Ulrich das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)