Rede von Jürgen Trittin Aktuelle Stunde „Waffenlieferung“

Foto von Jürgen Trittin MdB
25.01.2023

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist das Elend der Opposition: Da schicken Sie Herrn Merz und Herrn Dobrindt in die Bütt, und dann hat sich das Thema erledigt.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Zur Strafe müssen Sie dann die Reden von Herrn Chrupalla anhören, die Reden eines Mitglieds einer Partei, von der ein Abgeordneter jahrelang ein Büro in Moskau betrieben hat. So viel zur Ernsthaftigkeit Ihrer Argumentation an dieser Stelle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Wer soll das denn gewesen sein? Herr Trittin, wer soll das gewesen sein? Das ist völlig frei erfunden! „Mescalero“!)

Es ist gut, dass der Bundeskanzler heute für Klarheit gesorgt hat. Deutschland ist nicht nur der zweitgrößte zivile Unterstützer der Ukraine. Wir stellen Zehntausende von Generatoren, um den Menschen die Last der Kälte durch den russischen Bombenterror zu nehmen.

(Stephan Brandner [AfD]: Mit Leopard-Panzern werden die Wohnungen nicht wärmer!)

Vor allem aber: Deutschland ist mit den USA und Großbritannien einer der drei großen militärischen Unterstützer der Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression. Es sind deutsche Gepard-Panzer, die iranische Drohnen abschießen. Es waren deutsche Raketenwerfer und die Panzerhaubitze 2000, die der Ukraine die Befreiung besetzter Gebiete ermöglicht haben.

Und damit hört es nicht auf. Am Freitag wurden in Ramstein neue Zusagen gemacht – das bisher vielleicht größte militärische Unterstützungspaket. Am Montag sind vom Rat für Auswärtige Angelegenheiten noch einmal 500 Millionen Euro in die europäische Peace Facility zur Beschaffung von Rüstungsgütern gegeben worden; 125 Millionen Euro davon kommen aus Deutschland.

Das alles verschweigen Sie, Herr Merz. Das alles verschweigen Sie, weil es Ihnen unangenehm ist.

(Beifall des Abg. Frank Bsirske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber für die Ukraine ist diese Hilfe existenziell. Ich sage Ihnen auch: Sie ist existenziell, aber sie reicht nicht. Wir müssen mehr machen.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Aha!)

Nehmen wir ernst, was wir täglich erfahren, was unsere Dienste sagen, dann wird klar: Die Ukraine steht vor einer großen Frühjahrsoffensive Russlands. Der geplante Aufwuchs der russischen Armee auf 1,5 Millionen, möglicherweise 2 Millionen Soldatinnen und Soldaten und Söldner, das Leeren aller Depots zeigen, worauf Putin setzt: Er will mit einer Materialschlacht die Ukraine überrennen. Diese zynische Politik kalkuliert den Tod von Tausenden Russen ein. Vor Soledar, vor Bachmut verheizt er jeden Tag 300 Menschenleben. Alle Zeichen stehen auf eine russische Großoffensive. Es ist zynische Menschenverachtung. Dieser Angriffskrieg, diese Kriegsführung ist verbrecherisch, und das ist der Hintergrund dieser Debatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich würde mir wünschen, liebe Frau Wagenknecht, liebe Sevim Dağdelen, wenn Sie Ihren antimilitaristischen Furor ein Mal – nur ein Mal! – gegen diese Politik von Putin verwenden würden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

So aber sind Ihre Einlassungen dem Ernst der Lage nicht angemessen.

Ich will das mit aller diplomatischen Zurückhaltung sagen:

(Zuruf von der AfD: Das ist ja was Neues!)

Dem Ernst der Lage war auch nicht das angemessen, was die polnische Regierung in dieser Frage veranstaltet hat. Ich bin froh, dass Annalena Baerbock dies auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat. Man kann schlecht über einen angeblich abgelehnten Antrag reden, den man noch nicht einmal gestellt hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und des Abg. Wolfgang Kubicki [FDP])

Wir wollen ernsthaft verhindern, dass Russland die Ukraine überrennt. Das ist in unserem ureigenen Interesse. Wer es belohnt, dass mit Gewalt Grenzen in Europa verändert werden, der gefährdet die Sicherheit und den Frieden auch in Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Ulrich Lechte [FDP]: Sehr richtig!)

Und ich weiß: Die Menschen hier im Lande sind gespalten, auch über die Lieferung der Panzer. Ich selber bin überzeugt davon: Ohne sie wird die Ukraine Putin nicht stoppen können. Aber die Menschen, die das ablehnen, haben Gründe dafür. Ein Grund ist die Furcht vor einer Eskalation, vor einer Rutschbahn, an deren Ende ein Krieg der NATO mit Russland stehen könnte.

Ja, wir wollen die Ukraine unterstützen; aber wir wollen keine militärische Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland. Es gibt die Gefahr der Eskalation, es gibt sie in jedem Krieg; darauf hat schon Clausewitz hingewiesen. Aber die Gefahr der Eskalation darf kein Freibrief für Verbrecher sein, die glauben, sie hätten die Eskalationshoheit. Die Antwort auf die Gefahr der Eskalation muss sein: Wir müssen diese Gefahr mindern und dabei die Ukraine unterstützen.

Das Rezept der Minderung der Eskalation liegt darin: Wir müssen in der NATO Gemeinsamkeit herstellen. Gemeinsamkeit innerhalb der NATO ist der beste Schutz gegen die Eskalation. Ich bin froh, dass es dem Bundeskanzler in freundlichen Gesprächen, wie er das genannt hat, gelungen ist, die USA zu überzeugen, sich an der Lieferung von Panzern zu beteiligen. Putins Rechnung, die NATO zwischen Europa und den USA zu spalten, geht nicht auf.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

So geht Führung. Führung geht übrigens nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, in Alleingängen; –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– Führung in der multipolaren Welt geht nur in Gemeinsamkeit.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Dr. Dietmar Bartsch hat das Wort für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)