Rede von Britta Haßelmann Aktuelle Stunde "Wahlrecht"

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

11.03.2020

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die Zeit drängt, und das wissen wir alle. Eigentlich läuft uns die Zeit auch schon davon. Meine Damen und Herren, wenn man sich die Reden gerade angehört hat, auch die aus der Koalition, dann könnte man verzweifeln, weil einfach nichts mehr passiert. Der eine sagt „Du musst“, und der andere sagt: Du musst. – Wir haben ein Wahlrecht, und dessen Grundlage ist das personalisierte Verhältniswahlrecht. Wir haben über ein Jahr in einer Wahlrechtskommission bei Herrn Schäuble, dem Bundestagspräsidenten, darum gerungen, ob auf dieser Grundlage das Ergebnis, den Bundestag zu verkleinern, zu erzielen ist. Man muss an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Bis heute ist es vor allen Dingen die CSU, die jede Lösung blockiert,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und das ist – das sage ich sowohl an Dobrindt als auch an Söder gerichtet – unverantwortlich, meine Damen und Herren. Es ist absolut unverantwortlich, was die CSU hier für ein Spiel treibt.

Auch der letzte Versuch, den gerade Alexander Dobrindt an Journalistinnen und Journalisten streut, ist nicht verfassungsgemäß.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Er zielt nur – raten Sie mal – auf die Stimmenmaximierung und die Stimmensicherung der CSU ab. Und es ist schändlich, dass Sie das tun und dass Sie hier keine Einsicht haben, sodass kein Gesamtkonzept und keine Lösung bei der Union besteht, keine Lösung zwischen den Koalitionsfraktionen und deshalb bis heute keine Lösung zwischen den demokratischen Fraktionen hier im Parlament. Das ist fahrlässig. Die Zeche werden am Ende alle demokratischen Parteien zahlen müssen, wenn Sie nicht bald zur Vernunft kommen, und dazu rufe ich Sie auf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wer die letzte Umfrage von Infratest dimap gesehen hat und ein bisschen was vom Wahlrecht versteht, hat vielleicht mal nachgerechnet, was ein entsprechendes Wahlergebnis beim jetzt geltenden Wahlrecht umgerechnet bedeuten würde: 871 Abgeordnete. Zumindest diese Zahl müsste Ihnen von der CDU/CSU und der SPD jetzt mal sagen: Es muss was passieren, und wir müssen das bis Ostern hinkriegen, verdammt noch mal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Es gibt dafür nur zwei Möglichkeiten. Wenn ich die Schlauberger da vorne in der zweiten und dritten Reihe höre, die mir erklären, das sei doch alles ganz einfach, man müsse nur bei den Listenabgeordneten kürzen, dann kann ich Ihnen sagen: Sie haben leider keine Ahnung vom geltenden Wahlrecht. Das geltende Wahlrecht ist eindeutig: personalisiertes Verhältniswahlrecht. Das, wovon Sie träumen, meine Herren, ist die Einführung des Mehrheitswahlrechtes, und dafür wird es in diesem Parlament keine Mehrheit geben. Das garantiere ich Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wo kommen wir denn da hin? Parteien wie die CDU und die CSU kriegen am Ende im Bundestag 24 Prozent – 24 Prozent! –, und sie glauben, damit eine absolute Mehrheit sichern zu können. Für wie blöd halten Sie eigentlich die Bürgerinnen und Bürger?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir reduzieren die Anzahl der Wahlkreise, oder/und Sie verabschieden sich von dem sogenannten Sitzkontingentverfahren, den Länderproporzen, die nämlich auch noch Überhänge produzieren. Oder man geht hin, wie die SPD gerade vorgeschlagen hat, und sagt: Das Zweitstimmenergebnis muss sich im Bundestag eins zu eins widerspiegeln – das sagen wir auch –, und dann kappt man bei den Direktmandaten alles über dem Zweitstimmenergebnis. Das ist auch eine Möglichkeit. Dann mal her mit der Idee, als Drucksachennummer auf den Tisch! Wenn unser guter Gesetzentwurf sich nicht durchsetzt, dann – so habe ich das Gefühl – könnte Ihrer eine Mehrheit kriegen; aber dann brauchen wir den jetzt hier mal als Drucksachennummer

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

und nicht nur als „Spiegel“-Artikel.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch was sagen, Stichwort „Parité“: Nachdem die Kanzlerin, nachdem die Vorsitzende der CDU, nachdem auch viele Frauen aus der CDU/CSU-Fraktion, nachdem die Frauen der SPD-Fraktion und wir, Bündnis 90/Die Grünen und die Linken, längst erklärt haben: „Wir wollen jetzt endlich mal was zur Parité machen; wir wollen uns nicht länger damit abfinden, dass der Frauenanteil im Deutschen Bundestag so niedrig ist“, erwarte ich aber auch, dass bei diesem Thema die Lippen nicht nur sonntags gespitzt werden, sondern dass wir auch wirklich daran arbeiten, wenn die Fraktionsvorsitzenden nächste Woche zusammenkommen, und dass Sie meine Fraktionsvorsitzende dann unterstützen, wenn sie vorschlägt, das Thema Parité bei der Wahlrechtsreform tatsächlich vor die Klammer zu ziehen und nicht nur darüber zu reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege Michael Frieser für die Fraktion der CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)