Rede von Renate Künast Aktuelle Stunde zur Gemeinsamen Agrarpolitik

08.06.2018

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, schön, dass Sie da sind.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: So ist sie!)

– Es ist in einer Aktuellen Stunde ja nicht immer so, dass die Ministerin oder der Minister kommt.

Zu dem Vorschlag der Europäischen Kommission – ich will es gleich ganz direkt sagen, und ich ahne schon, dass wir etwas unterschiedlicher Meinung sind –: Wir finden diesen Vorschlag zur GAP-Reform, zur Agrarreform, enttäuschend, weil das, was sich in den letzten Jahren bewegt hat, wie weggeblasen scheint. Man muss im wahrsten Sinne des Wortes sagen: Das ist nicht nur wie weggeblasen, sondern das ist eigentlich ein Rückschritt auf der ganzen Linie. Der Vorschlag missachtet eigentlich alles, wozu wir uns bei Klimaschutz, bei Tierschutz und bei Artenvielfalt verpflichtet haben. Er folgt nur kurzfristigen Interessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man könnte meinen, das sei im Labor entwickelt worden. Da wir uns gerade mit der Landwirtschaft beschäftigen, würde ich sagen: Das wurde im Silo entwickelt – ohne Beachtung dessen, was draußen drumherum passiert.

Wenn wir uns mal die Ernährungssituation weltweit ansehen und das herunterbrechen, dann wissen wir: Auf der einen Seite hungern 815 Millionen Menschen, auf der anderen Seite leben wir im Überfluss, und wir müssen uns sogar mit der Frage „Food Waste“ beschäftigen – also damit, dass Lebensmittel weggeworfen werden – und Gegenstrategien haben.

14 bis 18 Prozent der Treibhausgasemissionen kommen aus dem Bereich „Landwirtschaft und Ernährung“. Wenn wir die ganze Kette genauer berücksichtigen, den Transport, die Entwaldung, die Produktionsverfahren, Food Waste usw., dann sehen wir, dass 40 bis 50 Prozent der Treibhausgasemissionen allein aus diesem Bereich kommen.

Was bietet uns die Kommission als Lösung an? Etwas, was quasi im Silo entwickelt wurde. Das ist wahrscheinlich das Klein-Klein der Vorschläge der Agrarminister, die sie in Brüssel vorgebracht haben. Am Ende zählt nur die Produktion, das Ziel, immer mehr zu produzieren. Aber wir haben auf UN-Ebene auch Nachhaltigkeitsziele unterschrieben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wo ist dann das Klimaziel? Wo geht es denn um die Themen Wasser, Biodiversität, Ökosysteme oder menschliche Gesundheit? Das alles ist hier schon diskutiert worden.

40 Prozent des EU-Haushaltes werden für den Agrarbereich ausgegeben. Und was gestalten wir damit? Das passt überhaupt nicht zu den politischen Zielen, die wir uns gesetzt haben.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Nicht zu Ihren Zielen!)

Es macht sich auch niemand die Mühe, sich mal damit auseinanderzusetzen, wie denn die Zukunft in den einzelnen Segmenten dieses Bereiches aussehen wird.

120 Prozent des Bedarfs an Schweinefleisch produzieren wir. Ich weiß nicht, wer das alles essen soll.

(Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU]: Ich freue mich schon aufs Grillen heute!)

Ich weiß auch gar nicht, wo die Zukunft von Cloppenburg/Vechta liegt.

Wenn Sie die Bauern noch weiter auf einen Exportkurs treiben, dann müssen Sie sie eigentlich auch bei der Hand nehmen und ihnen helfen, wenn dieser Weltmarkt zusammenbricht. Dann dürfen Sie sie nicht alleinlassen. Also lassen Sie es gleich mit dem Exportkurs!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beim Thema Fleisch wird quasi ein neuer Naturkreislauf auf der Welt entwickelt, indem erst mal Wälder gerodet werden. Dort werden dann Tiere gehalten, danach wird dort Futtersoja angebaut. Futtersoja wird nach Europa transportiert und kommt vorne ins Tier rein. Hinten kommt Gülle raus. Danach suchen wir den Ort, an dem wir diese Gülle loswerden. Es entsteht ein Gülletourismus. Die Wasserwerke müssen Wasser nachpumpen, und diesen Aufwand bezahlen die Kunden. Das ist eine Art neuer Naturkreislauf, den wir hier mit 40 Prozent des europäischen Haushaltes schaffen. Das ist Wahnsinn, und es geht in die falsche Richtung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich das aus dem Silo-Blickwinkel sehe: Die Finanzierungsquellen für Agrarumweltmaßnahmen – auch die in benachteiligten Gebieten – sollen im Wesentlichen trockengelegt werden, kann man sagen. Für die Direktzahlung gilt das nur ein kleines bisschen. Das ist eine Nationalisierung, eine Renationalisierung von Umweltleistungen. Wir alle wissen, was dieses Signal bedeutet: Die Mitgliedstaaten werden in einer Art Dumpingwettbewerb miteinander darum kämpfen, dass möglichst wenige Regeln aufgestellt werden. Es ist das Gegenteil vom Pariser Klimaabkommen, wenn wir auf der einen Seite Abkommen unterzeichnen und uns feiern und auf der anderen Seite mit dem Geld und den bestehenden Strukturen genau das Gegenteil bewirken.

Meine Damen und Herren, Frau Ministerin und auch die Bundesregierung, ich kann Ihnen nur eins sagen: Wir müssen an dieser Stelle mit der Vorlage der Kommission so umgehen, dass wir unser Ziel erreichen, die CO 2 -Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken. Dazu bietet dieser Vorschlag gar nichts. Meines Erachtens kann man deshalb dazu nur Nein sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Wissenschaftlicher Beirat hat das übrigens auch getan. Ich habe mir die Stellungnahme angesehen. Dort steht, das ganze System werde den Herausforderungen nicht gerecht – in keinem Bereich, meine Damen und Herren. Der Beirat kritisiert: Verteilungspolitisch ist das durch nichts zu rechtfertigen. Man müsste eher bei den gesellschaftlichen und Umweltfunktionen andocken, die die Landwirtschaft hat.

In dem Gutachten heißt es sehr konkret: Die Ziele der GAP sind neu auszurichten, man muss eine Gesamtarchitektur mit anderen Fonds machen. Man muss die Direktzahlungen innerhalb von zehn Jahren abbauen und Gelder für Gemeinwohlleistungen geben, meine Damen und Herren.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit?

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja. – In diesem Zusammenhang will ich eins sagen: Natürlich erklärt Ihr Wissenschaftlicher Beirat auch, dass man dazu Mut braucht. Ich glaube, genau das ist der Punkt. Das ist das, was ich heute erbitte. Denken Sie daran, dass wir mit 40 Prozent der EU-Mittel die Ziele, zu denen wir uns verpflichtet haben, realisieren müssen.

Deshalb bitten wir Sie: Haben Sie Zivilcourage! Haben Sie Mut! Lassen Sie sich nicht von den alten Lobbys über den Tisch ziehen. Sagen Sie zu dieser Vorlage Nein.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Redezeit, bitte.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lassen Sie uns etwas Positives für die Zukunft erarbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)