Rede von Sven-Christian Kindler Allgemeine Finanzdebatte

03.07.2018

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Verfahren zum Haushalt 2018 war kein normales Verfahren. Es war erstens ein extrem kurzes Verfahren, weil das durch die Regierung und Koalition so beschlossen wurde, und zweitens war es überlagert vom politischen Dauerstreit in der Union und Chaos in dieser Regierung. Wir wussten doch ehrlich gestern, am Montag, auch am Abend, noch nicht, ob diese Regierung, diese Koalitionsmehrheit nun am Ende diesen Haushalt in dieser Woche beschließen wird.

(Johannes Kahrs [SPD]: Na! Unstrittig!)

Diese Regierung stand gestern Abend de facto schon kurz vorm Abgrund, gut 100 Tage, nachdem sie ins Amt gekommen ist.

(Johannes Kahrs [SPD]: Sie dürfen dieses Bauerntheater nicht mit Politik verwechseln!)

Das lag am Dauerstreit und Chaos in der Union. Das lag auch daran, dass die CSU und Teile der CDU massiv nach rechts außen rücken wollen und damit Europa und die Demokratie in Geiselhaft nehmen. Ich finde das verantwortungslos von dieser Regierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Christian Dürr [FDP]: Das ist die gleiche Regierung, mit der ihr koalieren wolltet, nach meiner Erinnerung!)

Sie haben kurz vorm Abgrund die Notbremse gezogen und einen miesen Deal vereinbart. Aber dieser miese Deal, den die Union vereinbart hat, wird auf dem Rücken von Menschen geschlossen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Diese Menschen wollen sie in Internierungslager einsperren. Ich finde das schäbig und inhuman.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ein Wort zur SPD: Die SPD-Spitze begrüßt ja die Einigung, hat aber noch ein paar offene Fragen. Ich frage mich, welche Fragen Sie noch haben. Hier geht es um Entrechtung von Menschen in geschlossenen Lagern. Ich frage mich ehrlich, SPD: Wie viel Selbstaufgabe ist eigentlich noch möglich?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: So ein Unsinn!)

Dieser Streit um die Abschottung hat uns in Europa massiv geschadet. Schauen Sie sich doch das Ergebnis vom europäischen Gipfel an. Es geht um zentrale Fragen: Wie geht es weiter mit Europa? Herr Scholz und die Kanzlerin haben dazu in der ersten Haushaltswoche auch gesprochen. Wie geht es weiter mit der Wirtschafts- und Währungsunion? Wie können wir Europa krisenfester, sozialer, demokratischer machen? Bis auf die Letztsicherung für die Bankenunion ist beim europäischen Gipfel de facto nichts herausgekommen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Jürgen Braun [AfD]: Thema verfehlt! Sind Sie wirklich Opposition?)

Der ganze Gipfel wurde überlagert von der Abschottungspolitik auf europäischer Ebene. Ich finde es erbärmlich, dass die Bundesregierung bei diesen für Europa zentralen Fragen – wie geht es sozialer, demokratischer, krisenfester? – auf dem europäischen Gipfel bisher nichts geliefert hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihre Rede ist erbärmlich, Herr Kindler!)

Diese rechten Phantomdebatten um Abschottung, die Sie sich die letzten Wochen hier im Deutschen Bundestag und in der Presse geliefert haben, haben gleichzeitig auch von den realen Problemen in diesem Haushalt und in diesem Land abgelenkt. Millionen Kinder sind in Armut. Die Klimakrise verschärft sich massiv. Wir haben ein großes Artensterben. Wir haben giftige Luft in den Städten. Wir haben massiven Betrug beim Mindestlohn, zu wenig bezahlbare Wohnungen. Das sind die realen Probleme in diesem Land, und die müssen Sie im Haushalt doch endlich anpacken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber in dieser Regierung und auch bei diesem Haushalt kämpft jeder gegen jeden. Es gibt keine gemeinsame Linie, keine gemeinsame Arbeit und keine großen Veränderungen, auch nach der Bereinigungssitzung nicht. Am Ende hat dieser Haushalt weiter große Lücken. Es gibt große Lücken beim Klima, bei Gerechtigkeit und Frieden. Das bleibt auch nach diesen Beratungen ein Haushalt ohne Zukunft.

Nur ein Beispiel für die Lücken bei der Gerechtigkeit: das Baukindergeld. Sie haben jetzt eine neue teure Subvention mit massiven Mitnahmeeffekten beschlossen, die vor allen Dingen besserverdienenden Familien zugutekommen werden. Das kostet insgesamt 10 Milliarden Euro in zehn Jahren. Damit wird der alte Zombie der Eigenheimzulage wiederbelebt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir machen es doch nur drei Jahre!)

Aber am Ende hilft das den vielen Familien mit kleinem und mittlerem Einkommen in den Städten nicht, die verzweifelt eine Wohnung zur Miete suchen. Die lassen Sie im Regen stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Nein! Für die geben wir mehr Geld für sozialen Wohnungsbau aus, Herr Kollege!)

Es gibt auch eine große Lücke beim Frieden. Internationaler Klimaschutz, humanitäre Hilfe, Kampf gegen den Hunger, das bleibt alles Stückwerk im Haushalt, alles unterfinanziert. Stattdessen steigert diese Regierung die Rüstungsexporte und bläht den Rüstungsetat massiv auf. 2019, Herr Scholz, wollen Sie ja noch mal eine Schippe drauflegen,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)

und das, obwohl kein anderer Etat in den nächsten vier Jahren, bis 2021, so stark steigen soll wie der Bundeswehretat. Ich sage Ihnen: Das ist eine völlig falsche Prioritätensetzung. Das wird die Welt unsicherer machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Blödsinn!)

Beim Klima haben Sie ein großes Schweigekartell gebildet. Ihre Antwort auf die große Herausforderung, wie wir die Klimakrise bekämpfen können, ist ein großes Schweigekartell der Regierung. Wir sehen, dass ganz viel Geld im Haushalt für sinnvolle Energieeffizienzprogramme,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Unser Klima ist wieder super!)

für Klimaschutzprogramme, für den Energie- und Klimafonds, nicht abfließt, und gleichzeitig gibt die Bundesregierung jedes Jahr über 50 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen aus: für schmutzige Diesel, für schwere Dienstwagen, für die Agrarindustrie, für die Flugindustrie. Für die Klimarettung haben Sie ein paar Millionen, und für die Klimazerstörung geben Sie Milliarden aus. Das muss sich dringend ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sehen nach gut 100 Tagen: Formal ist diese Regierung noch im Amt, de facto ist sie inhaltlich und vom Arbeitsstil her gescheitert: Blockade, Streit, keine gemeinsame Linie, und im Haushalt große Lücken

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind Tage hinterher, Herr Kindler!)

bei Klima, Gerechtigkeit, Frieden. Das ist ein Haushalt ohne Zukunft. Das muss sich dringend ändern.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind Tage hinterher!)