Rede von Dr. Sebastian Schäfer Allgemeine Finanzdebatte

Dr. Sebastian Schäfer
05.09.2023

Dr. Sebastian Schäfer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einem Jahr, bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2023, war die Lage extrem unsicher. Ende August war der Gasfluss aus Nord Stream 2 von der russischen Seite abgestellt worden. Wir hatten ökonomische Analysen auf dem Tisch liegen, die für diesen Fall einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 6 Prozent prognostizierten. Wir wissen heute, dass das so nicht eingetreten ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Unsere Wirtschaft stagniert, aber ein drastischer Einbruch konnte verhindert werden. Das haben wir unseren Bürgerinnen und Bürgern zu verdanken, unseren Unternehmen, die sehr vernünftig und solidarisch agiert haben, gerade im Winter. Und das haben wir unserem Wirtschaftsminister, das haben wir dieser Bundesregierung und dieser Koalition zu verdanken,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Achim Post [Minden] [SPD])

die alles dafür getan hat, dass wir ausreichend Gas fürs Heizen und für unsere Wirtschaft hatten.

Dennoch: Wir stehen vor großen Herausforderungen. Wir haben ein Preisproblem. Insbesondere für die Großverbraucher, für unsere energieintensiven Unternehmen, die zum Kern unserer Industrie gehören, sind die Energiepreise im Allgemeinen und die Gaspreise im Besonderen zu hoch.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Ja, dann reduzieren Sie doch die Steuern!)

Mit Oster-, Sommer- und Solarpaketen haben wir uns entschlossen auf den Weg gemacht, aber das geht nicht über Nacht. Wir brauchen ergänzend zu diesen Vorhaben eine schnelle Reaktion, zum Beispiel mit einem Industriestrompreis, der kluge Anreize für Effizienz und Transformation setzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dennis Rohde [SPD])

Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie und unseres Landes insgesamt.

Die Herausforderungen hören aber bei den Energiepreisen längst nicht auf. Wir haben auch ein geopolitisches Problem: Wir haben immer noch einen schrecklichen Krieg in unserer europäischen Nachbarschaft. Der russische Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf den europäischen Zusammenhalt, auf das Völkerrecht; er ist ein Angriff auf die Menschlichkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Und natürlich haben die Folgen des Krieges, aber auch der Pandemie eine ökonomische Dimension. Gerade werden viele Produktionsketten neu aufgestellt, auch mit Blick auf die Gefahr, die rund um das Südchinesische Meer droht. Wir haben im Vergleich zu anderen europäischen Industriestaaten eine besondere wirtschaftliche Verbindung nach China. Unser Handelsvolumen mit China und anderen autoritär geführten Staaten liegt bei 10 Prozent unserer Wirtschaftsleistung, so beziffert das aktuell „The Economist“. Nach der Finanzkrise hat die starke Nachfrage aus China unserem Standort sehr geholfen. Das wird sich so nicht wiederholen. Wir spüren gerade massiv die nachlassende Nachfrage, und gleichzeitig sehen wir die Konkurrenz in Schlüsselindustrien wie der Automobilindustrie, und zwar vor allem, wenn es um die Zukunftstechnologien geht. Und auch deswegen ist das De-Risking, ist die neue China-Strategie der richtige Weg, um Abhängigkeiten abzubauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Frauke Heiligenstadt [SPD] und Christoph Meyer [FDP])

Zu all dem kommt zuletzt auch noch ein ökologisches und ein demografisches Problem. Wir spüren ja jetzt schon den Fachkräftemangel in vielen Branchen, und jetzt arbeiten die Babyboomer noch, aber eben nicht mehr lange. Mit unseren Reformen bei der Einwanderungspolitik gehen wir das endlich stringent an, aber die Notwendigkeiten sind groß. Moritz Schularick hat den Bedarf gerade auf eine Nettoeinwanderung von 400 000 Menschen beziffert – pro Jahr.

Die Klimakrise wirkt sich auf vielen Wegen aus. Jetzt wird im Stammwerk von Volkswagen in Wolfsburg gerade Kurzarbeit angemeldet, weil die Lieferkette durch die Flutkatastrophe in Slowenien nicht mehr funktioniert.

Wir haben in dieser Bundesregierung große Räder gedreht: bei der Fachkräfteeinwanderung, beim Bürgergeld, beim beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und beim natürlichen Klimaschutz. Wir haben immer wieder um die besten Lösungen gerungen, und wir haben diese am Ende gefunden. Und so wird das auch bei diesem Haushalt sein. Der Entwurf ist gut, aber das Bessere ist der Feind des Guten. Wir werden in den nächsten Wochen intensiv miteinander beraten, wie wir diesen Entwurf noch besser machen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Sebastian Brehm das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)