Rede von Sven-Christian Kindler Allgemeine Finanzdebatte

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

22.03.2022

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute den ersten Haushaltsentwurf dieser neuen Regierung unter extremen Bedingungen. Wir sind mit mehreren Krisen gleichzeitig konfrontiert: Da ist die Klimakrise, die immer noch anhält und weiter eskaliert, es ist die Coronapandemie, die lange noch nicht vorbei ist, und das ist seit dem 24. Februar leider der schreckliche Angriffskrieg von Wladimir Putin gegen die Ukraine. Diese Krisen haben – darauf hat Dennis Rohde hingewiesen – auch massive Auswirkungen auf diesen Haushalt und auf kommende Haushalte. Wir als Koalition sagen sehr klar im Bundestag: Wir werden diese Herausforderungen angehen. Dafür wurden wir in den Deutschen Bundestag gewählt. Dafür stehen wir als Koalition zusammen. Wir nehmen diesen Auftrag für die Haushaltsberatungen an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Dieser Haushaltsentwurf ist eine gute Grundlage für die parlamentarischen Beratungen, die jetzt kommen. Viele wichtige Maßnahmen wurden hier verankert: beim Klimaschutz, bei energiepolitischen Maßnahmen, bei sozialen Maßnahmen, bei wirtschaftlichen Maßnahmen, Entlastungsmaßnahmen, die alle schon etatisiert sind. Natürlich ist es in dieser hochdynamischen Lage völlig klar, dass noch nicht alles in diesem Entwurf enthalten sein kann.

Übrigens, Herr Dobrindt: Das hat die Union im Haushaltsausschuss gar nicht kritisiert. Auch die Union hat zusammen mit der SPD für 2020 im laufenden Haushaltsverfahren noch einen Ergänzungshaushalt vorgelegt.

(Christian Dürr [FDP]: Ah!)

Also: Das ist kein neues Verfahren; wir kennen es schon. Ich wünsche mir mehr Demut von der Union, wenn es um Verfahrensfragen zum Haushalt geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

In diesen bitteren Zeiten, wo wir mehrere Krisen gleichzeitig erleben, ist es zentral, dass der Staat die Menschen mit den Folgen dieser Krisen nicht alleinlässt. Die Zeiten, in denen sich Regierungen in Krisen zurücklehnen und hoffen, dass irgendwie alles vorbeigeht, sind vorbei. Das Prinzip „Too little, too late“ hat ausgesorgt. Dadurch wurden Krisen verschärft und größer gemacht. Was wir jetzt brauchen, ist aktives staatliches Handeln in Krisen. Wir lassen die Menschen in Deutschland und in Europa mit diesen Folgen nicht allein, und es wird auch nicht am Geld scheitern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Kay Gottschalk [AfD]: Nee! Das Geld scheitert!)

Klar ist auch: Wir müssen jetzt energiepolitisch deutlich vorankommen. „Zeitenwende“ heißt für uns auch: Wir müssen deutlich unabhängiger werden von Gas, Öl und Kohle. Wir haben eine riesige Aufgabe vor uns, und wir sagen sehr klar: Nationale Sicherheit ist auch Energiesicherheit. Wir haben in diesem Haushalt jetzt zentrale öffentliche Investitionen festgeschrieben. Wenn man sich den gesamten Haushalt anguckt – den öffentlichen Haushalt, also den Kernhaushalt, plus die Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“ und „Energie- und Klimafonds“ –, dann kommen wir auf 74 Milliarden Euro für öffentliche Investitionen insgesamt. Das ist ein Rekordwert. Ein großer Teil davon sind Klimaschutzinvestitionen und Investitionen für die Transformation. Deswegen sagen wir sehr deutlich: Wir können jetzt nicht stehen bleiben. Wir haben jetzt zwar diesen Haushaltsentwurf, aber wir müssen natürlich auf die neue Situation durch den Krieg in der Ukraine reagieren. Energieeffizienz, erneuerbare Energien, grüner Wasserstoff – all das ist in den nächsten Jahren notwendig, um uns unabhängiger und um es sicherer zu machen und um mehr Klimaschutz für die nachfolgenden Generationen zu gewährleisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Klar ist auch: Wir werden die Folgen für die Menschen in Deutschland aufgrund von Preissteigerungen bei fossilen Brennstoffen und bei Lebensmitteln auch finanzpolitisch bewältigen und sozialpolitisch abfedern müssen. Diese Koalition hat ein erstes Entlastungspaket auf den Weg gebracht, in dem zum Beispiel der Heizkostenzuschuss und der Sofortzuschlag für Kinder enthalten sind, und ich erwarte, dass wir als Koalition zeitnah ein zweites Entlastungspaket beschließen werden.

Für unsere Fraktion ist klar: Wir wollen erstens, dass dieses Paket sozial gerecht ist und dass vor allen Dingen die Menschen mit keinem, kleinem oder mittlerem Einkommen davon profitieren und nicht primär Besserverdienende. Wir wollen zweitens, dass es Anreize gibt für Energieeffizienz und Energieeinsparung. Drittens muss es zielgerichtet sein. Es muss bei den Menschen ankommen, die es jetzt wirklich brauchen. Es darf am Ende auch nicht die Renditen von Mineralölkonzernen erhöhen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich wundere mich schon etwas über die finanzpolitische Solidität der Union. Einerseits erteilen Sie neuen Krediten eine harte Absage, gleichzeitig fordern Sie dauerhafte Steuersenkungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Herr Dobrindt, ich sehe Sie gar nicht mehr. Sie sind schon gar nicht mehr da. Das ist irgendwie auch nicht nett.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Doch! Da ist er doch! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Er ist da!)

Herr Dobrindt, ich wollte Sie eigentlich ansprechen; denn Sie haben gesagt, dass Sie eine Mehrwertsteuersenkung bei den Spritpreisen fordern, die sogenannte Spritpreisbremse. Um es hier noch mal sehr klar zu sagen: Das ist europarechtswidrig.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Quatsch!)

Eine Bundesregierung darf nicht das Europarecht brechen. Ich weiß, dass Sie das in der Vergangenheit als CSU anders gemacht haben; ich erinnere an die Maut und das Mautdebakel der CSU.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Aber diese Regierung wird bei dieser Frage nicht das Europarecht brechen.

Ich will auch einmal daran erinnern, dass es 16 Jahre lang Verteidigungsministerinnen und ‑minister von der Union waren, von CDU und CSU, die dafür gesorgt haben, dass die Bundeswehr in dem Zustand ist, in dem jetzt sie ist.

(Zurufe von der CDU/CSU: Stimmt ja nicht! – Lächerlich! – So ein Unsinn!)

Jetzt gibt es einen klaren Vorschlag des Kabinetts zu einem Sondervermögen für die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit. Wir haben auch sehr klar gesagt: Das ist ein Vermögen, das wichtigen Investitionsvorhaben der Bundeswehr dient. Aber wir wollen auch, dass es effizient eingesetzt wird. Dafür brauchen wir ein hartes Controlling und eine Strukturreform, damit das Geld wirksam eingesetzt und nicht weiter verbrannt wird.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sie haben auf dem Bundesparteitag über die Abschaffung der NATO diskutiert! Und jetzt so? Das ist unglaublich!)

Außerdem gibt es auch den Begriff der vernetzten Sicherheit, den diese Bundesregierung entwickelt hat und weiterentwickeln wird. Zivile Krisenprävention, die Frage von Cybersicherheit auch im Inland, zivile Verteidigung – das sind alles zentrale Sicherheitsbereiche, die wir konkret finanzieren müssen. Wir haben einen erweiterten Sicherheitsbegriff und keinen altmodischen Sicherheitsbegriff wie die Union.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Sind Sie für die nukleare Teilhabe? Sind Sie für den atomaren Schutzschirm?)

Wir werden sehr arbeitsreiche Haushaltsverhandlungen haben über den Ergänzungshaushalt mit dem Sondervermögen. Wir werden hier im Bundestag und mit der Regierung sehr intensiv gemeinsam beraten. Ich freue mich auf die Verhandlungen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Nichts zur Entlastung der Bevölkerung!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Aus gegebenem Anlass weise ich zwischendurch noch einmal darauf hin, dass die Allgemeinverfügung der Präsidentin vorsieht, dass die Masken aufbehalten werden, es sei denn, man ist hier am Redepult oder am Mikrofon oder ist gerade amtierende Präsidentin. Das sage ich aus Gründen. Und ich sage auch aus Gründen, dass damit die Bedeckung von Mund und Nase gemeint ist. Es wird nicht besser dadurch, dass man nur die Nase bedeckt und dann den Mund offen lässt. Ich werde die Kollegin, die das so handhabt, nicht persönlich ansprechen, damit ihr Name nicht schon wieder im Protokoll erscheint. Aber sie weiß sicher, wer gemeint ist. – Herzlichen Dank.

Ich gebe das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)