Rede von Sven-Christian Kindler Allgemeine Finanzdebatte (Epl. 08, 20)

Foto von Sven-Christian Kindler MdB
30.01.2024

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden am Freitag den Haushalt für 2024 beschließen. Das war ein langes Verfahren und ein schweres Stück Arbeit. Wir hatten große Herausforderungen. Wir haben als Koalitionsfraktionen viele Tage und Nächte darüber verhandelt. Und wie das so ist in einer Demokratie: Wir kommen aus drei verschiedenen Fraktionen und hatten unterschiedliche Perspektiven auf diesen Haushalt. Aber am Ende sind wir dann zu guten, sinnvollen Lösungen gekommen, weil wir miteinander gerungen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich finde, das ist das Wesen der Demokratie: Nicht einer alleine setzt sich durch, sondern am Ende finden alle zusammen und machen einen Kompromiss im Sinne des Gemeinwohls. – Deswegen bin ich für die faire, sachorientierte Zusammenarbeit der Koalition im Haushaltsausschuss auch dankbar und möchte mich stellvertretend besonders bei Dennis Rohde und Otto Fricke ganz herzlich dafür bedanken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Wir hatten auf dem Weg zum Haushalt schwere Steine aus dem Weg zu räumen. Ich muss es ehrlicherweise sagen: Das Urteil aus Karlsruhe hat uns kalt erwischt. – Und natürlich hat es dann etwas länger gedauert. Aber es ist mit diesem Haushalt trotzdem gelungen, in unsicheren Zeiten soziale Sicherheit zu garantieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es gab großen Spardruck. Trotzdem geben wir jetzt zum Beispiel im Etat für Arbeit und Soziales 8 Milliarden Euro mehr aus als noch im Jahr 2023. Wir haben die aktive Arbeitsmarktpolitik im parlamentarischen Verfahren gesichert.

An dieser Stelle will ich insbesondere auf die Union noch mal eingehen: Ich finde es eine Unverschämtheit, wie in dieser Debatte insbesondere von der Union in den letzten Monaten Menschen, die in Not leben, in Armut leben, die arbeitslos sind und darunter leiden, verunglimpft wurden, wie über sie gesprochen wurde. Diesem Populismus sind wir in diesem Haushaltsverfahren nicht nachgekommen. Deswegen erhöhen wir jetzt mit diesem Haushalt die Regelsätze beim Bürgergeld und passen sie zu Recht an die Inflation an. Das Existenzminimum, also die Würde des Menschen, ist für uns keine Verhandlungsmasse im Haushalt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei fraktionslosen Abgeordneten und des Abg. Christoph Meyer [FDP])

Wir haben mit diesem Haushalt im parlamentarischen Verfahren auch die Demokratie gestärkt. Ich bin sehr dankbar, dass gerade Millionen Menschen auf die Straße gehen für Demokratie und Rechtsextremismus und gegen faschistische Bedrohungen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Gegen Rechtsextremismus! Nicht für!)

– Natürlich gegen Rechtsextremismus – Die große Mehrheit in diesem Land ist demokratisch. Sie ist weltoffen. Sie will nicht zurück in dunkelste Zeiten. Sie hat aus den Fehlern ihrer Großeltern und Urgroßeltern gelernt, und wir sind sehr dankbar, dass sich so viele Menschen für Demokratie engagieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das haben wir auch in diesem Haushalt gezeigt. Zum Beispiel geben wir nach dem Pogrom vom 7. Oktober, nach dem wir weltweit und auch in Deutschland und Europa so viel Antisemitismus gesehen haben, über 100 Millionen Euro mehr für die Unterstützung eines bunten und vielfältigen jüdischen Lebens in Deutschland aus, als im Regierungsentwurf vorgesehen war, und wir geben Geld aus für den Kampf gegen Antisemitismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir als Koalitionsfraktionen haben auch geplante Kürzungen bei den Freiwilligendiensten, bei der politischen Bildung, beim Ehrenamt, bei der Migrationsberatung zurückgenommen, weil wir wissen, dass es gerade viele Menschen im Ehrenamt sind, die sich freiwillig und ohne finanzielle Gegenleistung für unsere Demokratie und für andere Menschen einsetzen. Das ist das Rückgrat unserer Demokratie. Das ist der beste Schutz unserer Verfassung. Deswegen stärken wir sie mit diesem Haushalt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Eigentlich ist so eine Haushaltswoche ja auch die Stunde der Opposition. So haben das jedenfalls FDP und Grüne in den Haushaltswochen gehandhabt, als wir in der Vergangenheit in der Opposition waren. Wir haben dann immer viele Änderungsanträge vorgelegt, um die Regierung zu treiben und um Alternativen aufzuzeigen.

(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: So ist es!)

Leider haben wir in den zwei Bereinigungssitzungen, die wir hatten, keine Änderungsanträge der größten Oppositionsfraktion gesehen. Sie haben nichts vorlegt. Sie sagen immer nur, Sie wollen viel mehr sparen; das sagen Sie hier in den Haushaltsreden. Aber in den Fachdebatten sagen Sie immer, das sei viel zu wenig; da wollen Sie mehr machen, das muss ganz anders sein. Diesen Widerspruch werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Sie müssen klar sagen: Wie wollen Sie es denn finanzieren? Wo wollen Sie denn Steuern erhöhen? Wo wollen Sie denn Subventionen streichen? Wo wollen Sie denn einsparen? Sie müssen konkret werden!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei fraktionslosen Abgeordneten)

Im Kern ist das Arbeitsverweigerung, was die Union hier macht. Das grenzt an Populismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was für ein Blödsinn! – Kay Gottschalk [AfD]: Legen Sie mal eine neue Platte auf, Herr Kollege!)

Herr Middelberg, Sie haben gesagt, wir seien für Krisen hier auch selber verantwortlich. Dazu will ich selbstkritisch sagen: Nicht alles, was wir als Koalitionsfraktionen und in der Regierung machen, ist super; das gebe ich zu.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Ja, da kann man auch mal selbstkritisch sein. – Nur, Sie haben insbesondere auch die Fragen, wie wir die Wärmewende angehen und wie wir erneuerbare Energien finanzieren, angesprochen. Ich will Sie mal fragen: Wer hat denn 16 Jahre die Energiepolitik verantwortet? Wer hat 16 Jahre versucht, jedes Windrad auszubremsen? Wer hat die Wärmewende verschlafen? Wer hat uns von Putins Gas abgängig gemacht? – Das war doch die Union! Diesen Scherbenhaufen müssen wir jetzt aufräumen, und das machen wir als Koalition mit Hochdruck.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Komisch, dass 80 Prozent der Menschen das anders sehen, oder?)

Natürlich ist es so, dass das Urteil aus Karlsruhe, aufgrund dessen 60 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds gelöscht werden mussten, schmerzhafte Einschnitte mit sich bringt; das wissen wir. Wir konnten allerdings im Verfahren – Regierung wie Koalition – 30 Milliarden Euro davon retten, und wir haben in diesem Haushalt sehr viele Investitionen für Klimaschutz, für die Transformation der Wirtschaft, für gute Arbeitsplätze gesichert. Gleichzeitig verbessern wir neben dem Klimaschutz auch die Wettbewerbssituation in unserer Wirtschaft und sorgen für fairen Wettbewerb, weil wir endlich klimaschädliche Subventionen abbauen. Das ist gut für den Haushalt, gut für das Klima und gut für unsere Marktwirtschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Christoph Meyer [FDP])

Gleichzeitig wissen wir: Es gibt viele Stimmen aus der Gesellschaft und der Wirtschaft, die uns auffordern, mehr zu investieren. 50 namhafte Unternehmen haben sich jetzt an uns gewandt.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Gemacht haben Sie nichts, ne? Nichts!)

Der Sachverständigenrat hat heute seine Empfehlungen zur Schuldenbremse vorgelegt. Gewerkschaften, konservative wie progressive Ökonominnen und Ökonomen fordern uns auf, langfristige Planungssicherheit für die Transformation herzustellen und Klarheit darüber zu schaffen, wie wir durch die Weiterentwicklung der Schuldenregeln, also durch eine Modernisierung der starren Schuldenregelungen, langfristige Zukunftsinvestitionen finanzieren können, um die Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen, also in 20 Jahren, in einer sehr kurzen Zeit.

Und ich will noch mal sagen: Klimaschutz ist keine Aufgabe, bei der sich nur die grüne Fraktion hier einbringen muss, sondern eine Aufgabe, der sich alle demokratischen Fraktionen verschrieben haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir haben das völkerrechtlich bindende Pariser Klimaabkommen. Wir haben das Bundes-Klimaschutzgesetz, an das wir uns halten müssen, und auch um die Wirtschafts- und Wettbewerbsfähigkeit kümmern wir uns in dieser Koalition gemeinsam, ebenso wie um den Klimaschutz.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Nicht sehr erfolgreich, wie man sieht! – Gegenruf der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr erfolgreich! – Gegenruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wettbewerbsfähigkeit? Warum schrumpft dann die Wirtschaft?)

Denn es ist uns wichtig, dass wir gegenüber China und den USA, die gerade sehr viel kreditfinanziert in klimafreundliche Jobs investieren, im globalen Wettbewerb bestehen können. Das ist eine Aufgabe aller demokratischen Kräfte, auch von Ihnen, Herr Frei.

Es gibt viele CDU-Ministerpräsidenten, die uns auffordern, Zukunftsinvestitionen über eine Reform der Schuldenbremse zu finanzieren. Ich finde, wir sollten uns dieser Aufgabe in einem demokratischen Wettbewerb gemeinsam stellen. Regierung wie Opposition, alle demokratischen Kräfte sollten sich fragen: Wie können wir Finanzregeln verändern? Wie können wir Zukunftsinvestitionen schaffen? Wie können wir dafür sorgen, dass wir unser Land insgesamt zukunftsfähig machen? Das sind gemeinsame Aufgaben für uns alle, und darüber sollten wir weiter diskutieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber sicherlich nicht mit noch mehr Schulden!)

Ich freue mich auf diese Haushaltswoche – an vielen Stellen können wir zeigen, wo dieser Haushalt gut ist –, und ich freue mich auf die Debatten. Leider können wir nicht über die Anträge der Union diskutieren; dann diskutieren wir mehr über die Anträge und den Haushalt der Koalition.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und bei fraktionslosen Abgeordneten)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Christian Haase.

(Beifall bei der CDU/CSU)