Rede von Stefan Schmidt Altschuldenfonds für Kommunen

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20.12.2019

Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Große Erwartungen, herbe Enttäuschung: So kann man die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ zusammenfassen. Einziger Lichtblick – Herr Haase, ich sage das ganz gezielt in Ihre Richtung – war die Ankündigung des Bundes eines einmaligen solidarischen Beitrags zum Abbau kommunaler Altschulden.

Der Zeitpunkt ist günstig. Die konjunkturelle Lage ist gut – noch –, die Steuereinnahmen sind hoch – noch –, und die Zinsen sind niedrig. Herr Daldrup hat es bereits angesprochen. Jetzt gilt es also, den finanzschwachen Kommunen aus der Schuldenfalle zu helfen. Der Bund muss sich an den Altschulden der Kommunen beteiligen, damit sie wieder auf eigenen Beinen stehen und die Zukunft ihrer Bürgerinnen und Bürger vor Ort positiv gestalten können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Wieder neue Schulden machen, klar!)

Die Linke macht es sich mit ihrem Antrag dann allerdings ein bisschen einfach: drei Sätze insgesamt. Die Fragen zur Ausgestaltung der Altschuldenhilfe bleiben unbeantwortet: Welche Schulden genau? Wie soll die Lastenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen aussehen? Wie soll getilgt werden? Über welchen Zeitraum? Welche Höhe? Wie soll der Umgang mit bereits bestehenden Länderprogrammen wie beispielsweise die Hessenkasse sein, wo ein Land schon mit der Entschuldung vorangegangen ist?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf all diese Fragen geben Sie keine Antwort. Wir Grünen sind da ein gehöriges Stück weiter. Es ist ja auch nicht erst die Idee von Herrn Scholz, dass man jetzt endlich einmal einen Altschuldenfonds auflegen könnte. Wir haben ein umfangreiches Gutachten in Auftrag gegeben; das können Sie alle öffentlich nachlesen. Darin stehen kluge, gangbare Wege.

Wir haben eine doppelte Aufgabe. Zum einen müssen wir die hohen Kassenkredite abbauen, zum Beispiel durch eine Drittellösung: Bund, Länder und Kommunen. Das bedeutet für jeden der Akteure 600 Millionen Euro jährlich über 30 Jahre. Das ist kein Pappenstiel – das will ich gar nicht in Abrede stellen –, aber es ist eine unverzichtbare Investition in unsere Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum anderen gilt es, die Aufnahme neuer Kassenkredite zu vermeiden. Dazu müssen wir sicherstellen, dass jede Kommune einen ausgeglichenen Haushalt erreichen kann. Das ist eben aktuell nicht der Fall. Ein möglicher Vorschlag wäre eine höhere Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft

(Otto Fricke [FDP]: Noch höher?)

und ein sozialer Verteilungsschlüssel für den kommunalen Umsatzsteueranteil.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Zuge einer Altschuldenlösung für überschuldete Kommunen sollten wir zusätzlich auch einen Altschuldenfonds für ostdeutsche Wohnungsunternehmen auflegen;

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Auch noch!)

denn sie leiden unter einer doppelten Belastung: einerseits durch die wendebedingten Altschulden, andererseits durch die hohen demografisch bedingten Leerstände. Der Bund muss sie also entlasten, damit Leerstand zurückgebaut und Investitionen in bewohnte Gebäude getätigt werden können. Darum bitte ich Sie: Unterstützen Sie hierzu unseren Antrag!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum müssen wir überhaupt die Kommunen bei ihren Altschulden entlasten? Die Frage wurde gerade aufgeworfen. Ja, wir lesen häufig: Unseren Städten und Gemeinden geht es doch ganz gut. Ja, viele Kommunen verzeichnen aktuell tatsächlich Rekordüberschüsse. Aber es gibt viele Kommunen, die auch für 2020 keinen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können, und das, obwohl sie jetzt schon jeden Euro zweimal umdrehen.

Jeder und jede Vierte von uns lebt in einer Kommune unter Haushaltssicherung. Hier ist der Investitionsbedarf nach wie vor hoch. Ich war letzte Woche im Petitionsausschuss. Es ging um den Erhalt kommunaler Schwimmbäder. Immer mehr solcher Schwimmbäder müssen schließen. Das gilt genauso für Bibliotheken, Theater und Spielplätze. Hier herrscht also ein ausgedünntes Angebot, und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort zahlen gleichzeitig auch noch höhere Steuern und Abgaben. Da müssen wir ansetzen. Denn nur so schaffen wir überhaupt die Grundlage für gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss möchte ich auf ein Argument der Gegner einer Altschuldenlösung kommen. Mit dem bayerischen Finanzminister Albert Füracker, der klar dagegen ist, und meinem Kollegen Alois Karl teile ich den Heimatlandkreis Neumarkt, aber nicht deren Positionen. Herr Karl, ich will Ihre Rede jetzt nicht spoilern.

(Alois Karl [CDU/CSU]: Doch, doch!)

Aber Sie haben schon in der Pressemitteilung angekündigt, was Sie sagen werden – aus meiner Sicht mit ein bisschen viel Eigenlob – und als einziges Argument angeführt, dass verschuldete Kommunen selber schuld sind. An dieser Stelle muss ich Ihnen deutlich widersprechen. Die Ursachen für Altschulden sind doch meist struktureller Natur. Diese Kommunen leiden unter dem Niedergang ganzer Wirtschaftszweige: im Ruhrgebiet die Kohle- und Stahlindustrie, in der Pfalz die Textil- und Schuhindustrie. Die Folge sind hohe Sozialausgaben und niedrige kommunale Steuereinnahmen. Um ihre Pflichtaufgaben zu finanzieren, ist diesen Städten und Gemeinden schlicht und ergreifend kein anderer Weg geblieben, als Kredite aufzunehmen, notfalls auch Kassenkredite.

Das Problem hatten und haben wir in Bayern in dieser Form nicht. Aber ich stelle mir vor – und ich bitte auch Sie, sich das einmal vorzustellen –, der Export von Maschinen und Autos würde dauerhaft stocken. Dann hätten wir auch in Bayern massive Verwerfungen, und die CSU würde garantiert als Erste rufen: Hier muss der Bund helfen und zusätzliche Finanzmittel beisteuern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, geben wir den verschuldeten Kommunen ihre Würde zurück! Sorgen wir dafür, dass nachfolgende Generationen nicht für Krisen, Umbrüche und Fehler der Vergangenheit büßen müssen! Bringen wir eine Bundesbeteiligung an den Altschulden unserer Kommunen jetzt endlich auf den Weg!

Ich danke Ihnen ganz herzlich und wünsche frohe Festtage!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Danke. – Das Wort hat der Kollege Volkmar Vogel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)