Rede von Erhard Grundl Anerkennung der NS-Opfergruppen "Asoziale“ und „Berufsverbrecher“

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13.02.2020

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Professor Nonnenmacher und Frau! 1933, mit der sogenannten Notverordnung, entstand der nationalsozialistische Maßnahmenstaat. Er war das Werkzeug zur sozialen Ausgrenzung, um zwischen Volksgenossen und Gemeinschaftsfremden zu unterscheiden, wie Julia Hörath schreibt. Wer den Gemeinschaftsfremden zugeordnet wurde, für den gab es keinen Boden mehr unter den Füßen, keine Rechte, keinen Zufluchtsort. Das betraf einige Zehntausend Menschen. Sie konnten oder wollten nicht funktionstüchtig sein, waren obdachlos, arm, unangepasst. Es traf zum großen Teil Frauen. Vor ihnen sollte die vermeintlich saubere Volksgemeinschaft geschützt werden. Viele Deutsche haben Gestapo und Kriminalpolizei zugearbeitet, haben Nachbarn denunziert. Landratsämter, Bürgermeister, Gesundheits- und Fürsorgeeinrichtungen gaben ihre sozialrassistischen Beurteilungen ab, wissend, was das für die Betroffenen bedeutete: KZ lebenslänglich. Im KZ mussten sie dann den schwarzen oder grünen Winkel tragen, wurden dort gequält oder gar ermordet.

Heute liegt uns die Beschlussempfehlung des Kulturausschusses über vier Anträge vor. Alle vier Anträge greifen die Forderung auf, die wir in unserem Antrag vom April 2018 formuliert haben, nämlich die Anerkennung und Entschädigung der NS-Opfergruppen der sogenannten Asozialen und der sogenannten Berufsverbrecher. Darüber freue ich mich sehr. Das ist ein großer Erfolg. Darum wird meine Fraktion auch allen vier Anträgen zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Es bleibt die Frage: Warum braucht es, wenn man sich in der Sache einig ist, vier Anträge?

(Zuruf von der LINKEN: Ja, richtig!)

Die Antwort ist leider: weil Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, zur fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit nicht fähig waren.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nicht teamfähig!)

Seit April 2018 haben wir Grüne für einen interfraktionellen Antrag geworben, gemeint als klares Zeichen an die Opfer und ihre Hinterbliebenen, als klares Zeichen gegen Hass und gruppenbezogene Menschenverachtung – damals wie heute –, als klares Zeichen gegen alle, die einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung des Nationalsozialismus fordern. Angesichts der Zunahme von Gewalt gegen Andersdenkende, religiöse Minderheiten oder sozial Benachteiligte wäre das ein starkes, ein wichtiges Zeichen gewesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Hartmut Ebbing [FDP])

Dennoch: 75 Jahre nach Kriegsende beschließen wir heute die Anerkennung. Das ist nicht nur gut so, das war überfällig. Die Anerkennung kommt spät, für viele Opfer des Wahnsinns zu spät. Viele haben ein Leben lang geschwiegen; denn auch nach Kriegsende hatten sie weiter mit Vorurteilen und ihren eigenen Schamgefühlen zu kämpfen.

Heute gibt es im Bundestag die, die allen Ernstes fragen, ob nicht doch einige zu Recht im KZ waren.

(Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, ganz genau!)

Wir machen heute klar: Niemand war zu Recht in einem KZ.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Wer hier ein Aber hinterherschickt, der zeigt dadurch nur eins: dass er letztendlich der Logik der Täter näher steht als den Opfern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Niemand war zu Recht in einem KZ – Punkt, aus.

Der Antrag der Regierungsfraktionen, den wir heute auch mit den Stimmen der Grünenbundestagsfraktion beschließen werden, ist vor allem ein Auftrag an Union und SPD: Setzen Sie ihn schnell in Regierungshandeln um, damit die bisher fehlende Forschung über die Opfergruppen der sogenannten Asozialen und Berufsverbrecher aufgenommen werden kann, damit das Wissen in unserer Bevölkerung über die Verbrechen der Nationalsozialisten gestärkt wird und, vor allem, damit die wenigen hochbetagten Betroffenen ihre Rehabilitation und Entschädigung wenigstens noch erleben können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Vielen Dank.- Als letzten Redner in dieser Debatte rufe ich auf: Dr. Volker Ullrich für die Fraktion der CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)