Rede von Dr. Anja Reinalter Anerkennung und Digitalisierung in der beruflichen Bildung

Prof. Dr. Anja Reinalter
17.05.2024

Dr. Anja Reinalter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sind im Wonnemonat Mai, und da geht es traditionell um Ausbildung und Arbeit. Es freut mich sehr, dass wir diese Woche schon einige Debatten zur beruflichen Bildung geführt haben. Das ist gut so, und das zeigt: Da geht was. Wir haben das deutsch-französische Abkommen zur grenzüberschreitenden beruflichen Bildung und die 29. BAföG-Novelle auf den Weg gebracht. Heute Morgen haben wir den Berufsbildungsbericht beraten.

Und jetzt geht es um das Gesetz mit dem ganz einfachen Namen „Berufsbildungvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz“. Das kann man sich eigentlich gut merken, nicht wahr? Man kann es sich wirklich gut merken; denn da ist ziemlich genau das drin, was draufsteht: die Validierung und Digitalisierung der beruflichen Bildung.

Warum braucht man das? Es ist – wir haben es gerade schon gehört – wirklich wichtig und dringend. Der Punkt „Digitalisierung“ erschließt sich quasi von selbst. Ein Beispiel ist die Digitalisierung des Ausbildungsvertrags, endlich vom Papierzeitalter ins digitale Zeitalter. Das ist gut so; denn die Welt der jungen Menschen ist digitaler und sie ist papierloser. Darauf gibt das Gesetz eine Antwort und trägt damit gleichzeitig sehr zum Bürokratieabbau bei. Und auch das ist wirklich wichtig und gut so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Beim Punkt „Validierung“ ist es wichtig zu wissen, dass es drei Formen der Bildung gibt: Es gibt formale Bildung, non-formale Bildung und informelle Bildung. Die formale Bildung ist der klassische Abschluss wie zum Beispiel Abitur oder ein Gesellenbrief. Das non-formale und informelle Lernen begleitet den Menschen ein Leben lang. Ich habe diese drei Formen der Bildung meinen Studierenden immer anhand des Beispiels „Englisch lernen“ nahegebracht. Formale Bildung heißt, Englisch in der Schule lernen. Das kennt jeder. Das funktioniert oft, aber nicht immer. Non-formale Bildung heißt, die Sprache in einem Sprachkurs zu lernen. Da ist die Motivation oft höher als in der Schule. Das funktioniert oft, aber leider auch nicht immer. Informelles Lernen hingegen bedeutet, die Sprache auf eine ganz lockere Art zu lernen, zum Beispiel mit Musik, durch Filme oder durch den Umgang mit Native Speakern. Und wenn sie sich dann noch in einen Amerikaner oder in eine Britin verlieben, dann funktioniert das quasi by the way. Das funktioniert eigentlich immer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Lina Seitzl [SPD])

Durch dieses Beispiel wird eigentlich klar, wie wichtig Kompetenzen und Fähigkeiten sind, die wir informell lernen. Das Ergebnis informellen Lernens ist oft sogar noch besser; denn unser Gehirn kann eines nicht: Es kann nicht nicht lernen. Dieses informelle Lernen bekommen wir quasi immer on top.

Heute Morgen bei der Debatte zum Berufsbildungsbericht haben wir aber auch gehört: 2,86 Millionen Menschen im Alter zwischen 20 und 34 Jahren haben keinen formalen Abschluss, und das mitten in der Fachkräftekrise. Ich habe es heute Morgen schon gesagt: Das ist paradox, und das können wir uns nicht leisten. – Es ist wichtig, dass wir bei dieser Gruppe genau hinschauen; denn sie ist heterogen. Das sind Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen oder mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen und Fähigkeiten. Darunter sind Menschen, die teilweise – wir haben die Beispiele gehört – richtig viel Berufserfahrung haben. Leider können wir bisher diese Menschen mit den klassischen Möglichkeiten der beruflichen Bildung nicht mehr erreichen. Darum ist es total wichtig, dass wir endlich Alternativen anbieten, um Brücken für die berufliche Qualifizierung zu bauen. Und genau das machen wir mit dem Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Mit dem Gesetz öffnen wir den Weg, die persönliche Berufserfahrung und die Kompetenzen endlich sichtbar zu machen. Damit schaffen wir zum ersten Mal eine gesetzliche Grundlage, um die in der Praxis erworbenen Kompetenzen ins formale System der beruflichen Bildung zu integrieren. Damit bieten wir eine Chance auf einen Abschluss und auf eine bessere Zukunft als Fachkraft. Und wir wissen doch alle ganz genau, was es bedeutet: mehr Ansehen, ein höheres Einkommen und eine bessere Versorgung im Alter.

Ein Berufsabschluss – das wissen wir auch – ist nach wie vor immer noch eine der nachhaltigsten Investitionen in die Zukunft. Wir sind uns einig, dass die duale Ausbildung das Kernstück der beruflichen Bildung ist und bleibt und immer Vorrang hat. Darum sind wir auch dafür, Herr Albani, dass ein Validierungsverfahren erst ab einem Alter von 25 Jahren möglich ist.

Und zum Schluss. Ja, wir hätten dem Gesetz sicher auch einen anderen Namen geben sollen. Aber jetzt heißt es halt so. Vielleicht brauchen Sie einmal einen langen Begriff für Scrabble. Der Gesetzestitel hat 48 Buchstaben. Es gibt viele Punkte. Aber im Ernst: Es ist nicht entscheidend, wie das Gesetz heißt. Wichtig ist, dass das Gesetz jetzt zügig verabschiedet wird. In den Zeiten einer Fachkräftekrise können wir es uns nicht leisten, jetzt kein sportliches Tempo anzuschlagen und immer noch mal was zu optimieren. Es ist wichtig, dass wir jetzt damit starten.

Ich freue mich auf die parlamentarische Beratung.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Vielen Dank. – Gitta Connemann hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)